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BAUZBITUNG
Nr 49
Landhaus in Sehopfheim, Preis 102000 M., d. i. 20 M. pro cbm. Architekt Professor
P. Schnitze - Naumburg. Aus Haenel-Tscharmann „Das Einzelwohnhaus der Neuzeit“
Es ist so recht geeignet, die moderne Kultur in ihren
Schattenseiten und Kehrseiten zu kennzeichnen. Ueberall
da, wo Sinn für Familienleben, für Heimkultur herrscht,
wo das Gemütsleben innig und vertieft, nicht aber ver
flacht und veräußerlicht ist, muß als erste Voraussetzung
für ein glückliches Wohnen verlangt werden, daß man in
seinem Hause sein eigner Herr ist, daß die Wohnung
mit Land und Boden und allem, was dazu gehört, unser
Eigentum ist, zum mindesten für so und so lange Zeit.
Auch hier wieder ist es der Engländer, der das schöne
Sprichwort hat: „My house is my castle.“ Und sei das
Haus auch noch so klein, aber es sei dein! Wahres,
tiefinniges dauerndes Glück kann man nur im eignen
Hause finden. Nicht am wenigsten das Interesse der
Kinder verlangt gebieterisch die Einführung des Ein
familienhauses. Wie wäre es möglich, daß große Menschen
mit hohen Zielen und starken sittlichen Trieben in Miets
etagen, die alle paar Jahre gewechselt werden, erzogen
werden können. Heimisch kann man sich nur in dem
Hause fühlen, in dem man aufgewachsen ist, in das man
seine Lebensgefährtin fürs Leben eingeführt hat, in dem
man seine Kinder geboren werden und heranwachsen ge
sehen hat. Auf solchen Grundlagen sind die großen
Kulturen vergangener Zeitperioden erwachsen. Auf der
Grundlage des Mietsetagensystems konnte nur eine Schein-
und Äfterkultur, eine durch und durch äußerliche Kultur
erstehen. Aber die Umkehr ist erfolgt, der Zug auf
das Land, von dem oben die Hede
war, spricht dafür. Und nicht zum
wenigsten von unten herauf scheint
das Heil zu kommen, denn die heute,
schon eine mächtige Ausdehnung ha
benden Laubenkolonien kennzeichnen
treffend das Suchen nach dem Lande.
Tritt an die Stelle der Laube das
Haus, und sei es auch noch so beschei
den, so haben wir das Landhaus und
das Einfamilienhaus, denn in einer
„Laube“ gibt es keine „Mietsetagen“.
Ebensowenig als das Mietsetagen
system dürfen andre Schattenseiten
des städtischen Hauses auf das Land
haus übertragen werden. Wenn wir
uns in der Umgebung der großen
Städte die Villen und Landhäuser an-
sehen, gewahren wir schon manchen
glücklichen Versuch einer Umkehr
und Einkehr zum Individuellen und
zum Intimen. Aber sie alle leiden
noch darunter, daß sie Fassaden
häuser sind, bei denen die Straßen
seite nach der Art von Schaufenstern
äußerlich - prunkvoll und womöglich
renommiersüchtig ausgeputzt ist. Ein
Landhaus aber muß ein Familienhaus
sein, und ein Familienhaus muß den
Schwerpunkt nach innen legen, es
muß in allen seinen Teilen nach innen
weisen und Aeußerliches an sich darf
es nicht geben. Glück kann nur da
sein, wo die Penaten, die heimischen
Götter, wohnen, von solchen aber kann
in Schaufensterhäusern, die die Zunge
nach der Straße hinausstrecken, nicht
die Bede sein. Von dem, was außen
liegt, und von dem, was draußen ist,
kann für das Landhaus nur die Sonne,
das Licht und die Luft in Betracht
kommen. Dafür sorgen aber die Fen
ster, diese „Augen“ des als organischen
Körper gedachten Hauses. Sie müssen
groß sein, damit viel Licht und Luft
hereinströmen kann. Dort, woher die Sonne kommt, also
an der Ostseite, müssen nicht nur die meisten Augen sitzen,
sondern dort ist auch die von der Natur gegebene Schau
seite des Hauses. Von dort aus blickt gleichsam das
Haus hinaus, dort ist Türe und Turm und Erker. Und
weil diese Seite die Eingangsseite ist, ist sie so aus
gebaut, daß sie Einladung und herzliches Willkommen
zum Eintritt ausspricht; an dieser Seite darf sich daher
auch die Beziehung zur Außenwelt aussprechen.
Ein andrer grundsätzlicher Fehler unsers städtischen
Wohusystems besteht darin, daß diese Mietsetagen
Bepräsentations- und Gesellschaftswohnungen sind. Und
dies hei hoch und niedrig. Dort sind es die Empfangs-
uud Bepräsentationsräume, hier ist es das sogenannte gute
Zimmer. Die Wirtschaftsräume sind so beschränkt als
möglich und das Schlafzimmer ist oft genug das kleinste
der ganzen Wohnung. Das Landhaus, wie wir es uns
wünschen, zeigt dagegen die behagliche Ausbreitung des
Heimes nach innen, nach der Bichtung des Familien
lebens. Küche und Schlafzimmer sind die größten Bäume,
nächstdem das Familienwohnzimmer, und die Wirtschafts
räume sind reichlich und ausgedehnt. Die Zimmer selbst
gravitieren nach der Lichtseite zu, die Fenster als die
Augen zeigen die Gesichtsseite des Zimmers, während
die Bückseite der Platz, wo der Ofen steht, bildet. Den
Mittelpunkt bildet weniger der Kronleuchter als der
Tisch, um den sich, namentlich am Abend und zu den
Landhaus in Markneukirchen i. 8., Preis 90000 M., d. i. 23 M. pro cbm. Architekt Pro
fessor P. Schultze-Naumburg. Aus Haenel-Tscharmann „Das Einzelwohnhaus der Neuzeit“