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BAUZEITUNG
Nr. 13
Hand eines Architekten gelegt wurde. Aber eine solche
äußerliche Teilung der Arbeit könnte nur zufällig die
innere Einheit des Bauwerks unter Ableitung seiner
Kunstformen aus Bauzweck und Konstruktion zustande
bringen. Mißerfolge geben sich dann kund etwa durch
bloßes Anhängen einiger Schmuckgegenstände oder durch
Unterdrückung wichtiger Hauptteile, namentlich zum Bei
spiel der Gewölbanfänge hinter Pfeilervorköpfen. Besser
mag es schon gelingen, wenn Ingenieur und Architekt
das Bauwerk von vornherein gemeinsam entwerfen, damit
der letztere schon bei den Grundlinien ästhetische Wir
kungen beachte, aber auch die technischen Gedanken
verstehen lerne und zur Grundlage bei der weiteren künst
lerischen Ausbildung mache. Allein das sicherste Ver
fahren ergibt sich meines Erachtens erst, wenn der Ingenieur
durch eigne Studien befähigt wird, die vorkommenden künst
lerischen Aufgaben selbst zu lösen, mindestens die Grund
züge eines Baues abzuwägen und vorzubereiten, um sie
dann, vielleicht mit einem architektonischen Gehilfen, ins
einzelne auszuarbeiten.
Was nun die Einrichtungen der Abteilung für In
genieurwesen zu ästhetischen Zwecken betrifft, so wäre
hierin mit Bezug auf sogenannte Kunstbauten: Brücken,
Stützmauern, Tunneleingänge u. dergh, etwa folgendes an
zuraten: Schon im ersten und zweiten Studienjahr in der
Allgemeinen Konstruktionslehre sind solche einfache Ge
bilde zu behandeln, deren Formen sich unmittelbar aus
dem statischen Zweck und dem Material ergeben, als
Sockel, Gesimse, Konsolen, Lisenen, Strebepfeiler, Rahmen,
Zinnen, sowie deren Zusammensetzungen zu Pfeilern,
Bogenstellungen, Geländern u. s. w. Hierbei können In
genieurwesen und Hochbau zu Beispielen und Aufgaben
herangezogen werden. Ferner sollten das konstruktive
Gefühl und der ästhetische Geschmack gleichzeitig geübt
werden, ohne sich streng an geschichtliche Stilformen zu
binden, sondern vielmehr auf der gesamten Grundlage
aller gesunden Stile. Bestimmte Schemata, z. B. Säulen
ordnungen, zu kopieren scheint mir für diesen Zweck
unnötig.
Im Fachunterricht des dritten und vierten Studienjahres
folge sodann vor allem eine Anleitung, den Bauzweck
im ganzen aus einem höheren Gesichtspunkt als dem
jenigen der gemeinen Nützlichkeit aufzufassen und ent
sprechend darzustellen. Bei Brücken wären insbesondere
hervorzuheben; die Bedeutung des Verkehrs, der Einfluß
der Umgebung, die Verhältnisse zwischen den Höben von
Unterbau und üeberbau, die Eindrücke von geraden, auf
wärts gebogenen und abwärts gekrümmten Konstruktions
linien, die Ansteiguug einer Brückenbahn gegen die Mitte,
die Wahl gleicher oder ungleicher Spannweiten, die ästhe
tische Wirkung der Baustoffe. Auch gehört hierher die
Einteilung von Brücken in Torbrücken, Wandbrücken,
Tragbrücken und die Einreihung bestimmter Aufgaben
in diese Klassen je nach den örtlichen Umständen.
Ferner das Gesetz der Gliederung. Allerdings gibt
es ja auch im lugenieurwesen Bauwerke genug, welche
jede Gliederung verschmähen. Es werden Massen über
und nebeneinander gestellt und erzeugen einen ungeteilten
Körper vom Fundament bis zur oberen Brüstuugskante,
einen Klotz. Wenn das zum Beispiel bei einfach ge
wölbten Brücken geschieht, um äußerste Sparsamkeit zu
üben, so liefert es doch kein Kunstwerk, so wenig
wie eine glatte durchlöcherte Schachtel bei einem Hause.
Allerdings wird in beiden Fällen das Verfahren von
manchen Architekten wegen seiner „Massenwirkung“ ge
priesen, aber mit dem hierauf gerichteten, an sich be
rechtigten Streben brauchte die konstruktive Gliederung
keineswegs ausgeschlossen zu werden. Wir verlangen in
der Architektur als Kunst Einheit und Teilung zugleich,
so daß speziell bei einer gewölbten Brücke klar von
einander zu sondern sind: Pfeiler, Gewölbe, Zwickel,
Brückenbahn, Geländer. Die Hilfsmittel hierzu bestehen
in Fugen, Vorsprüngen, Gesimsen und können, wenn man
will, sehr einfach gehalten werden, dürfen aber niemals
fehlen, um eine vernünftige Gliederung zu erzeugen.
Im weiteren ist der sogenannte ästhetische Ueber-
flufl in Betracht zu ziehen, jene Welt von Kunstformen,
durch welche die Bedeutung der Konstruktionsteile noch
ausdrucksvoller hervorgehoben werden kann. Versucht
man dieses Gebiet in Gruppen zu teilen, so enthielte die
erste Gruppe die großen Hauptteile eines Bauwerks,
deren Kunstformen aus der technischen Aufgabe mit
ziemlich beschränkter Freiheit hervorgehen, als Pfeiler
und Widerlager, Tragwände und Tragbögen, Flügel und
Portale. Als zw r eite Klasse kommen die sogenannten
Zierglieder, welche oben schon als Anfangsaufgabeu des
Unterrichts empfohlen wurden, mit einem konstruktiven
Dienst von untergeordneter Bedeutung. Die dritte Gruppe
endlich umfaßt die eigentlichen Ornamente, bei welchen
ein konstruktiver Nutzen gar nicht mehr stattfindet,
sondern nur die räumliche Stellung zu den Hauptgliedern
zu beachten ist. Bei alledem wären im Unterricht die
ästhetischen Grundzüge zu entwickeln und einzuüben, also
Ableitung der Kunstform aus der Konstruktion, Maßstab
der Kunstformen, Stilisierung, Einfluß des Baustoffes,
Bedeutung der Farbe. Besonders wichtig erscheint dabei
gerade im Ingenieur wesen die künstlerische Oekonomie,
zufolge welcher mit möglichst geringem Aufwand mög
lichst große Wirkungen erstrebt werden.
Um das vorstehende Programm eingehend zu begrün
den und zu zergliedern, erlaube ich mir hinzuweisen
auf meine Schriften: „Architektonische Formenlehre für
Ingenieure“ 1866, und das Kapitel „Kunstformen des
Brückenbaues“ im Handbuch der Ingenieurwissenschaften,
4. Auflage 1904. Diese beiden Werke versuchen die
ästhetischen Rücksichten für die sogenannten Kunstbauten
des Ingenieurwesens systematisch zu entwickeln, und
können wohl auch als Leitfaden in dem geschilderten
Unterricht dienen. Nach meiner Ansicht läßt sich eine
derartige Ergänzung der Vorlesungen und Uebungen ohne
einen erheblichen Mehraufwand an Zeit, sicher aber unter
gesteigertem Interesse der Studierenden durchführen. Bis
zu einem gewissen Grade geschieht es bereits meines
Wissens an etlichen Hochschulen, teils durch die Lehrer
des Ingenieurwesens, teils durch zugezogene Architekten.
Eine Einreihung des Gegenstandes in die Abteilung für
Architektur halte ich jedoch, teils aus sachlichen Gründen,
teils um Zeit zu sparen, nicht für zweckmäßig.
Wenden wir uns nunmehr zu anderweitigen Aufgaben
im Ingenieurweseu, welche man nicht zu den Kunst
bauten rechnet, so treten auch hier ästhetische Rück
sichten auf. Sie beruhen hauptsächlich auf den Be
ziehungen von Erd- und Wasserbauten zur Landschaft.
Erdreich und Pflanzenwelt; die Elemente, welche einen
bestimmten landschaftlichen Charakter zusammensetzen,
erwecken im Beobachter statische und geometrische Ein
drücke in Gleichgewichts- und Massenverbältnissen. Allein
während die Baukunst ihre Massen nach klaren Verhält
nissen und bewußten Gesetzen ordnet, sind die Formen
der Landschaft unbestimmt und verwirrt durch die Vor
gänge der Entstehung, der Umbildung, der Veränderung.
Der ästhetische Reiz der Landschaft will als ein ver
hüllter erst gesucht sein. Darin würden nackte gerad
linige Formen mehr oder weniger stören, wie z. B. regel
mäßige Ackerteilungen oder Forstkulturen, Landstraßen,
Eisenbahnen oder Flußregulierungen. Unter Umständen
mag allerdings das Menschenwerk dominieren, namentlich
wenn es selbst mit reizvollen Bauten ausgestattet ist,
dagegen die Landschaft etwa einen unbedeutenden oder
unbestimmten Typus trägt, zum Beispiel ein Eisenbahn
übergang mit mächtigem Viadukt über ein flaches oder
schmales Tal. Wenn aber das harmonische Zusammen
wirken von Boden, Wasser- und Pflanzenwelt eine her
vorragende Landschaft oder auch nur eine malerische