Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1907)

1. Juni 1907 
BAUZEITDNG 
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Gäste, die sich hei der Ausschußsitzung nicht beteiligen, 
steigen bei gutem Wetter auf der Haltestelle Wasserfall 
aus — um 10 Uhr vormittags — und gehen zu Fuß 
nach Urach. Anmeldungen zum Mittagessen sind bis 
5. Juni d. J. an Herrn Oberamtsbaumeister Graser in 
Urach zu richten. 
Stuttgart, 15. Mai 1907. Der Vorstand. 
Wie uns erst nachträglich mitgeteilt wurde, ist unser 
liebes Mitglied Bauamtswerkmeister G. Maier in Calw 
vor einigen Wochen gestorben. Wir haben in dem Dahin- 
geschiedenen ein treues Mitglied unsers Vereins verloren, 
dem wir ein ehrendes Andenken bewahren werden. 
Württ. Verein für Baukunde. Am 16. Mai fand 
der Frühjahrsausflug des Vereins mit Spargelessen 
in Untertürkheim unter Beteiligung einer größeren An 
zahl von Damen in üblicher Weise statt. Der Abend 
wurde durch Klavier- und Gesangsvorträge von Frau 
Baurat Ott und Frau Baurat Kuhn sowie von Architekt 
Feil verschönt. Am 25. Mai wurde im Museum die 
7. Versammlung abgehalten. Einleitend gedachte der Vor 
sitzende in warmen Worten des unlängst verstorbenen 
Ehrenmitglieds Präsident v. Schlierholz, an dem der 
Verein eines seiner ältesten und verdientesten Mit 
glieder verloren hat. Dann erhielt Baurat Roller das 
Wort zum Bericht über den Brand und Wieder 
aufbau von Binsdorf. Am 17. September 1904, sechs 
Wochen nach dem Brand von Ilsfeld, brach in der 
hinteren Gasse bei der Kirche ein Brand aus, der durch 
den gerade herrschenden Nordostwind bald zum ge 
waltigen Flammenmeer entfacht und unaufhaltsam in das 
Städtchen hineingetrieben wurde. Der einzige in dem 
brennenden Viertel gelegene Brunnen war bald derart 
vom Feuer umringt, daß ein Wasserschöpfen nicht mehr 
möglich war. Erst um 5 Uhr konnte den Flammen Halt 
geboten werden. Es waren zerstört 76 Haupt- und 
35 Nebengebäude, beschädigt 10 bezw. 2 Häuser; auch 
Schul- und Rathaus waren der Brunst zum Opfer ge 
fallen. Verbrannt ist niemand, auch das Vieh konnte 
gerettet werden; dagegen waren 405 Personen obdachlos 
geworden. Bereits am nächsten Tag suchte eine Ab 
ordnung aus Stuttgart mit Staatsminister v. Pischek an 
der Spitze den Brandplatz auf und rief einen Hilfsverein 
ins Leben, zu dessen Vorstand Landesökonomierat 
Länderer in Kirchberg und dessen technischem Leiter 
Baurat Roller bestimmt wurden. Gleichzeitig wurde 
der Wiederaufbau des Städtchens mit Anlegung neuer 
Bauviertel beschlossen. Die nächsten Tage brachten viel 
Arbeit. Vor allem galt es natürlich, die Obdachlosen 
unterzubringen; 11 Haushaltungen wurden nach auswärts 
verlegt, die übrigen waren nicht zum Verlassen ihrer 
Heimat zu bewegen und mußten somit in Binsdorf selbst 
untergebracht werden. Zum Glück standen mehrere 
Häuser her, andre konnten mit wenig Kosten zu Wohn 
zwecken eingerichtet werden, so daß nach kurzer Zeit 
alle Abgebrannten geborgen waren. Für die Kinder 
wurde, dank dem Entgegenkommen des Freiherrn von 
Stauffenberg-Rißtissen, ein besonderes Heim eröffnet in 
dem von diesem unentgeltlich zur Verfügung gestellten 
Schloß Geislingen. Dieses Kinderheim wurde von vier 
barmherzigen Schwestern geleitet und erhielt eine be 
sondere Schule. Es war bis 17. September 1905 in Be 
trieb. Die tägliche Unterhaltung eines Kindes kam auf 
62 Pf. Die ersten Aufräumungsarbeiten wurden von 
66 Pionieren und Infanteristen unter Führung eines Leut 
nants besorgt, die sechs Tage lang mit dem Niederlegen 
gefährlicher Giebel und der Zugänglichmachung der 
Straßen beschäftigt waren. Die weitere Schuttabfuhr 
wurde an einen Unternehmer in Akkord vergeben. Nach 
Freilegung des Brandplatzes waren vor allem die Ver 
messungsarbeiten vorzunehmen; diese wurden von drei 
Geometern mit fünf Gehilfen erledigt. Für die Neu 
anlage wurden die bestehenden Straßen tunlichst bei 
behalten, nur einige Durchbrüche mußten gemacht werden. 
Da auf dem alten Platz nur noch ein Teil der früheren 
Häuser erstellt werden konnte, mußten die Leute zum 
Hinausbauen in den neuen Stadtteil ermuntert werden. 
Wer sich hierzu bewegen liöß, erhielt das 2—2 4 / 2 fache 
seines früheren Grundbesitzes und außerdem einen Bei 
trag zum Graben des Kellers, das in dem steinigen 
Untergrund viel Mühe erforderte. Dieser neue Stadtteil 
wurde gleich zu Beginn mit einer Kanalisation versehen, 
die 3,2 m unter der Straßenoberfläche gelegen ist, so daß 
alle Keller entwässert werden konnten. Die Entwürfe 
für die Hochbauten wurden von drei Stuttgarter Firmen: 
Bihl & Woltz, Böklen & Feil und Albert Schiller, ge 
fertigt; die Planfertigung für das Schulhaus war von dem 
katholischen Kirchenrat an Professor Th. Fischer vergeben, 
das Rathaus wurde von Baurat Woltz ausgeführt. Da 
man darauf ausging, die Pläne möglichst den Wünschen 
der Bauherren anzupassen, gab es vielfache Abände 
rungen und oft langwierige Verhandlungen. Der Winter 
wurde dazu benutzt, das nötige Bauholz herbeizuschaffen. 
In dem Stadtwald konnten 11000 fm gehauen werden, 
die mittels einer besonderen Waldbahn nach einem 
Sägwerk geschafft wurden, das von der Firma Wurster 
& Seiler in Derendingen errichtet war und mittels einer 
60pferdigen Lokomobile betrieben wurde. Das Holz 
wurde von der Gemeinde um 27 M. für den Kubikmeter 
abgegeben. Auch brauchbarer Sand fand sich im Stadt 
wald; es konnten im ganzen gegen 4000 cbm von dort 
entnommen und ebenfalls durch die Waldbahn auf den 
Bauplatz geschafft werden. Als ein Fehlgriff erwies sich 
die Einrichtung einer Ziegelei, weil die Steine infolge 
des schlechten Wetters nicht zum Trocknen zu bringen 
waren. Da die Stadt nur wenig Brunnen besaß, die 
zudem im Sommer fast ganz versiegten, wurde gleich 
zeitig die Errichtung einer Wasserversorgung beschlossen. 
Schon am 7. Oktober besichtigte Oberbaurat v. Ehmann 
das Gelände und fertigte im Anschluß hieran die Pläne 
für eine Quellwasserleitung. Das Wasser wird durch 
ein mittels Wasserrad angetriebenes Pumpwerk der Stadt 
zugeführt. Die Kosten für diese Einrichtung beliefen 
sich auf 105 000 M. Die Bausummen der Häuser waren 
ziemlich verschieden, das teuerste Gebäude, das massiv 
errichtet wurde, kostete 24 500 M., das billigste 3800 M., 
im Durchschnitt kam ein Haus auf 9500 M. Wer sich 
herbeiließ, einen Blitzableiter auf seinem Haus an 
zubringen, erhielt die Hälfte des Betrages ersetzt. Im 
übrigen wurden die Beiträge an die Abgebrannten in 
der Weise verteilt, daß die eine Hälfte nach den Aus 
lagen, die andre nach den Vermögens- und Familien 
verhältnissen des Betreffenden bemessen wurde. An 
Liebesgaben standen dem Hilfsverein ca. 270 000 M. zur 
Verfügung, außerdem wurde der Stadt von den Land 
ständen ein Anlehen von 250 000 M. aus der Staatskasse 
zu sehr annehmbaren Bedingungen verwilligt, was einem 
Geschenk von etwa 43 000 M. entspricht; die sonstigen 
vom Staat gewährten Vergünstigungen, wie Portofreiheit, 
Uebernahme der Kanzleikosten u. s. w., stellen ein weiteres 
Geschenk von 20000 M. dar. Der einzige Luxus, der 
getrieben wurde, bestand in der Anbringung von Haus 
sprüchen, sowie einer kupfernen Gedenktafel am Rat 
haus, die erst dann erfolgte, als man einen Ueberblick 
über die Gesamtkosten hatte. Auf die geschilderte Weise 
ist es gelungen, allen Abgebrannten die wirtschaftliche 
Existenz zu erhalten und sie vor größeren Schulden zu 
bewahren, was von diesen auch dankbar anerkannt wird. 
Der Vorsitzende sprach dem Vortragenden wie den 
Firmen, die ihre Zeichnungen ausgestellt hatten, den 
verbindlichsten Dank der Anwesenden aus und betonte, 
daß zur Durchführung der geschilderten Maßnahmen vor 
allem eine außerordentliche Geduld erforderlich war und daß 
der schöne Erfolg, der erreicht wurde, wesentlich auch 
der Person des Redners zu danken sein dürfte. —n—
	        

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