110
BAUZEITUNG
NK. 14
unsre Leser interessieren dürfte, einige Proben aus dem
Werke des Darmstädter Künstlers kennen zu lernen,
so werden wir eine Anzahl Blätter, deren Abbildung
uns durch das liebenswürdige Entgegenkommen des Pro
fessors Olbrich und des Baumgärtnersehen Verlags er
möglicht wurde, in unsrer Zeitschrift veröffentliehen.
Wir beginnen in der vorliegenden Nummer mit der
Wiedergabe eines Interieurs und zweier Häuserskizzen.
Meunier*
Von Hans Kampffmeyer
Wieder sehe ich ihn vor mir sitzen, den kleinen, be
weglichen Mann mit dem ehrwürdigen Haupt und der
hohen Stirne. Ich fühle die lebendigen guten Augen
auf mich gerichtet und
höre den Dreiund-
siebenzigjährigen mit
jugendlicher Begeiste
rung von seiner Kunst
sprechen und aus sei
nem Leben berichten:
„Auch ich weiß, wie
Hunger tut,“ beginnt
er, „und wenn’s bei
mir auch nie bis zum
Aeußersten gekommen
ist, so ist’s mir doch oft
genug recht miserabel
gegangen. Schon als
Zwanzigjähriger war
ich ganz auf mich selber
angewiesen und mußte
damals für die Industrie
arbeiten. In meinen
Mußestunden aber schuf
ich alsdann Kunst, wie
ich sie verstand. Davon
habe ich nichts ver
kauft, denn,“ und das
sagte er mit einem gu
ten Lachen, „das hat
niemand haben wollen.
Zudem beging ich die
Torheit, die schöneTor-
heit(labellefollie), sehr
jung zu heiraten, und
hatte nun für Frau und
Kinder zu sorgen. Das
ist mir oft sauer ge
worden. — Aber nie
habe ich für den Ver
kauf geschafft! Nie
mals! — Erst als Fünfzigjähriger wurde ich Bildhauer.
Da habe ich dann rastlos gearbeitet wie einer, der viel
schaffen möchte und das Ende seiner Wü’kungszeit nahe
vor sich sieht. Jetzt bin ich müde. Nur noch das Denk
mal der Arbeit und das Denkmal Zolas möchte ich
vollenden. Dann habe ich gesagt, was ich zu sagen hatte.
Ich bin jetzt müde.“
Kaum anderthalb Jahre später ist Meunier zur Ruhe
gegangen. Bevor wir nun den Versuch machen, das
Fazit dieses an Kunst und Mühe reichen Lebens zu ziehen,
wollen wir den Meister nochmals zu Worte kommen
lassen in einer Aeußerung, die mir für das Wesen seiner
Kunst besonders charakteristisch ist: „Jeder Künstler,“
sagte er, „muß aus seiner Zeit heraus schaffen. Er mag
sich in der Natur nur umsehen und unbekümmert um
die andern die Dinge darstellen, die ihm etwas sagen.
* Vergleiche die Bildbeilage „Die Tränke“ in Nr. 13 der Bau
zeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen.
Und seien sie scheinbar auch noch so unbedeutend, so
bald er sie wirklich innerlich empfunden hat, wird er
Kunstwerke aus ihnen bilden.“
Liegt nicht in diesem Worte die Quintessenz von
Meuuiers Kunstschaffen?
Millionen waren vor ihm an den rußigen Hütten
werken vortibergegangen, hatten vor ihm den von schwerer
Arbeit niedergedrückten Gestalten zugeschaut: die meisten
voller Gleichgültigkeit, viele mit Abscheu vor dem Lärm
und Schmutz der Arbeit, manche auch voll Mitgefühl
mit den schwarzen Sklaven der Industrie.
Da kam Meunier, und auch ihn faßte ein tiefes
Erbarmen mit dem elenden Dasein dieser Menschen.
Als er ihnen aber nähertrat, da sah er noch etwas
anderes, woran all die Tausende vor ihm achtlos vor
übergegangen waren.
Er entdeckte die pla
stische Schönheit der
Arbeit. Aus all dem
Lärm der Hüttenwerke,
dem Gedröhn der Häm
mer, dem Zischen des
rotglühenden Eisens,
dem Pfeifen der Dampf
maschinen klang ihm
das Hohelied der Ar
beit entgegen, der
Schöpferin aller Kul
turwerte.
„Jeder Künstler
muß aus seiner Zeit
heraus schaffen. “Wenn
einer, so hat Meunier
es getan. Und zwar
liegt das Zeitgemäße
seiner Werke weniger
in der Wahl des Stoffes
als in seiner Auffas
sung. Erst in der Zeit
des Industrialismus, in
der Tausende von
Arbeitern auf engem
Raume zusammenge
drängt mit der Hilfe
der unterjochten Na
turkräfte eine nie ge
kannte Fülle neuer
W erte schaffen, —
erst in der Gegenwart
konnte die staunende
Ehrfurcht vor der
Schöpferkraft der Ar
beit und die liebende
Hingabe an ihre Schönheit erstehen. Und auch das Mit
gefühl für den Menschen war neu geworden. Nach
einer Zeit des Kampfes von allen gegen alle hatten sich
die Menschen, verloren im chaotischen Spiel der Wirt
schaftskräfte, wieder näher aneinander geschlossen. Neue
Organisationen entstanden, ein neues Solidaritätsgefühl,
neue Menschenliebe.
Diese ehrfurchtsvolle Hingabe an die Schönheit der
Arbeit und das tiefinnerste Miterleben der Leiden, die
die Arbeit Menschen und Tieren bringt, bilden die Grund
stimmung fast aller Werke Meuniers.
Der überwältigende Eindruck der neu entdeckten
plastischen Schönheit läßt den 54jäbrigen Maler nach
andern Ausdrucksmitteln suchen. Meunier wird Bild
hauer, und nun entstehen in rascher Reihenfolge jene
herrlichen Bronzen, die den Hüttenarbeiter schildern: in
der Bewegung, wenn der heroische Kampf mit der
glühenden Eisenmasse alle Muskeln aufs äußerste spannt,
und in der Ruhe, wenn der Körper nach der übergroßen
Wohnzimmer für die Ausstellung Paris 1906. Von der Künstlerkolonie in
Darmstadt ausgestellt. Nach „Olbrichs Ideen“, Verlag Baumgärtner-Leipzig