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FÜR WÜRTTEMBERG
BADEN HESSEN EL
SAS S-LOTHRINGEN
STUTTGART, 2t. FEBRUAR 1906
ALLE RECHTE VORBEHALTEN. - INHALT: DIE ERHALTUNG ALTER STRASSENNAMEN. - AUSSTELLUNGSPAVILLON
FÜR KÖLN 1900. — PANKOK-AUSSTELLUNG. - VEREINSMITTEILUNGEN. - WETTBEWERBE. - KLEINE MITTEILUNGEN.
PERSONALIEN — ANFRAGEN. — ZUR BEACHTUNG. - DER SOG. JAKOBSTÜRM IN DER NIEDERLÖSSNITZ BEI DRESDEN,
DIE ERHALTUNG ALTER STRASSENNAMEN
VON PROFESSOR DR. MEIER-BRAUNSCHWBIG (SCHLUSS)
Bei dem erwähnten Beispiel nun erkennt man recht deut
lich, daß es gar keine edeln Beweggründe sind, die im all
gemeinen zur Aenderung der Straßennamen Veranlassung
geben. Von dem Mangel an geschichtlichem Sinn, der hier
tätig ist, sprach ich schon. Es kommt aber noch mehreres
hinzu. Da ist zunächst die Abneigung gegen alles Eigen
artige, ja selbst gegen das Poetische, und zweitens auch
bei den ärmsten Leuten der Wunsch heutzutage, in
Straßen mit hochtönenden Namen zu wohnen. Man
könnte ja vielleicht anführen, daß solche Umnennungen
von altersher gebräuchlich gewesen seien. Aber darauf
lassen Sie mich erst später kommen. Im allgemeinen
kann man wohl mit der Norddeutschen Zeitung einer
Meinung sein, die kürzlich ausführte, das Verfahren, das
ich hier schilderte, stände zu dem vielfach unerfreulichen
Anblick moderner Straßenanlagen in dem Verhältnis einer
gewissen Stileinheit. Vor allem: Jede Gasse muß selbst
verständlich Straße werden. In Erfurt gab es eine nur
4 bis 5 m breite Marstallgasse; seit aber der Bürger
meister in ihr die Wohnung genommen hatte, mußte
daraus Marstallstraße werden. Die Hospitalgasse in Bonn
wird Friedrichstraße, die Judengasse — das ist besonders
bezeichnend — Tempelstraße. Aber die Umwandlung
solcher Namen wie Junkersand in Erfurt, jetzt Junker
straße, oder wie Spittelplatz und Spittelgasse, jetzt
Hospitalplatz und Hospitalstraße — das klingt doch noch
etwas völliger — , oder Löbergera in Erfurt, das heißt
das Flüßchen Gera, an dem die Gerber, die Löber,
wohnten, jetzt Löberring, oder Karthäuserufer, jetzt
Karthäuserring, dann schließlich auch Andreaskirchhof
in Hildesheim, jetzt Andreasplatz, in Hannover „An der
Seelhorst“, jetzt „Seelhorststraße“, in Dresden ferner
„Lämmchenweg“, der hinführt zu dem Vorwerk „Zum
Lämmchen“, jetzt Blumenstraße, und ähnliche Sachen —
alle diese Dinge zeigen doch tatsächlich: die Leute wollen
möglichst über einen Kamm geschoren werden. Es muß
alles Straße heißen, dann auch Platz und drittens Ring.
Damit ist aber auch eigentlich alles erschöpft. Daß eine
Straße enden kann auf stieg, steige, kamp, weg, hagen,
das gibt es nicht mehr, und, meine Herren, wenn man
in einer bekannten Münchner Faschingszeitung aus diesem
Jahre liest, daß auch die folgenden Straßennamen um
geändert werden sollen, nämlich daß aus Badergasse eine
Friseurstraße wird und aus Hebammengasse eine Storch
straße, dann empfindet man das überhaupt gar nicht
mehr als Satire, denn solche Sachen kommen täglich bei
uns vor.
Ich erwähnte vorhin schon jene Verordnung für Kassel
vom Jahre 1775. Was ist da alles geändert worden!
Da sind zum Beispiel so vortreffliche alte Flurbezeich
nungen: Kratzenberg und Höllenküppel — von Koppel
— einfach beseitigt; aus Tannenküppel ist eine Tannen
kuppenstraße geworden, ein direkter Unsinn. Nun hat
damals der Landgraf Friedrich II., der katholisch war,
namentlich die Namen von Heiligen hier verwandt, und
die haben sich in der fast ausschließlich protestantischen
Stadt nicht gehalten. Nur einige wenige sind auch jetzt
noch vorhanden, und bei denen bedauert man das ganz
besonders. Warum mußte die Krautgasse Bartholomäi-
straße, warum die Lumbsgasse Kreuzstraße und warum
der Ziegenstall Christophstraße werden? Das sind die
Umnennungen, die jetzt noch bewahrt sind.
Im Jahre 1841 ferner ist eine große Verordnung in
Zwickau losgelassen. Da sind nicht weniger als 22 alte
gute Namen des Mittelalters geändert worden: Steinweg,
Frauengasse, Tränkgasse, Scheergasse — erinnert an die
Tuchschererinnung —, Auf der Asch, Judengasse, Burg
gasse und wie sie alle beißen, Straßen, an deren Namen
auch nicht die Spur von irgend etwas Anstößigem haftet.
Wenn man sich in diese Beispiele vertieft, dann wird
man allmählich etwas mißtrauisch. Man zweifelt selbst
in Fällen besserer Art daran, daß das wirklich lautere
Beweggründe waren, die zu einer Aenderung der Namen
Veranlassung gegeben haben. Man fragt sich, ob tat
sächlich die Pietät, der Patriotismus sich geregt haben.
Allerdings scheint sich nämlich in die Lücke, die durch
den Mangel an geschichtlichem Sinn entsteht, der Lokal-
und Nationalpatriotismus einzuschieben; jede Stadt will
ihr Kriegerdenkmal, ihr Kaiser Wilhelm-Denkmal haben,
und jede Stadt muß demgemäß auch ihre Kaiser Wilhelm-
Straße und ihre Bismarckstraße haben. Nun, ich glaube,
wir sind ja wohl gegen den Vorwurf, unpatriotisch zu
sein, an sich geschützt; das, was wir hier seit Jahren
vornehmen und erstreben, ist nichts andres als Patrio
tismus. Aber wenn ich irgendeinen guten alten Namen
tilge und nun die Straße auf ein Mitglied des Fürsten
hauses oder auf einen großen Mann taufe, dann kommt
mir doch die Legende in den Sinn, in der es heißt:
„Crispinus machte den Armen die Schuh’ und stahl das
Leder sich dazu.“
Freilich, daß hier und da der Patriotismus, auch der
lokale Patriotismus, wirklich tätig ist, das läßt sich ja
nicht leugnen. Wenn zum Beispiel in Braunschweig der
alte Egidienkirchhof umgetauft wird in Spohrplatz, weil
der bekannte Musiker dort geboren ist, oder wenn in
Gundersheim die Straße Neuesdorf umgetauft wird in