17. FEBRUAR 1906
BAUZEITUNG
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Haus Lange in Tübingen: Detail der Veranda und Vorplatz. Von Professor Bernhard Pankok-Stuttgart. Nach photo
graphischen Aufnahmen von Dr. Pranck-Oberaspaoh
vielleicht an die Schinderkuhle oder glaubte auch an das
Grab erinnert zu werden. Aber schließlich hätte man ja
auch vielleicht mit Löwengrube vorlieb nehmen können
und sich dabei an Daniel erinnern lassen. Jedenfalls ist
der Name Lauenstraße nur etwas Halbes. Warum denn
nicht Löwenstraße? Das hätte ja noch großartiger ge
klungen, hätte, möchte ich sagen, den Anforderungen der
Neuzeit noch besser entprochen.
Nun liegt es mir gänzlich fern, auf die gute und von
mir hochverehrte Stadt Wolfenbüttel irgendwie einen be
sonderen Angriff zu machen. Man kann nur sagen, cosi
fan tutte, es sind allzumal Sünder, und die Schuld der
einzelnen Stadt wird erleichtert durch die Schuld aller
andern. Es ist, als wenn eine Seuche in ganz Deutsch
land und weit über die Grenzen Deutschlands hinaus
Platz gegriffen hätte. In Italien zum Beispiel liegt die
Sache ja ganz ebenso, überall die gleiche Trostlosigkeit.
Erwarten Sie nun nicht von mir die Vorlegung eines um
fassenden Materials. Ich fürchte, daß Sie bald den Vortrag
verlassen würden, denn dieses Material ist ein ganz un
geheures. Ich habe mich deswegen nur auf einzelne Städte
beschränkt und kann nur ein zufälliges Material ausschließ
lich aus Norddeutschland vorlegen. Aber die Sache liegt
hier so, daß auch an wenigen Beispielen die Schäden,
die überall bloßliegen, klargestellt werden können.
Ich erwähnte vorhin, daß besondere Verhältnisse dazu
führen könnten, einen Namen, auch wenn er gut wäre,
umzuändern. Das ist nun hier und da auch wohl sonst
der Fall, wenn die Straße an sich nicht ungünstige Ver
hältnisse zeigt, sondern wenn der Name, so wie es unsre
gute liebe Vorzeit gern hatte, etwas sehr derber Art war.
Man bezeichnete vieler Orten eine ganz kleine Gasse mit
dem Namen Kerbe und fügte, damit kein Zweifel bleibe,
öfter noch ein Wörtchen davor. So ist denn eine der
artige Straße schon 1775 in einer Verfügung des Land
grafen Friedrich II. in Kassel in Andreasgäßchen um
geändert worden. Diesem Schicksal ist derselbe Name
in einigen andern Städten glücklich entgangen. In Münster
gibt es eine Arztkarrengasse, und in Lüneburg nennt sich
die betreffende Straße Harzkehrt. In der Tat aber haben
diese Straßen weder mit dem Arzt noch mit dem Harz
zu tun, und ich bemerke, daß auch der lateinische Name
ars hier nicht in Frage kommt. Aber die Herstellung
des alten Namens ist doch in diesem Falle einfach un
möglich, und wenn auch nur die Einwohner dieser beiden
Straßen in Münster und Lüneburg über die Bedeutung
des Straßennamens aufgeklärt würden, so würde die Folge
davon sein, daß er tatsächlich vollständig verschwände
und selbst unter diesem etwas durchsichtigen Schleier
nicht mehr erhalten werden könnte.
Nun, ganz so schlimm sind ja die andern Straßennamen,
die ich Ihnen hier nennen kann, nicht. Aber Anstoß
haben auch sie erregt. So gab es in Bonn eine Sau
straße ; in ihr wohnte aber der Pfarrer, und so mußte sie
sich denn gefallen lassen, in Marienstraße umgenannt zu
werden. Anders verfuhr man in Quedlinburg. Da gab
es auch eine Saustraße. Die verwandelte man in Schau
straße, obgleich es nach wie vor darin tatsächlich weiter
nichts zu sehen gab; es wurde eben nur der Schweine
markt in der Straße abgehalten. Der Sauklint in ßraun-
schweig wurde ähnlich in Südklint umgenannt.
Etwas anrüchig sind auch die Namen in Hildesheim ge
wesen : Halber Käse und Stinkende Pforte. Aber nehmen
Sie einmal einen andern Namen in Braunschweig; welche
Ehefrau würde es wohl erlauben, daß ein Mann Wohnung
suchte in der Ehebrecherstraße, und so heißt denn diese
Straße jetzt Ehrenbrechtstraße. In diesem Falle würde
selbst ich auch kaum dafür sein, den alten Namen wieder
einzuftihren. Selbstverständlich ist der Viehmarkt in
Dresden Friedrichplatz geworden. Warum soll man aber
nicht eine Entenpfütze in Dresden haben — sie ist um
genannt in Freiberger Platz — oder den Eselstieg in
Hildesheim — jetzt Friesenstieg —? Auch im Floh
hagen in Hildesheim zu wohnen oder in der Filzlaus in
Kassel wäre doch schließlich nicht etwas unbedingt Un
mögliches. Ganz besonders lehrreich aber ist das Bei
spiel, das auch wieder in der Stadt Hildesheim vorliegt.
Hier gab es nämlich drei eng benachbarte Straßen:
Himmel, Hölle und Fegefeuer — das Fegefeuer wurde
übrigens erst 1479 angelegt —. Da haben im Jahre 1850
die Bewohner der Hölle eine Eingabe gemacht. Die
Welt schreite vorwärts, wie man allgemein sage, und
diese altförmlichen Namen paßten sich der jetzigen Zeit
nicht mehr an; sie glaubten nicht mehr an Fegefeuer
und Hölle. Damals hat man noch glücklich die Aende-
rung zu hintertreiben gewußt. Aber 1863 kamen sie
noch einmal. Hölle, Fegefeuer und Himmelreich sind,
so sagten sie, so absonderliche Namen für Straßen, daß
sie unter den reisenden Handwerkern als Wahrzeichen
für die hiesige Stadt gelten und die dahier Geborenen
sich in der Fremde Vexationen gefallen lassen müssen.
Seit dem Katechismusstreite greife ein gleicher Zustand