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DENKMALPFLEGE UND MODERNE KUNST *
VORTRAG, GEHALTEN AUF DEM VI. TAG FÜR DENKMAL
PFLEGE IN BAMBERG 1905 VON DR. GEORG HAGER,
KÖNIGE. KONSERVATOR AM BAYER. NATTONALMUSEUM
UND AM KÖNIGLICHEN GENERALKONSERVATORIUM DER
KUNSTDENKMALE UND ALTERTÜMER BAYERNS.
Denkmalpflege und moderne Kunst sind scheinbar zwei
sich ausschließende Begriffe. Die Denkmalpflege ist den
Werken der Vergangenheit gewidmet, die moderne Kunst
soll ein Kind der Gegenwart sein. Und dennoch wird
die Denkmalpflege dann am besten gedeihen, wenn sie
Hand in Hand mit der lebenden, nach eignen Ausdrucks
formen ringenden Kunst geht. Die Denkmalpflege hat
einen langen und weiten Weg zurückgelegt, bis sie zu
dieser Erkenntnis gelangte. Anfang und Ende des Weges
sind gänzlich verschieden, so verschieden, daß wir fragen
können, ob denn der Weg am Ende derselbe ist wie der,
welcher vom Ausgangspunkte weg führte. Und doch läuft
der Weg vom Anfang bis zum Ende gleichmäßig und
folgerichtig fort; es ist nicht einmal ein Umweg, es ist
der gerade Weg, wie die künstlerische Entwicklung des
19. Jahrhunderts ihn bedingte.
Das Streben, die alten Bau- und Kunstwerke zu erhalten,
ist wesentlich ein Kind der Zeit der Romantiker. Lange
verstand man darunter ein Wiederherstellen der alten
Denkmäler in ihrer ursprünglichen Form unter Beseiti
gung der späteren Zutaten. Die Restauration einer mittel
alterlichen Kirche hatte vor allem drei Ziele: es galt,
spätere An- und Einbauten und spätere Einrichtungs
gegenstände, weil sie die Stileinheit und die Stilreinheit
störten, zu entfernen; es galt zweitens, den so verbleibenden
Rest des mittelalterlichen Werkes auszubessern, zu festigen
und zu verschönern, und es galt drittens, der Stileinheit
zuliehe die neuen Zutaten und Einrichtungsgegenstände
in dem mit der Kirche übereinstimmenden Stil zu schaffen.
Etwa ein halbes Jahrhundert lang waren die Kunst- und
Altertumsfreunde und mit ihnen unsre Architekten aus
schließlich in diesem Sinne tätig. In den siebziger und
vor allem in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts
brach allmählich die Anschauung durch, daß die Forderung
der Stileinheit ein Irrtum sei, dem eine ganze Masse von
Denkmälern zum Opfer gefallen war. Es setzte sich die
Ueberzeugung fest, daß alle Stilarten ihre Berechtigung
haben, daß die verschiedensten Stilerzeugnisse nebenein
ander zu dulden seien, so wie sie im Laufe der Jahr
hunderte sich in einem Raume zusammengefunden. Und
aus dieser gleichmäßigen Wertschätzung aller Stilarten
rang sich endlich die Erkenntnis durch, daß überhaupt
* Vergleiche Nr. 27 und 28 unsere II. Jahrganges: „Der Vorbau an
der Goldenen Pforte zu Freiberg in Sachsen.“
nicht das Restaurieren, sondern das Konservieren das
Ziel der Denkmalpflege sei.
Aber es ist uns doch nur in verhältnismäßig wenigen
Fällen vergönnt, uns auf eine lediglich konservierende,
vor allem auch das Auswechseln völlig verwitterter Werk
stücke, die Behebung von Schäden aller Art bezweckende
Tätigkeit, die heute zu einer förmlichen Kunst entwickelt
ist, zu beschränken. In den meisten alten Bauten, welche
noch in Benutzung stehen, muß außerdem auch den Be
dürfnissen der Gegenwart Rechnung getragen werden.
Eine Kirche, ein Rathaus, ein bürgerliches Haus ist kein
Museumsgegenstand, der sorgfältig konserviert und vor
allen Veränderungen bewahrt werden kann. Alle diese
Bauten sind, wenn sie noch ihrer ursprünglichen Zweck
bestimmung dienen, lebendige Organismen. Die gegen
wärtig so rasch wachsende Bevölkerung bedingt die Ver
größerung zahlreicher Kirchen. Der religiöse Sinn will
und muß sich in der Anschaffung neuer Kunstwerke in
den alten Gotteshäusern betätigen. Aehnlich müssen oft
unsre Rathäuser erweitert werden. Die Bürgerschaft
erhebt mit vollem Recht den Anspruch, nach dem Bei
spiele der Vorfahren zur Verschönerung ihrer öffentlichen
Gebäude nach eignem Geschmacke beizutragen. Und der
Privatmann will sein altes Haus für die neuzeitlichen
Bedürfnisse adaptieren. Wo Leben ist, ist kein Platz
für ungestörtes Beharren.
Kurz, bei der großen Mehrzahl unsrer Baudenkmäler
kommen wir über die Zutat von Neuem, über Erweite
rungen, Anbauten, über Neuschöpfungen nicht hinweg.
Bei diesen neuen Zutaten halten wir gewöhnlich noch aus
schließlich an der Nachahmung der alten historischen Stile
fest. Wir erweitern zum Beispiel eine gotische Kirche in
gotischem Stil, wir bauen an ein romanisches Gotteshaus
einen romanischen Turm, wir führen den Anbau einer
Barockkircbe in barocken Formen aus, wir stellen in eine
gotische Kirche gotische, in eine Rokokokirche Rokoko
altäre, wir verlangen für eine gotische Kapelle Glas
malereien, die nicht nur in der Farbenwirkung, sondern
auch in der Zeichnung der oder jener gotischen Stilphase
folgen. Freilich, wo der alte Bau, wie so häufig, selbst
keine Stileinheit zeigt, ergibt sich bei diesem Verfahren
manches Kopfzerbrechen. Aber wir pflegen trotzdem
stets einen Ausweg zu finden; denn wir müssen ihn finden,
da ein Entwerfen in neuen Formen oder in völlig freier
Verwendung alter Formen verpönt ist. So schaffen wir
in derselben Weise wie vor fünfzig Jahren weiter, im
Geiste des Gebotes der Stileinheit, das wir doch bereits
als irreführend erkannt haben. Nur in der Art der Aus
führung unterscheiden wir uns von der früheren: wir
legen viel mehr Wert auf Treue der Stilimitation als die
vorangehende Generation. Wir verfügen über eine in-