Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1907)

8. Juni 1907 
Zustandes zu schildern; spricht von einer mächtig hin und 
her wogenden Menge, appelliert dabei an die Urteilsfähig 
keit jedes objektiven Beobachters und gibt schließlich dem 
Staat eins ans Bein, der in geradezu unverantwortlicher 
Weise seine Pflicht vernachlässige. Zur Richtigstellung 
dieser übertriebenen Schilderung sei erwähnt, daß an 
Sonntagen dort allerdings ein gesteigerter Verkehr herrscht, 
derselbe nimmt aber niemals eine derartige Ausdehnung an, 
welche die Entfernung der Oelmühle rechtfertigen würde. 
Was müßte da nicht alles abgebrochen werden, wenn man 
die Anschauungen und die Konsequenzen, die der Artikel 
schreiber jenes Blattes aus einigen ünglücksfällen, die 
sich dort ereignet haben, zieht, auf alle die Fälle über 
tragen wollte, bei denen die Gefahr eines solchen, wenn 
nicht größer, so doch auch nicht geringer ist! Eine ganze 
Reihe ähnlicher Zustände in der Stadt und auf dem Land 
könnte hier angeführt werden, bei denen es aber keinem 
Menschen einfällt, Abhilfe zu verlangen, beziehungsweise 
wie im vorliegenden Fall, ein aus früherer Zeit stammendes 
Bauwerk, durch dessen Vorhandensein mehr ästhetische 
als zweckdienliche Aufgaben erfüllt werden, der Ver 
nichtung preiszugehen. Würde es nicht geradezu eine 
Verflachung unsrer ganzen Auffassung bedeuten, wenn 
man wegen „Radfahrerwettfahrten“ Werte opfert, an 
denen sich ganze Generationen, allerdings ohne den 
kritischen Blick des Historikers, erfreut haben, und für 
die niemals mehr Gegenwerte geschaffen werden könnten? 
Im übrigen weiß sich der Mensch dem stets wachsenden 
Verkehr glücklicherweise durch größere Vorsicht anzu 
passen. Daß trotzdem ünglücksfälle verkommen, und 
auch da Vorkommen, wo keinerlei äußere Ursache vor 
handen ist, beweist, daß nicht immer die lokalen Ver 
hältnisse daran schuld sind. 
Neben diesen allgemeinen Gesichtspunkten der Sicher 
heit, die den Verfasser jenes Artikels die Losung „Weg 
mit der Oelmühle“ niederschreiben ließen, sind für den 
selben historische Gesichtspunkte maßgebend, da die Oel 
mühle teilweise von Steinen des ehemaligen Klosters 
erbaut worden ist, so daß bei ihm nur ein Gefühl der 
Entrüstung und der Scham beim Anblick dieses „Raub 
baus“ ausgelöst wird. So sehr diese Art von Vandalismus 
zu bedauern ist, so zeigt uns dieser Bau in um so hellerem 
Licht, in welch gesunder Weise und mit welch natür 
lichem Empfinden jene Zeit ihre Aufgaben zu lösen ver 
standen hat. Im Gegensatz zu unsern heutigen Zweck 
mäßigkeitsbauten, bei denen die Häßlichkeit mit wenigen 
Ausnahmen das charakteristischste Merkmal zu sein 
scheint, ist dieser Bau mit feinem Verständnis in seine 
Umgebung eingefügt worden. Nicht durch Zufall, sondern 
aus dem natürlichen Empfinden heraus, das statische 
Moment der Brücke zu betonen, ist dieser Platz für diesen 
Bau gewählt worden. Anderseits kommt eben durch 
seinen massigen Aufbau, der weiter keine Architektur 
aufweist und nichts mehr sein will, als er eben ist, die 
Feinheit der Gliederung der zurückliegenden Ruine um so 
mehr zum Ausdruck und trägt unmittelbar zur Steigerung 
der letzteren bei. Alle diese Gesichtspunkte hat der 
Vertreter des gegenteiligen Standpunkts unbeachtet 
gelassen, spricht der Oelmühle vielmehr ihre Existenz 
berechtigung auch vom ästhetischen Standpunkt aus ab, 
indem er dieselbe einen plumpen, unschönen, zu den 
feinen Klosterüberresten wie die Faust auf das Auge 
passenden Bau bezeichnet. 
Ob die Oelmühle nun ein Raubbau oder nicht, ob 
plump und nicht klassisch, verdient dieselbe doch dank 
des harmonischen Sicheingliederns in die Landschaft, trotz 
aller Anfeindung, den die Schönheit der Natur empfinden 
den Menschen erhalten zu bleiben. 
Prof. Gradmann sagte ganz richtig: Rückständig ist 
die Verachtung des Einfachen, Ursprünglichen, Dörflichen. 
Pforzheim, Mai 1907. 
Hahn & Do bl er. 
Wohnhaus in Stuttgart, Herdweg 91 
Architekten Schmohl & Stähelin, Stuttgart
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.