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BAUZEITUNG
Nr. 23
Kräfte kann auf Grund der „Deut
schen Leitsätze“ oder nach Prof.
W. Ritter-Zürich, der zwei wett
eifernden Berechnungsweisen, ge
löst werden. Die erstere gilt
mehr für die Verhältnisse in der
Nähe des Bruches, die zweite be
rücksichtigt mehr die Tatsache,
indem bei den gewöhnlichen Kon
struktionen die Glieder nicht bis
auf Bruch beansprucht werden
sollen. Die Neutralachse geht
ziemlich durch die Querschnitts
mitte, insofern die angenommenen
Belastungen wirken. Mit zu
nehmender Belastung verschiebt
sich die Neutralachse nach oben
und stimmt die Lage derselben in
der Nähe des Bruches mit der
nach den „Leitsätzen“ bestimmten
ziemlich überein. Dieser so nach
gerühmten Eigenschaft könnte ent
gegengehalten werden, daß dann
auch die Formeln für die Berech
nung der inneren Kräfte der me
tallischen und andern Konstruk
tionen, die bis zur Elastizitäts
grenze gelten, also nicht bis zum
Bruche, wo die Proportionalitäts
gesetze aufhören, unbrauchbar wären und daß man die
jenigen aufstellen sollte, die in der Nähe des Bruches
Gültigkeit haben.
Nach den „Leitsätzen“ werden die Zugspannungen im
Beton einfach ignoriert, und die Formeln sagen uns Un
mögliches, indem das Eisen allein gezogen wäre. End
lich haben dieselben keine allgemeine Gültigkeit. Die
Methode Ritter dagegen hat allgemeine Gültigkeit und
ist für jede Armierungsart und Querschnitts
form in gleicher Weise verwendbar.
Da aber die zulässigen Spannungen nicht nur mit
dem Material, sondern auch mit der Berechnungsweise
veränderlich werden, so ergehen die beiden Methoden
verschiedene, wenn auch nicht weit auseinander liegende
zulässige Beanspruchungen. In den folgenden Berech
nungen von ausgeführten Brücken werden beide Methoden
berücksichtigt und können auf Grund der Verschieden
heit derselben die entsprechenden Schlüsse gezogen werden.
Es ist darauf zu merken, daß Bauwerke aus Eisenbeton
stets vorzügliches Material und sorgfältige Ausführung
voraussetzen, sonst wird die beste und schönste Berech
nung wertlos.
Zum Schlüsse dieser allgemeinen Betrachtungen soll
noch bemerkt werden, daß mehr als kaum anderswo die
Literatur des Eisenbetons eine überaus große Anzahl von
Berechuungsweisen aufweist. Nur der anerkannten Güte
des Materials und dem praktischen Gefühle der Konstruk
teure ist es zu verdanken, daß die praktische Tätigkeit nur
wenig darunter zu leiden hatte. Die Möglichkeit vielseitiger
Aenderungen in den Eigenschaften des Verbundkörpers
haben zu einseitigen Betrachtungen den Anlaß gegeben.
Täglich werden neue Formeln zur Berechnung der Eisen-
hetonkonstruktionen erfunden, und es scheint hier die
üble Tendenz eingebrochen zu sein, daß man stets ein
fachste Formeln sucht, aus dem Techniker eine Maschine
ausbilden möchte, um so auf Grund leichtverdaulicher
Formeln in der Berechnungsweise Kunstwerke der In
genieurtechnik zu schaffen. Diese Tendenz ist zur Spie
lerei ausgeartet, und es wäre zu empfehlen, Versuche oder
Beobachtungen an ausgeführten Werken zu fördern und
ein Material zu schaffen, auf Grund dessen allgemeine
Schlüsse gezogen werden können, als weiter in dieser
Richtung zu verbleiben.
ßeichsgerichtliclie Entscheidung
Die wichtige Frage: Kann ein Hausbesitzer, wenn
er auf seinem Umbau Schaden erleidet, Ansprüche
an den Bauunternehmer stellen? wurde von dem
Reichsgericht in bemerkenswerter Weise entschieden.
Ein Hausbesitzer hatte einen Bauunternehmer be
auftragt, das neben dem Laden liegende Zimmer zum
Laden umzubauen. Nachdem der Fußboden des auszu
bauenden Raumes von den Leuten des Bauunternehmers
mit Brettern bedeckt, diese mit Arbeitsmaterial, Ge
räten u. s. w. belegt waren, betrat der Hausbesitzer, um
zu sehen, wie weit der Bau vorgeschritten, diesen Raum,
brach hierbei durch und stürzte in den Keller, wobei er
sich erhebliche Verletzungen zuzog.
Der Hausbesitzer stellte nun Schadenersatzanspruch an
den Bauunternehmer, welcher auch von dem Landgericht
als gerechtfertigt erklärt wurde. Das Reichsgericht war
jedoch andrer Ansicht und hob in seiner Entscheidung
vom 8. Dezember 1905 das Urteil des Landgerichts unter
folgender Begründung auf: Zwar sagt das Bürgerliche
Gesetzbuch in den Paragraphen 633 bis 636, „daß der
Unternehmer verpflichtet ist, das Werk so herzustellen,
daß es die zugesicherten Eigenschaften hat und nicht mit
Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit
zu dem gewöhnlichen oder dem nach dem Vertrage voraus
gesetzten Gebrauch heben oder mindern“. Es handelt
sich aber in diesen Paragraphen um eine Schadenersatz
pflicht des Bauunternehmers „nach Fertigstellung des
Werkes“. In vorliegendem Fall fragt es sich aber, ob
die Verpflichtung zur vertragsmäßigen Herstellung des
auszuführenden Werkes „schon während der Ausführung“
hervorgetreten und demgemäß die Haftung für einen durch
mangelhafte Ausführung in diesem Stadium verursachten
Unfall aus dem Vertrage hergeleitet werden kann. Es
kommt hierbei darauf an, sagt das Reichsgericht, ob der
Bauunternehmer darauf zu rechnen hatte, daß der Haus
besitzer (der Bauherr) die Baustelle betritt. Hierzu
mußten aber berechtigte Gründe vorliegen, die das Be
treten erforderlich machten und auch dem Bauunternehmer
erkennbar waren. Dies war jedoch nicht der Fall, die
bloße Neugierde des Bauherrn allein, sich über den Fort
schritt des Werkes u. s. w. zu informieren, kann als