12. Januar 1907
BAUZEITUNG
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entlasten könne, d. h. durch den Nachweis, der Zusammen
bruch sei durch Verschulden eines von ihm beim Gerüst
bau beschäftigten Arbeiters erfolgt, ohne daß er, der
Geschäftsherr, in der Auswahl des betreffenden Arbeiters,
in der Beschaffung der Geräte und Materialien oder in
der lieberwachung schuldhaft verfahren sei. Der Maler
meister H. hatte den Auftrag, Malerarbeiten in einer
Kirche auszuführen, und benutzte dabei rechtmäßig das
von Zimmermeister T. erstellte Gerüst. Dieses brach
zusammen, so daß H. herabfiel und eine schwere Bein
verstauchung erlitt. H. verklagte den Gerüsterbauer auf
Schadensersatz, worauf Landgericht und Oberlandesgericht
den Beklagten verurteilten, das letztere mit der Begrün
dung: „Der Beklagte selbst muß als Erbauer des Ge
rüstes angesehen werden, der die Konstruktion entworfen,
auch alle Einzelheiten genau vorgeschrieben und sich dann
nur zur unselbständigen Ausführung seines Werkes der
Arbeitskraft eines oder einiger Gesellen bedient hat.“
T. legte Revision ein und führte aus, es dürfe nicht
§ 823 BGB. zur Anwendung kommen, der schlecht
weg die Ersatzpflicht bei fahrlässiger widerrechtlicher
oder auch durch
Ueberschreitung eines
Schutzgesetzes erfolg
ter Körperverletzung
festsetzt, sondern es
müsse derEntlastungs-
beweis nach § 831
BGB. freistehen.
Dem gegenüber
führt das Reichsge
richt aus: „Der Re
visionskläger meint,
daß, weil die Haupt
ursache des Zusam
mensturzes imfi eraus-
gehen eines die rechte
Eckstütze des Ge
rüstes auf dem Chor
stuhl befestigenden
Nagels zu finden sei,
und weil das unge
nügende Einschlagen
dieses Nagels alsAus-
führungs-, nicht als
Anlagefehler erachtet
werden müsse, hierfür
der Beklagte nicht verantwortlich gemacht werden könne.
Indessen abgesehen davon, daß auch dem angezogenen §831
der § 823 als Regel zugrunde liegt, findet der Berufungs
richter in obigem Umstand keinesfalls die einzige Schadens
ursache, sondern er weist darauf hin, daß weder Bretter
noch Querhölzer noch Spreizen zwischen den zwei Längs
hölzern genügend festgenagelt waren, daß eines der letzteren
aus zwei Stücken bestand und daß alle diese Tatsachen
auf die Widerstandsfähigkeit des Gerüstes gegen Er
schütterungen ungünstig einwirken mußten, üeberdies
nimmt er — nach § 831 und in üebereinstimmung mit
der Rechtsprechung — eine dem Beklagten als Meister
obgelegene Pflicht an, die den Gesellen R. und S. zu
geteilte Arbeitsleistung zu leiten und zu überwachen,
namentlich die Befolgung der auf die Haltbarkeit und
Standfestigkeit des Gerüstes abzielenden Weisungen per
sönlich zu kontrollieren.
Nach dem allen kann ein Rechtsirrtum des Vorder
richters in Anwendung des Gesetzes und in Zuweisung
der ganzen Verantwortlichkeit an den Beklagten nicht
erblickt werden. Denn erstlich kann der Entscheidung,
daß der Beklagte die Gesellen zu der Ver
richtung des Gerüstbaues nicht im Sinne des
§ 831 BGB. bestellt hat, nicht entgegen
getreten werden. Es ist Frage tatsächlicher Wür
digung, ob im Einzelfalle der Geschäftsherr eine gewisse
Arbeit übertragen oder ob er sich diese Arbeit im ganzen
selbst Vorbehalten und sich seiner Hilfsarbeiter nicht als
Beauftragter, sondern nur als unselbständiger Werkzeuge
bedient hat. Daß dies letztere in gegebener Sache der
Fall war, stellt das Berufungsgericht einwandfrei fest.
Dies schließt nicht aus, daß immerhin einzelne ganz unter
geordnete Arbeiten, zum Beispiel hier das Einschlagen
eines einzigen Nagels, dem Gesellen zu ganz eigner
Vornahme übertragen, daß der Geselle hierzu „be
stellt“ sein kann. Aber hierum handelt es sich nach
den obenerwähnten Feststellungen des Oberlandes
gerichts nicht, sondern um die Ausführung des Werkes
im ganzen.“
Auf Grund des die Ersatzpflicht T.s rechtskräftig fest
stellenden höchstgerichtlichen Urteils schlossen die Parteien
einen Vergleich, demgemäß der — übrigens durch Haft
pflichtversicherung beim Stuttgarter Versicherungsverein
gedeckte — Unternehmer dem in seiner Erwerbsfähigkeit
schwer behinderten H. eine Kapitalabfindung von 30 000 M.
zahlte und die hohen Gerichtskosten (über 4000 M.) über
nahm. P.
Vereins-
mitteilungen
Württ. Baube
amtenverein. Dem
Verein haben ab
1. Januar 1907 ihren
Beitritt angemeldet;
Wilh. Rickert, Staats
straßenmeister, Stutt
gart, Augustenstr. 7 3;
Fr. Hiller, Oberamts
straßenmeister, Nür
tingen.
Einbanddecken
mit Titelaufdruck für
den letzten Jahrgang
der „Bauzeitung“ sind
gegen Einsendung des
Betrags von je 1,50 M.
von der Geschäfts
stelle dieser Zeitung,
Büchsenstraße 26B in
Stuttgart, zu beziehen und empfiehlt es sich, diese Be
stellung möglichst bald zu machen.
Kleine Mitteilungen
Württembergisclier Kunstverein Stuttgart. Neu
ausgestellt: Große französische Kollektion mit Werken
von Emile Bernard, Pierre Bounard, Charles Camoin,
Lucie Cousturier, Henri Edmond Groß, Maurice Denis,
Edvard Diriks, Paul Gauguin, Vincent van Gogh, Charles
Guerin, Henri Matisse, Pierre Laprade, Alcide Lebeau,
Maximilien Luce, Henri Manguin, Albert Marquet, Jean
Puy, Xavier Roussel, Theo van Rysselberghe, Georges
Seurat, E. Schuffenecker, Paul Signac, Felix Valloton,
Louis Valtat, Edouard Vuillard.
Stuttgart. Aufruf der Beratungsstelle für
das Baugewerbe. In allen deutschen Gauen regt sich
der Wunsch, das bisher oft so sehr vernachlässigte Erbe
unsrer Väter besser zu hegen und zu pflegen, uns neu zu
eigen zu machen und auf dieser Grundlage unsre Kultur
arbeit weiter zu verrichten. Aber nicht bloß in den
gewaltigen Domen und Kirchen, den kühnen Burgbauten
und prächtigen Schlössern sind die großen bleibenden
Werte enthalten, sondern auch darin, was der ruhige
Bürger und fleißige Bauersmann fürs tägliche Leben und