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BAUZEITUNG
Nr. 24
alten Gebäudes überhaupt zu verwerfen und es nur in
seinem Bestand zu erhalten sei. Keinesfalls dürfe etwas
Neues geschaffen werden, selbst wenn es auch ganz im
Geist des alten Baumeisters oder nach den alten Plänen
wiederaufgebaut werden könnte. Das nennen diese Herren
Fälschung! Aber was wird dann mit unsern zahlreichen
alten Kunstdenkmälem werden? Man denke nur an die
Brunnendenkmäler und die kleineren Schmuckwerke
gotischer Architektur. Flicken hält, wie die Erfahrung
lehrt, nur eine beschränkte Anzahl von Jahren, und dann
erfolgt der Zerfall des Denkmals um so rascher, je mehr
fremde Körper: Zement, Eisenbeton, Blei und alle mög
lichen andern Bindemittel angewendet werden.
Was nun speziell den Otto Heinrichs-Bau anbelangt,
so muß vor allem betont werden, daß die Fassade noch
sehr gut erhalten, in allen Teilen aufgenommen und photo
graphiert, ja sogar schon im Jahre 1880 in Gips ab
geformt worden ist. Von einem Hineinpfuschen oder
Erneuern nicht mehr vorhandener Teile in anderm Geist
der ehemaligen Zwerchgiebel, welche 1659 erneuert
wurden.
Es geht ferner aus einem Vergleich der sogenannten
Krausschen Giebel mit der Wetzlarer Zeichnung und den
noch stehenden Resten dieser Giebel hervor, daß der
Architekt nach dem Brand von 1632 diese Griebel mit
Ueberresten der ursprünglichen Giebel ausgeführt hat.
Man sieht bei Kraus dieselben Schnörkel, Fenster
stellungen und Pilaster wie auf der Wetzlarer Skizze,
nur mit dem Unterschied, daß am Giebel die Nischen-
tiguren Sol und Luna fehlen. Schäfer hat in seinem
Entwurf diese Figuren an ihrer jetzigen Stelle belassen,
kommt damit aber aus der Achse des Giebels heraus.
Bin schon von Koßmann beobachteter Umstand läßt aber
erkennen, daß diese Figuren nur vorgeblendet sind und
daher nicht mehr au ihrem ursprünglichen Platz stehen.
Wir müssen demnach folgerichtig diese Figuren an die
Giebel in eine von den beiden leerstehenden Nischen der
Wetzlarer Zeichnung versetzen.
Ä
Saminelsclmlliaus in Stuttgart, Turnhalle (Grundriß)
kann also von vornherein keine Rede sein. Die Fassade
kann, wie sie ist, in der Hauptsache erhalten bleiben,
und die Frage ist nur die: ist das Mauerwerk noch fähig,
die beiden ursprünglichen Giebel zu tragen? Auch
das wurde von verschiedenen Seiten bejaht, obgleich die
Gegner der Restauration das in Abrede stellen wollen.
Es ist kaum glaublich, was alles mögliche versucht
worden ist, um die Griebel abzulehnen. Sie seien nicht
im ursprünglichen Plan vorgesehen, ein Werk späterer Zeit
und von dem Kurfürsten Friedrich V. vor 1620 wieder
entfernt worden, obgleich die Giebel auf den Abbildungen
von Merian von 1620 und später deutlich sichtbar sind.
Auch sucht Koßmann aus der Lage der obersten Stein
schichten zu beweisen, daß der Bau ursprünglich eine
Balustrade trug, u. dergl. mehr.
Sehr ungeschickt kam dann den Ruinenschwärmern
die Auffindung der Wetzlarer Skizze im Jahre 1902;
daraus ist zu ersehen, wie die Giebel im Jahr 1616 aus
gesehen haben. Wir treffen dort die schon im Vertrag
mit Colin aufgeführten Löwen, und was besonders wichtig
ist, wir finden die Architektur der unteren Kuppel
fenster und die sie trennenden Doppelpilaster in ge
nauer Uebereinstimmung mit den noch stehenden Resten
Die Agitation gegen die Wetzlarer Zeichnung ist übel
angebracht, sie ist über allen Zweifel erhaben, wenn auch
R. Alt, der Hauptagitator gegen die Bedachung, auf dem
Denkmaltag ausruft: Die Forschungen über den früheren
Zustand der Bedachung seien durch den Wetzlarer Fund
noch lange nicht abgeschlossen. Ich halte diese Frage
für abgeschlossen, die beiden hohen Giebeldächer waren
vorhanden, sie gehören zum ursprünglichen Projekt und
sind jedenfalls bis 1620 gestanden, sind aber dann durch
Brand, man weiß nicht genau wann, vielleicht schon 1622,
zerstört worden. Ein zweiter Brand fand 1632 statt, das
geht aus dem Text bei Merian und andern Quellen her
vor. Etwas Schwierigkeit macht die Bestimmung des
Zeitpunkts der Erbauung der sog. Krausschen Giebel.
Bekanntlich steht auf dem Sockel eines der Löwen auf
dem Krausschen Stich die Jahrzahl 1659, welche Zahl
deshalb angezweifeit wird, weil zwischen den Ziffern L
und IX ein etwas größerer Zwischenraum liegt. Da nun
in den Baurechnungen von 1649 die Stelle vorkommt:
„Dem Zimmermann von dem Dachwerk mit sampt seinen
Zwerggiebeln u.s.w, auszubessern 20011.“ und nachher:
„Dem Steinmetz und Bildhauer vor den gegen dem . . .
zu eingefallen halben Giebel wiederumb zu machen und