Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1906)

25. August 1906 
BAUZEITUNG 
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Interieurs finden wir noch zahlreiche Möbel, Teppiche 
und andre Textilien, Keramiken u. s. w., woran H. E. 
y. Berlepsch, O. Eckmann, A. Endeil, H. Obrist, Familie 
Heider ganz besonders beteiligt waren. Wir glauben 
annehmen zu dürfen, daß gerade Geschmacksmeister wie 
Theodor Fischer am wenigsten daran denken, durch derlei 
Arbeiten die Hauptarbeit der Hausfrau auszuschalten. 
Derlei Interieurwerke haben am ehesten eine Be 
deutung insofern, als sie das vom Volk und von den 
Künstlern Herausgegebene zusammenfassen und weiter 
wirken lassen. Dann gelangen sie auch am ehesten zu 
einem sogenannten Stile, während auf die jetzige Weise 
wohl vergeblich nach einem Stile gerangen wird. 
Stellen wir die Interieurkunst mit der eigentlichen 
Baukunst zusammen, so ist wiederum ein partieller Ver 
gleich möglich. Auch der Architektur nutzt ein Ent 
wurf, der lediglich aus der Phantasie des Künstlers 
heraus ein maßgebendes Vorbild sein soll, wenig. Immer 
hin kommt hier die Feststellung von vornherein deshalb 
mehr in Betracht, weil hier das Technische größere An 
sprüche macht als in der Gestaltung eines Wohnheimes. 
Allein man weiß, daß auch der Architekt einem gegebenen 
generellen oder individuellen Zwecke dient, daß er bei 
spielsweise die Form einer Kirche auf den Kultus gründet, 
dem sie dienen soll. 
Der Interieurktinstler kann ein naturgemäßes Kunst 
werk ebenfalls nur dadurch schaffen, daß er es auf einen 
Kultus gründet, auf den Kultus des intimen Wohnens. 
Wo immer solche Grundlagen mißachtet werden, gehen 
Phantasie und Geschmack leicht bis zu Phantastik und 
Ungeschmack. Man überbietet sich in originellen Spezial 
formen und schwingt oder schweift etwa einzelne Teile 
eines Stuhles in unerwartete Linienzüge. Noch immer 
haben wir nicht das richtige Widerstandsgefühl gegen 
die falsche Originalität des kapriziösen Gehens auf Seiten 
wegen. Doch hier eröffnet sich ein andres Thema: das 
von der Basierung der Kunst auf physischen und psychi 
schen, auf individuellen und sozialen Grundlagen. 
Diejenige Grundlage, die uns diesmal interessiert, ist 
das individuelle Leben des Wohnungsinhabers, zumal der 
Hausfrau. Diese soll heute gegenüber dem Künstler nur 
die Nehmende sein und wird als die Gebende von ihm 
ignoriert. Das führt am sichersten dazu, daß er sie 
schließlich auch nicht mehr als Nehmende haben wird. 
Die Auswahl zwischen den Quadraten des einen und 
den Rauten des andern Künstlers auf der Ausstellung 
wird ihr schließlich mindestens zu langweilig werden. 
Und wie die forcierte Interieurkunst die einzelnen 
Kunstgewerbe heute beherrscht, so wird sie diese, denen 
sie die Selbständigkeit zu entziehen sucht, bald auch nicht 
mehr als Diener haben. Schon oben wurde bemerkt, 
daß der hohe Stand der Kunstgewerbe in der Vergangen 
heit ohne ihre vielleicht sehr eigenwillige Selbständigkeit 
nicht wohl möglich gewesen wäre. So sehen wir denn 
heute einzelne Kunstgewerbe unter dem Drucke des 
Interieurs kümmerlicher leben, als sie nötig hätten. 
In Kreisen, in denen man eine hohe Entwicklung der 
Behangkunst mit ihren ästhetischen Spezialitäten, wie z.B. 
der Palte, sehr gut brauchen kann, läßt man gerade diese 
Seite der Ausstattungskunst verkümmern. Unsre typischen 
Ausstellungsinterieurs scheinen das Gardinen werk und den 
sonstigen Behang bereits in einer ebenso extremen Weise 
für überwunden zu halten, wie sonst die Hausfrauen mit 
dem entgegengesetzten Extrem eines Uebermaßes von 
Gardinen u. s. w. die Praxis und Aesthetik des Interieurs 
stören. Diese puritanische Mißachtung eines der wich 
tigsten Bestandteile der Innenkunst macht sich auf ver 
schieden tliche Weise bemerkbar. Wer die moderne Kunst 
und ihre Literatur verfolgt, wird etwa auf zehn Interieurs 
nur eine gewichtigere Darbietung im Tapetenwerke finden; 
und dann ist es vielleicht wenig mehr als „Bespannung“. 
Die Tapezierkunst engeren Sinnes hätte gerade durch 
die Interieurhetze gewinnen können, hat aber in der 
letzten Zeit tatsächlich gelitten, wahrscheinlich nicht 
ohne Zusammenhang mit jener Hetze. An die Zeit von 
Louis XVI., an die ganze Welt der Gobelins und der 
goldgestickten Seidentapeten reicht die heutige Tapezier 
kunst schwerlich heran. Sie besitzt eine sozusagen schöne 
geschichtliche Entwicklung; es ist, als sei diese abge 
rissen. Auch die neuen ornamentalen Formen unsrer 
Zeit haben manche Gattung der angewandten Kunst, 
wie z. B. die der Buchausstattung, reichlicher erobert, 
als sie es mit der Tapetenkunst getan haben. — Inzwischen 
wächst in die Interieurkunst mehr und mehr ein Be 
standteil hinein, der hier, speziell in der Wandverklei 
dung, noch manche Umformungen bewirken kann: die 
Kunst des harten Belages. Die Mosaik, die Fliese, so 
dann die Anwendung von Marmor, Onyx u. s. w. für 
Teilansichten der Diele 
Architekt Richard Gebhardt, Stuttgart
	        
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