Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1907)

12. Januar 1907 
BAUZEITUNG 
15 
entlasten könne, d. h. durch den Nachweis, der Zusammen 
bruch sei durch Verschulden eines von ihm beim Gerüst 
bau beschäftigten Arbeiters erfolgt, ohne daß er, der 
Geschäftsherr, in der Auswahl des betreffenden Arbeiters, 
in der Beschaffung der Geräte und Materialien oder in 
der lieberwachung schuldhaft verfahren sei. Der Maler 
meister H. hatte den Auftrag, Malerarbeiten in einer 
Kirche auszuführen, und benutzte dabei rechtmäßig das 
von Zimmermeister T. erstellte Gerüst. Dieses brach 
zusammen, so daß H. herabfiel und eine schwere Bein 
verstauchung erlitt. H. verklagte den Gerüsterbauer auf 
Schadensersatz, worauf Landgericht und Oberlandesgericht 
den Beklagten verurteilten, das letztere mit der Begrün 
dung: „Der Beklagte selbst muß als Erbauer des Ge 
rüstes angesehen werden, der die Konstruktion entworfen, 
auch alle Einzelheiten genau vorgeschrieben und sich dann 
nur zur unselbständigen Ausführung seines Werkes der 
Arbeitskraft eines oder einiger Gesellen bedient hat.“ 
T. legte Revision ein und führte aus, es dürfe nicht 
§ 823 BGB. zur Anwendung kommen, der schlecht 
weg die Ersatzpflicht bei fahrlässiger widerrechtlicher 
oder auch durch 
Ueberschreitung eines 
Schutzgesetzes erfolg 
ter Körperverletzung 
festsetzt, sondern es 
müsse derEntlastungs- 
beweis nach § 831 
BGB. freistehen. 
Dem gegenüber 
führt das Reichsge 
richt aus: „Der Re 
visionskläger meint, 
daß, weil die Haupt 
ursache des Zusam 
mensturzes imfi eraus- 
gehen eines die rechte 
Eckstütze des Ge 
rüstes auf dem Chor 
stuhl befestigenden 
Nagels zu finden sei, 
und weil das unge 
nügende Einschlagen 
dieses Nagels alsAus- 
führungs-, nicht als 
Anlagefehler erachtet 
werden müsse, hierfür 
der Beklagte nicht verantwortlich gemacht werden könne. 
Indessen abgesehen davon, daß auch dem angezogenen §831 
der § 823 als Regel zugrunde liegt, findet der Berufungs 
richter in obigem Umstand keinesfalls die einzige Schadens 
ursache, sondern er weist darauf hin, daß weder Bretter 
noch Querhölzer noch Spreizen zwischen den zwei Längs 
hölzern genügend festgenagelt waren, daß eines der letzteren 
aus zwei Stücken bestand und daß alle diese Tatsachen 
auf die Widerstandsfähigkeit des Gerüstes gegen Er 
schütterungen ungünstig einwirken mußten, üeberdies 
nimmt er — nach § 831 und in üebereinstimmung mit 
der Rechtsprechung — eine dem Beklagten als Meister 
obgelegene Pflicht an, die den Gesellen R. und S. zu 
geteilte Arbeitsleistung zu leiten und zu überwachen, 
namentlich die Befolgung der auf die Haltbarkeit und 
Standfestigkeit des Gerüstes abzielenden Weisungen per 
sönlich zu kontrollieren. 
Nach dem allen kann ein Rechtsirrtum des Vorder 
richters in Anwendung des Gesetzes und in Zuweisung 
der ganzen Verantwortlichkeit an den Beklagten nicht 
erblickt werden. Denn erstlich kann der Entscheidung, 
daß der Beklagte die Gesellen zu der Ver 
richtung des Gerüstbaues nicht im Sinne des 
§ 831 BGB. bestellt hat, nicht entgegen 
getreten werden. Es ist Frage tatsächlicher Wür 
digung, ob im Einzelfalle der Geschäftsherr eine gewisse 
Arbeit übertragen oder ob er sich diese Arbeit im ganzen 
selbst Vorbehalten und sich seiner Hilfsarbeiter nicht als 
Beauftragter, sondern nur als unselbständiger Werkzeuge 
bedient hat. Daß dies letztere in gegebener Sache der 
Fall war, stellt das Berufungsgericht einwandfrei fest. 
Dies schließt nicht aus, daß immerhin einzelne ganz unter 
geordnete Arbeiten, zum Beispiel hier das Einschlagen 
eines einzigen Nagels, dem Gesellen zu ganz eigner 
Vornahme übertragen, daß der Geselle hierzu „be 
stellt“ sein kann. Aber hierum handelt es sich nach 
den obenerwähnten Feststellungen des Oberlandes 
gerichts nicht, sondern um die Ausführung des Werkes 
im ganzen.“ 
Auf Grund des die Ersatzpflicht T.s rechtskräftig fest 
stellenden höchstgerichtlichen Urteils schlossen die Parteien 
einen Vergleich, demgemäß der — übrigens durch Haft 
pflichtversicherung beim Stuttgarter Versicherungsverein 
gedeckte — Unternehmer dem in seiner Erwerbsfähigkeit 
schwer behinderten H. eine Kapitalabfindung von 30 000 M. 
zahlte und die hohen Gerichtskosten (über 4000 M.) über 
nahm. P. 
Vereins- 
mitteilungen 
Württ. Baube 
amtenverein. Dem 
Verein haben ab 
1. Januar 1907 ihren 
Beitritt angemeldet; 
Wilh. Rickert, Staats 
straßenmeister, Stutt 
gart, Augustenstr. 7 3; 
Fr. Hiller, Oberamts 
straßenmeister, Nür 
tingen. 
Einbanddecken 
mit Titelaufdruck für 
den letzten Jahrgang 
der „Bauzeitung“ sind 
gegen Einsendung des 
Betrags von je 1,50 M. 
von der Geschäfts 
stelle dieser Zeitung, 
Büchsenstraße 26B in 
Stuttgart, zu beziehen und empfiehlt es sich, diese Be 
stellung möglichst bald zu machen. 
Kleine Mitteilungen 
Württembergisclier Kunstverein Stuttgart. Neu 
ausgestellt: Große französische Kollektion mit Werken 
von Emile Bernard, Pierre Bounard, Charles Camoin, 
Lucie Cousturier, Henri Edmond Groß, Maurice Denis, 
Edvard Diriks, Paul Gauguin, Vincent van Gogh, Charles 
Guerin, Henri Matisse, Pierre Laprade, Alcide Lebeau, 
Maximilien Luce, Henri Manguin, Albert Marquet, Jean 
Puy, Xavier Roussel, Theo van Rysselberghe, Georges 
Seurat, E. Schuffenecker, Paul Signac, Felix Valloton, 
Louis Valtat, Edouard Vuillard. 
Stuttgart. Aufruf der Beratungsstelle für 
das Baugewerbe. In allen deutschen Gauen regt sich 
der Wunsch, das bisher oft so sehr vernachlässigte Erbe 
unsrer Väter besser zu hegen und zu pflegen, uns neu zu 
eigen zu machen und auf dieser Grundlage unsre Kultur 
arbeit weiter zu verrichten. Aber nicht bloß in den 
gewaltigen Domen und Kirchen, den kühnen Burgbauten 
und prächtigen Schlössern sind die großen bleibenden 
Werte enthalten, sondern auch darin, was der ruhige 
Bürger und fleißige Bauersmann fürs tägliche Leben und
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.