23. März 1907
BAUZBITUN 6
93
sollen; insbesondere in kleinen, vorwiegend Landwirt
schaft treibenden Orten mit armer Bevölkerung findet
die Dispensationserteilung oft das einzige Mittel, um die
Ausführung eines notwendigen Bauwesens zu ermöglichen,
ohne daß bei der hier in der Kegel weiträumigen Bau
weise erhebliche feuer- oder gesundheitspolizeiliche Nach
teile daraus entstünden. Um solche Dispensationen künftig
möglichst zu erleichtern, soll der einfache Nachweis ge
nügen, daß die Durchführung der betreffenden Vorschrift
mit besonderer Härte verbunden wäre.
Den vielseitigen berechtigten W ünschen nach Yerein-
fachung, Beschleunigung und Verbilligung des bau
polizeilichen Verfahrens ist in weitgehendem Maße
Rechnung getragen worden, wie in der Begründung im
einzelnen dargelegt wird. Die seitherige dreigliedrige
örtliche Bauschau soll in Wegfall kommen; der Ent
wurfbegnügt sich aus Gründen der Geschäftsvereinfachung,
Beschleunigung und der Kostenersparnis mit nur einem
Ortsbautechniker, der aber ein tüchtiger und zuverlässiger
Bautechniker und womöglich wenigstens ein geprüfter
Bauwerkmeister sein soll; dabei ist vorgesehen, daß sich
mehrere Gemeinden eines und desselben Ortsbautechnikers
oder auch des Oberamtsbautechnikers bedienen können.
Den Oberamtsbautechnikern soll künftighin die
Ausführung von Privatarbeiten für die Regel unter
sagt sein. Auch sieht der Entwurf Bestimmungen vor,
um auf die Fernhaltung auch der Ortstechniker von der
Uebernahme privater Baugeschäfte, wenigstens in be
stimmten Fällen, einzuwirken. Eine wesentliche Verein
fachung soll dadurch erzielt werden, daß die bisherige
baupolizeiliche Tätigkeit des ganzen Gemeinderats aus
geschaltet und die baupolizeilichen Entscheidungen in der
Hauptsache dem Ortsvorsteher überlassen sind. Das
Beschwerdeverfahren ist zugunsten der Bauenden
vereinfacht und erleichtert worden.
Die mannigfachen Klagen über unzureichende
Baukontrollen werden dadurch zu befriedigen ge
sucht, daß allmählich die dieser Aufgabe nicht ge
wachsenen Elemente ausgeschieden und durch Sachver
ständige, in erster Linie Baukundige, aber zum Teil auch
öffentliche Feldmesser ersetzt werden. Durch Verordnung
kann bestimmt werden, daß zur Unterstützung der Bau
kontrolleure in Orten mit lebhafter Bautätigkeit auch
Bauaufseher aus dem Arbeiter stände zu ver
wenden sind.
Behufs Sicherung der dauernden Erfüllung gewisser
Rechtsverbindlichkeiten der Bauenden und ihrer Besitz
nachfolger gegenüber den Baupolizeibehörden und Ge
meinden sollen sogen. Baulastenbücher eingeführt
werden, weil in den Grundbüchern zur Regelung dieser
Angelegenheiten kein Raum gelassen ist. Daneben soll
auch das Sportel- und Gebührenwesen neu geregelt und
eine geeignete Abstufung der Gebühren eingeführt werden,
wodurch namentlich die Gebühren für kleinere Bauten
eine erhebliche Ermäßigung finden sollen.
Auch hinsichtlich der einzelnen Bauvorschriften
bringt der Entwurf den Bauenden im Vergleich zum
bisherigen Recht eine Reihe wesentlicher Erleichterungen.
Was die Baulinienfeststellung anbelangt, so sollen
die Bedürfnisse ländlicher Ortschaften mehr als bisher
berücksichtigt, es soll insbesondere der seitherige vielfach
mißverstandene Grundsatz möglichster Geradleitung der
Baulinien bezw. Straßen gemildert werden. Auch wird
mehr als seither darauf gesehen, daß die Straßen nach
ihrer Bebauung ein gutes und gefälliges Aussehen er
halten. Behufs Deckung der den Gemeinden aus den
notwendigen Ortserweiterungen erwachsenden Kosten soll
allen Gemeinden, in denen ein Bedürfnis hierzu besteht,
das Recht erteilt werden, im Wege des Ortsbaustatuts
sowohl die Kosten der Grunderwerbung und Planierung
für neue Ortsstraßen als auch die Kosten ihrer Herstellung
ganz oder teilweise von den Besitzern der angrenzenden
Grundstücke, unter Umständen schon bevor sie auf den
selben Gebäude errichten, sich ersetzen zu lassen.
Ausführlich äußert sich die Begründung sodann auch
noch über die Grundstücksumlegungen zur Berich
tigung von Grundstücken; es wird dargelegt, daß und
warum in dem Entwurf von einer allgemeinen gesetz
lichen Regelung der Umlegung Abstand genommen
wurde, jedoch mit dem Vorbehalt, daß dies in einem
besonderen Gesetz geschehen soll, wenn ein Bedürfnis
hierzu sich ergibt und eine weitere Klärung in den ein
schlägigen streitigen Fragen eingetreten sein wird. Da
gegen ist gewissermaßen als Ersatz für die Umlegung
das Enteignungsrecht der Gemeinden auf sogen. Rest
grundstücke, Prellstreifen, Vexierflächen, Masken und andre
Zwerggrundstücke vorgesehen, wobei die Gemeinden zur
Abgabe der so erworbenen Grundstücke an die behin
derten Baulustigen gegen Entrichtung der Selbstkosten
verpflichtet werden können.
Kgl. Baugewerkschule Stuttgart Entwurf von A. Schmidt
Aus hygienischen Gründen bringt das neue Gesetz
eine gewisse Verschärfung der seitherigen Bestimmungen
über die Bebauungsdichtigkeit; es wird in dieser
Hinsicht vorgesehen, daß für diejenigen Orte, in welchen
eine durchgehend weiträumige Bebauung nicht ausführbar
ist, eine gegen außen stufen- oder staffelweise abgeminderte
Baudichtigkeit eingehalten wird. Anderseits können bei
dem höheren Stand des Feuerlöschwesens und der weiteren
Entwicklung der Feuerversicherung die Ansprüche an die
Feuersicherheit der Bauten und ihre Zugängigkeit
für Feuerlöschzwecke erheblich vermindert werden; es
wird hierbei davon ausgegangen, daß bei Bauten zwar
gegen die Gefahr einer Entzündung tunlichste Vorkehr
zu treffen ist, daß es aber im übrigen genügt, wenn im
Brandfall den Bewohnern der Gebäude die Möglichkeit
der Rettung gegeben ist, und wenn ein hinreichendes
Maß von Sicherheit dafür besteht, daß ein ausgebrochener
Brand keine zu große Ausdehnung annimmt. Es werden
demgemäß Erleichterungen vorgesehen bezüglich der Vor-
schriften über die Brandmauern, über Blockwände, Bretter-
und Schindelverkleidungen.
Was die ästhetische Seite des Bauens betrifft,
so geht der Entwurf unter Hinweis auf die bisher ge
machten Erfahrungen davon aus, daß die Baupolizei
behörden sich mehr als bisher um die künstlerische Seite
des Bauens bekümmern müssen; der Entwurf verlangt
daher, daß schon bei der Feststellung des Ortsbauplans
und der zugehörigen Bebauungsvorschriften darauf Bedacht
genommen wird, daß nicht nur die neuen Straßen nach
ihrer Bebauung ein gutes Aussehen gewinnen, sondern