Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1906)

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BAUZEITUNG 
Nr. 19 
Projekt A für ein Miethaus in Wien von Robert Farsky.*) Ans der 
Wagner-Schule, Verlag Baumgärtner-Leipzig 
Künstler muß der Göttin folgen auf ihrem Siegeslauf 
durch die Zeiten; nur der rastlos Strebende bleibt 
Künstler, der auf errungenem Standpunkt Verharrende 
sinkt zum Handwerker herab, der erlernte Handgriffe 
ausübt und glaubt noch immer der Kunst zu dienen, 
während ihn die Göttin schon längst verlassen, zurück 
gelassen hat. Der Künstler lernt nie aus, er kann nie 
etwas schaffen, das er nicht schon beim nächsten Ver 
such zu übertreffen trachtet, er schreitet immer mit der 
Muse fort, — nur eines bleibt stehen, bleibt ewig und 
unabänderlich das gleiche: der Kunstgedanke, das Prinzip 
der Kunst, die Basis seines Schaffens. 
Diesen Fortschritt der Kunst zu fördern, ein 
Weniges beizutragen zu dem Schaffen der Kunstwelt, 
zu helfen der Muse den Weg zu ebnen, das ist der 
Wille, der die ganze Schule beseelt, der sie zu rastlosem 
Ringen hinreißt. Von diesem Standpunkte aus sind auch 
ihre Arbeiten zu betrachten; nicht etwas abgeschlossen 
Geschaffenes sollen sie sein, sondern ein Produkt des 
*) Die beiden Projekte A und B sind für ein Miethaus Ecke 
Stubenring-Kai in Wien. Das Grundstück hat die Form eines spitzen 
Winkels mit weggeschnittener Spitze. 
Strebens, eine Anweisung, ein Hinweisen auf noch 
zu lösende Probleme. Es sind keine fertigen Ar 
beiten, sie sind nur so weit fertig gestellt, als es 
die Lösung der Aufgabe erheischt, daß der Grund 
gedanke frank und frei dastehe, aber nicht so mit 
Tand behängen, mit Details überladen, daß man 
aus all den Einzelheiten nicht den Kern der Sache 
findet. 
Diese Grundprinzipien hat unser hochverehrter 
Meister der Schule als Seele eingehaucht und sein 
Odem lebt in uns fort; wir wollen ihm folgen in 
seinen Bestrebungen, das Schaffen der Kunstwelt 
in die richtigen Bahnen zu leiten, wollen unter 
seiner Führung, an seiner Seite den Kampf mit 
kämpfen gegen die starrsinnig verteidigten Doktrinen 
über die Anwendung stilreiner und gut kopierter 
Formen vergangener Jahrhunderte, gegen das Hand 
werksmäßige in der Kunst, wollen mit unsern jungen 
Kräften ihm helfen bei dem Titanenwerke. Wir 
wollen die Aufgabe erfüllen, zu der er uns berufen 
hat, durch Tat und Wort und Schrift seinen Geist 
verbreiten, seine Lehren verkünden, sein Werk för 
dern, wollen sein Wort wahr machen; 
„Sie werden Kinder ihrer Zeit sein; 
ihre Werke werden den eignen Stempel 
tragen, sie werden ihre Aufgabe als Fort 
bildner erfüllen, ihre Sprache wird der 
Menschheit verständlich sein, in ihren 
Werken wird die Welt das eigne Spiegel 
bild erblicken. 
Wien. Karl Maria Kerndle. 
lieber die Grartenstadtbewegimg‘ 
äußert sich das Jahrbuch der Wohnungs 
reform (II. Jahrgang, herausgegeben vom Deutschen 
Verein für Wohnungsreform, verfaßt von Otto Meiß- 
geier unter Mitwirkung von Dr. K. v. Mangoldt) 
in bemerkenswerter Weise. Nach Ausführungen 
über die Bedeutung einer konsequenten staatlichen 
Verkehrspolitik heißt es S. 30—33; 
„Eine weitblickende Verkehrspolitik wird gewiß 
viel zur Dezentralisation der Bevölkerung und der 
Industrie beitragen, doch muß sie durch eine plan 
mäßige Ansiedelungspolitik ergänzt werden; denn es 
läßt sich nicht bestreiten, daß eine Dezentralisations 
bewegung, die ohne einen bestimmten Plan, nament 
lich bezüglich der Verteilung der Wohn- und 
Arbeitsstätten, nur der Ausweitung des Verkehrs 
folgt, manche Mängel aufweist. So lassen sich be 
sonders gegen eine zu weite Entfernung von Wohn- und 
Arbeitsstätte gewisse Bedenken geltend machen. Aus 
den schon genannten Untersuchungen des badischen Fa- 
brikinspektors Dr. Fuchs über ,Die Verhältnisse der 
Industriearbeiter in 17 Landgemeinden bei Karlsruhe' 
geht zum Beispiel hervor, daß es für die Arbeiter, die 
in der Stadt ihre Beschäftigung haben, kein großer Ge 
winn ist, weit draußen auf dem Lande zu wohnen . . . 
Es ist daher zweifelhaft, ob Dezentralisationsbestrebungen, 
die darauf hinauslaufen, fern von dem Erwerbsleben der 
Großstadt reine Wohngemeinden zu gründen, wenigstens 
für den Arbeiter viele Vorteile bringen werden. 
Nun sind zwar in vielen Fällen die Nachteile der 
weiten Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte 
aufgehoben worden, indem die Industrie selbst an die 
Peripherie der Städte oder auf die Vororte gewandert 
ist. Aber auch hier sind vorderhand noch mannigfache 
Schwierigkeiten zu überwinden. Es wird damit vielfach 
die Entstehung von Arbeitervororten gefördert. Eine 
derartige Absonderung einzelner Bevölkerungsschichten 
ist einmal aus sozialen Gründen nicht zu empfehlen, dann 
sind aber auch solche Vororte finanziell wenig leistungs-
	        
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