SOI
BAUZEITUNG
Nr. 26
müssen. Denn man hätte es aus Rücksichten auf die
Sicherheit des Betriebes und auf das Publikum kaum
wagen können, Züge i m Tunnel selbst warten zu lassen.
Fernere Nachteile wären gewesen die hohen Kosten der
unerläßlichen Beleuchtung, Bewachung und fortwährenden
Unterhaltung in den Tunnels. Diese Nachteile machten
es für die Kgl. Generaldirektion unmöglich, den Entwurf
als Unterlage für weitere Projektierung zu benutzen.
Auch andre kamen zu demselben Ergebnis, vergl. die
Artikelserie des Prof. Karl Schmidt: „Die Stuttgarter
Bahnhnhoffrage“ im „Neuen Taglatt“.
Der vorliegende neue Entwurf eines Durchgangsbahn
hofs verdankt sein Entstehen der üeberzeugung, daß der
Sprickerhoffsche Entwurf nicht alle Möglichkeiten der
Lösung erschöpfte und daß die Schwierigkeiten für den
Bau eines Kopfbahnhofs in Stuttgart volle Berech
tigung dazu gehen, zu versuchen, ob es nicht doch
möglich sei, eine neue, bessere Lösung für einen Durch
gangsbahnhof zu finden.
II. Kopfbahnhof oder Durchgangsstation.
Die Vorteile einer Durchgangsstation gegenüber einem
Kopfbahnhof können im allgemeinen als bekannt voraus
gesetzt werden. Sie gelten, solange nicht das Gegen
teil bewiesen wird, ohne weiteres auch für die Stuttgarter
Bahnhofsanlagen, zumal wenn man über die Entwicklung
des Stadtzentrums hinaus den Blick auf die Großstadt
gemeinde richtet. Was liegt dann näher als ein An
schluß der Ludwigsburger u. s. w. Bahn über Ostheim-
Wangen an die linksufrige Neckarbahn? Dann können
alle Züge durch Stuttgart hindurchgeleitet werden und
nicht mehr bestimmt wie heute die — sagen wir — Auf
nahmefähigkeit des Stuttgarter Bahnhofs den Zugverkehr
im ganzen Lande.
Man darf sich keiner Täuschung hingeben. Unver
kennbar rückt der Schwerpunkt Stuttgarts nach dem
Neckartale hin. Wird nicht jetzt so disponiert, daß die
Berührung des Stuttgarter Tals mit dem kleinstmög-
lichen Aufwand an Zeit und Mühe erfolgen kann, so
wird die Entwicklung der Großstadtgemeinde mit der
Zeit doch noch auf einen Hauptbahnhof im Neckartal
hindrängen.
Die Gründe gegen den Schloßstraßenentwurf wiegen
schwer. Geht man aber einmal mit dem Empfangs
gebäude hinter die Schillerstraße zurück, so fehlt dem
Kopfbahnhof auch der letzte Vorzug vor dem Durch
gangsbahnhof, das tiefere Eindringen in den Stadtkern.
Das Schloßstraßenprojekt würde eine ohne
hin wertvolle Gegend unnötig steigern, eine
j etzt sc hon vernachlässigte für alle Zeiten kalt
stellen und die untere König
straße unaufgeschlossen lassen.
Eine Zurückverlegung des
Bahnhofs würde, ohne den Wert
des Geländes am jetzigen Bahn
hof zu vermindern, eine ganze
Stadtgegend heben und so, statt
einer Verschärfung der Gegen
sätze, eine Ausgleichung an
bahnen.
III. Neues Projekt für einen Dnrch-
gangsbalinhof.
a) Allgemeine Darstellung des
Pr oj ektes.
Die wichtigsten Teile des neuen
Projektes sind in folgenden Punkten
enthalten.
1. Von dem Bahnübergang hei der
Reparaturwerkstätte in Cannstatt steigt die Bahn mit
1:471 bis zum Bahnhof Cannstatt.
2. Der Bahnhof Cannstatt wird von Höhe 222,73 auf
Höhe 226,50 gelegt, also um 3,77 m gehoben. Dadurch läßt
er sich neuzeitlichen Ansprüchen entsprechend umbauen.
3. Durch die Hebung des Bahnhofs werden die häß
lichen Unterführungen der Karlstraße und der König
straße vollständig verbessert.
4. Die Bahntrace Cannstatt—Stuttgart überschreitet
ßgleisig (2 Ferngleise, 2 Lokalgleise, 2 Gütergleise)
unterhalb der bisherigen Eisenhahnhrücke den Neckar,
unterfährt als Untergrundbahn den Rosensteinpark nörd
lich des Schlosses und zieht sich im allgemeinen in der
Linie der bisherigen Verbindungsbahn bezw. wenig nörd
lich von ihr bis an den Fuß des Englischen Gartens, wo
sie nördlich des jetzigen Tunnels der Verbindungsbahn
den Rebenberg umfährt, die Wolframstraße überschreitet
und mit einem Bogen von ca. 320 m Radius sich den
Gleisen der Ludwigsburger Bahn anschmiegt.
5. Der neue Stuttgarter Hauptbahnhof ist ein Durch
gangsbahnhof mit einer von Nord nach Süd gerichteten
Längsachse. Das Bahnplanum liegt auf Höhe 252,00. Die
Bahnhofshalle ist mit dem Radius 1150 m gekrümmt.
6. Hinter der Bahnhofshalle vereinigen sich die Gleise
wieder; sie überschreiten auf steinernen bezw. eisernen
Viadukten die Kgl. Anlagen unterhalb der Eberhards
gruppe, ferner die Neckarstraße dicht oberhalb der
Sängerstraße.
7. In einem 1200 m langen Tunnel mit nachfolgendem
Einschnitt*) unterfährt die Bahn den Ameisenberg in
östlicher Richtung und erreicht hinter dem Ostportal des
Tunnels die im Schwerpunkt von Gablenberg, Gaishurg
und Ostheim gelegene „Haltestelle Ostend“.
8. Hinter dieser Haltestelle unterfährt die Bahn den
südlich von Gaishurg gelegenen Höhenrücken und erreicht
das linksufrige Neckartal im Bahnhof Wangen.
9. Vom Bahnhof Wangen aus folgt die Bahn der
"Trace der projektierten linksufrigen Neckartalbahn bis
Plochingen.
10. Der Bahnhof Wangen erhält einen Rangierbahnhof,
welcher dazu dient, den Güterverkehr aus dem Neckar
hafen zu bewältigen. Eventuell ließe sich dort ein Ab
stellbahnhof für die von Böblingen, Ludwigsburg, Cann
statt her endigenden Züge anlegen. Dann besäße Stuttgart
für die beiden Hauptfahrtrichtungen je einen Abstell
bahnhof in der Richtung der ankommenden Züge.
11. Von Wangen führt eine Verbindungsbahn über
den Neckar nach dem Bahnhof Untertürkheim, ebenso
von Untertürkheim nach der Wangen—Plochinger Bahn.
) Im Plan ebenfalls als Tunnel bezeichnet.