Full text: Die Logik der Dichtung

Die epische Fiktion 
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sei es an sich selbst oder den Leser, ja darüber hinaus an jeden, der in das 
Zimmer eintretend gedacht werden kann, derart daß die reale Ich-Origo des 
jeweiligen Lesers aufgerufen wird und dieser sich an Hand seines ‘Körper- 
tastbildes’ eine Vorstellung von den Verhältnissen dieses Zimmers machen 
kann. Wenn wir nun aber unser Experiment anstellen und die Worte »des 
Eintretenden« durch »der Konsulin Buddenbrook« ersetzen, so können 
wir mit eins diese Orientierung durchaus nicht mehr vornehmen. Die An 
gabe »linker Hand von der Konsulin Buddenbrook«, die auf dem grad 
linigen Sofa neben ihrer Schwiegermutter sitzend beschrieben ist, ist durch 
das Körpertastbild des Lesers nicht verifizierbar. Denn jetzt ist »linker 
Hand« auf die fiktive Gestalt der Konsulin bezogen, von deren Stellung 
im Zimmer wir uns darum keine genaue räumliche Vorstellung machen 
können, weil sie - in diesem Falle - rein fiktiv bliebe. Thomas Mann hat, 
eben weil es ihm darum zu tun war, eine möglichst genaue Darstellung 
dieses für ihn realen Zimmers zu geben, unbewußt den Gesetzen der Er- 
kenntistheorie folgend, die Verhältnisangabe, die als solche real ist, auf eine 
reale Ich-Origo bezogen und für einen Augenblick damit sozusagen den 
Raum der Fiktion verlassen. 
Dieses Experiment zeigt, daß mit den Raumdeiktika sich etwas Ent 
sprechendes vollzieht, wie mit denen der Zeit, wenn sie im fiktionalen Er 
zählen auftreten. Auch für sie gilt, daß sie sich nicht auf eine reale Ich-Origo, 
des Verfassers und damit des Lesers, beziehen, sondern auf die fiktiven Ich- 
Origines der Romangestalten. Sie stellen bei dieser Bezugsveränderung 
zwar keine grammatischen Veränderungen an, wie die Zeitdeiktika, aber 
dafür zeigen sie noch greifbarer als diese, was die Ursache dieser Bezugs 
veränderung ist, die für beide in gleicher Weise gilt. Diese Ursache besteht 
darin, daß die Zeigewörter in der Fiktion aus dem Zeigfeld in das Symbol 
feld der Sprache übergehen - unbeschadet der Tatsache, daß sie dort den 
grammatischen Schein des Zeigwortes beibehalten, so gut wie das epische 
Präteritum den grammatischen Schein des Vergangenheitstempus beibehält. 
Die deiktischen Adverbien, die zeidichen wie die räumlichen, verlieren in 
der Fiktion ihre deiktische, existentielle Funktion, die sie in der Wirklich 
keitsaussage haben, und werden zu Symbolen, bei denen die räumliche bzw. 
zeitliche Anschauung zu Begriffen verblaßt ist. Beschreibt in den »Wahlver 
wandtschaften« der Gärtner die Lage der Mooshütte: 
Man hat einen vortrefflichen Anblick: unten das Dorf, ein wenig rechter Hand die Kir 
che . . . gegenüber das Schloß und die Gärten . . . dann öffnet sich rechts das Tal. . . 
wandern etwa bei Stifter die Personen häufig »gen Mitternacht« oder »gen 
Morgen«, so nehmen wir diese Richtungsangaben als Bezeichnungen von 
Beziehungen hin, von denen wir wissen, daß sie dem Raume zugehören, die
	        
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