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BAUZEITUNG
NK. 8
eine ganze Reihe von alten Namen für eine Straße über
liefert ist — an welchen Namen soll man sich halten?
Jedenfalls — und darauf möchte ich ganz besonders hin-
weisen — sollte man solche Umnennungen und Neu
benennungen von Straßen nicht schlankweg am grünen
Tisch machen, sondern erst, wenn man die Sachverstän
digen gefragt hat, die Geschichtsvereine, die Archivare
und ähnliche Herren, die da Auskunft geben können.
Und zweitens ist zu bedenken; es kann auch ein junger
Name schon geschichtliche Bedeutung bekommen haben,
und es wäre sehr verkehrt, wenn man solchen nur des
wegen, weil er jung ist, vertauschen wollte mit einem
älteren. Ich möchte dabei eins erwähnen. In Kassel
gab es eine Straße Bellevue. Die war entstanden im
18. Jahrhundert, ebensogut wie die Schlösser Sanssouci
und Monbijou. Unter dem Beifall aber des Allgemeinen
Deutschen Sprachvereins ist dieser Name kürzlich in
Schöne Aussicht verändert worden. Nun, da fehlte eben
noch, daß wir statt Sanssouci sagten Ohnesorge.
Sehr viel schwieriger ist der Fall, wenn eine alte Be
zeichnung jetzt noch gültig ist, aber durch eine allmähliche
Verwandlung fast unkenntlich geworden, und auch hier
ist ein Vergleich mit einem Bauwerk wohl am Platze,
das durch häßliche Zutaten aller Art entstellt sein kann.
Hier ist ein ganz besonderer Takt nötig. Namentlich
schwer ist die Sache in Norddeutschland, soweit das
Gebiet der niederdeutschen Sprache reicht. Gestatten
Sie wieder einige Beispiele. In Quedlinburg gab es eine
Dove Strate, das heißt also eine Sackgasse, eine taube
Straße: die ist in neuerer Zeit in Taubenstraße umgenannt
worden, wie auch die bekannte Straße in Berlin. Das
sollte nun, weil es als töricht eingesehen wurde, geändert
werden, und so hat man also aus Tauben
straße gemacht eine Dovestraße. Das sieht
aber so aus, als sollte sie auf den Namen
des Historikers Dove oder eines andern
getauft sein. Ebenso liegt die Sache bei
einer Quedlinburger Straße Pörschlippe.
Die ist jetzt umgenannt worden — eine
ganz neue Umnennung — in Peterslippe,
was eben doch Unsinn ist.
Nun aber andre Namen. In Hildesheim
gibt es eine Eckemeckerstraße, das heißt
ursprünglich eine Erchmekerstrate, wo die
Weißgerber wohnten. Erchmekerstrate ist
aber schon Unsinn, weil man doch wenigstens
das niederdeutsche Strate haben müßte.
Hier wird es am besten sein, das jetzige
verderbte Eckemeckerstraße zu verwenden.
Aehnlich steht es mit der Oltböterstrate,
das heißt Altflickerstraße, die ist natürlich
Alte Petristraße geworden, aber die Rück
kehr zu dem Alten ist auch hier unmöglich.
In Braunschweig gab es einen Zylkendey,
das heißt Schmollwinkel, jetzt natürlich
verballhornt Ottilienteil. Hier ist die Frage
sehr schwierig: was sollen wir da machen,
und ebenso bei dem bekannten Meinhardts
hof in Braunschweig; der hieß ursprüng
lich Embershof oder mit der Präposition
’m Embershof. Sollen wir das umändern?
In Lüneburg gab es eine Straße: Oie Nie-
strate, die heißt jetzt Ohlingerstraße. Es
geht einfach nicht, diese Namen ohne
weiteres wiederherzustellen, und von der
Harzkehrt und von der Arztkarrengasse
habe ich ja schon gesprochen.
In andern Fällen ist aber eigentlich doch
kein Grund vorhanden, warum wir nicht
schließlich auch einmal eine Rücktaufe mög
lich machen sollen. Ebensogut, wie Zwickau
im Jahre 1841 die 22 Namen kurzerhand
tilgte, könnten wir doch einen Teil der alten Namen
wieder zu Ehren bringen. So gab es in Braunschweig
eine Straße: des Rikes strate, die alte Reichs- und Heer
straße, die ist schon im 17. Jahrhundert zur Reichen
straße geworden. Da fragt es sich doch, ist es nicht
möglich, hier wieder das alte Reichsstraße einzusetzen?
Das Gesamtbild, das ich Ihnen eben geschildert habe,
ist ein recht ungünstiges. Bureaukratismus, Unverstand
und Pietätlosigkeit haben überall die Herrschaft an
getreten. Dennoch ist aber die Lage nicht ganz so trostlos,
wie es bei den Baudenkmälern war und zum Teil wohl
auch jetzt ist. Ist einmal ein Bau beseitigt, so kann ihn
keine Kunst wieder ins Leben zurückrufen. Das geht
aber an sich bei einem Straßennamen. Und zweitens:
Denkmalpflege kostet bekanntlich ebenso w r ie der Krieg
Geld, und nochmals Geld, und drittens Geld. Hier aber
genügen bloß ein paar Federstriche, um das Alte bei
den Straßennamen wieder ins Leben zu rufen. Die An
sätze zu einer Besserung sind denn auch schon vorhanden
und die möchte ich doch nicht unerwähnt lassen. Gerade
je weniger es sind, um so mehr sind sie zu loben.
In Holzminden gab es eine halbmondförmige Straße, die
Halbmondstraße genannt, die hieß eine ganze Zeit Fried
richstraße; erst in der neuesten Zeit hat sie den alten
Namen wiederbekommen. In Dresden sind die alten ein
gemeindeten früheren Dörfer in 12 Fällen auch besonders
mit Namen ausgezeichnet. Da lesen wir: Alt-Cotta,
Alt-Kaditz, und wie sie alle heißen. Die sollen also auch
den Platz des alten Dorfes angeben. Vielleicht wäre da
ein Cottaer Dorfplatz und ähnliches noch mehr am Platze
gewesen. Aber wir wollen froh sein, daß doch im all
gemeinen hierdurch das Richtige getroffen ist, und ganz
besonders hat mich schließlich noch gefreut
ein Beispiel aus der Stadt Altona. Da
war auf dem Gebiet eines früheren Weges,
der durch die Flur führte, eine neue Straße
angelegt und die war bereits Hebbelstraße
getauft. Ein Anwohner — man sieht es
übrigens von der Bahn aus — hatte sein
Haus mit einer bronzenen Hebbel-Büste ge
schmückt und war nun stolz, in dieser Straße
wohnen zu können. Da haben aber die Ge
lehrten Einspruch erhoben und haben aus
geführt: „Wenn auch für die Namengebung
von Straßen die praktischen Gesichtspunkte
zunächst maßgebend sein sollten, so meine
ich doch, daß, wo gute, vom Volk geprägte,
historisch wertvolle Namen vorhanden sind,
man sie nicht ganz ohne triftige Gründe
preisgeben soll. Sie gehören auch zu den
Imponderabilien, deren Wert für vater
städtische Erziehung nicht zu unterschätzen
ist. Daß der Name ,Hebbelstraße' in ma
terieller Beziehung mehr Wert habe wie
,Langer Balken' — das war der frühere
Name der Straße —, ist nicht recht ein
zusehen. Der ökonomische Wert einer
Straße wird nur durch reale Verhältnisse,
nicht durch Namen bestimmt (Jungfernstieg,
Reeperbahn sind Beweis genug), wohl aber
ist es eine verdienstliche Tat einer Stadt
verwaltung, schützend die Hand über den
heimatlichen Boden — und seien es auch
nur Namen — zu halten, sobald es, wie
in diesem Falle, ohne materiellen Nachteil
geschehen kann.“
Tatsächlich wurde nachher die Straße
„Langer Balken“ genannt und „Hebbel
straße“ wurde getilgt, obwohl der betreffende
Anwohner es sich recht viel Geld kosten
ließ, daß man bei dem Namen „Hebbel
straße“ stehen blieb. —
q*=
Skizze zum Wiederaufbau des
Campanile in Yenedig von
Professor Bernhard Pankok
(aus der Pankok-Ausstellung)