254
BAUZBITUNG
Nr. 32
Bedürfnisanstalt an der Englischen Kirche in Stuttgart. Massen
fabrikation mit gegossenen Schmiedeeisenornamenten
Bedürfnisanstalten
Einen eigenartigen Anblick in unsern modernen Städte
bildern bieten die Bedürfnisanstalten, die trotz des sonstigen
Bestrebens der Stadtverwaltungen nach künstlerischen
Lösungen ihrer Baulichkeiten mit der ästhetischen Aus
bildung des Aeußeren im argen Rückstand sind. Es
scheint, als käme der Mißstand daher, daß diese kleinen
Baulichkeiten von den betreifenden Tiefbauämtern auf
gestellt werden, welche die zugehörige Kanalisation u. s. w.
unter sich haben. Es ist dies ein unhaltbarer Zustand
und es wäre höchste Zeit, daß hier die Stadtverwaltungen
auch ein wenig ihr fürsorgendes Auge öffnen wollten.
Bisher hatte man diese Bedürfnisanstalten größeren oder
kleineren Stils von Fabriken bezogen, die nach einem
und demselben Modell möglichst viele Exemplare zu
Straßenbahnwartehalle mit Laden und unterirdischer Bedürfnisanstalt
in Stuttgart
verkaufen suchten. Das wäre ja nun nicht das schlimmste,,
wenn die Modelle in einfacher, sinngemäßer Weise aus
geführt würden, aber auch hier herrscht Schein und
Ueberladung in geschmacklosester Weise. Man sehe
sich nur die schönen gegossenen Oberlichtgitter an, die
den Anschein erwecken sollen, als wären sie in Nürn
berg künstlerisch geschmiedet. Auf weiteres einzugehen
ist wohl unnötig.
In unserm Stuttgart haben wir eine Stadtverwal
tung, die erfreulicherweise reges Interesse an der
künstlerischen Ausgestaltung aller Baulichkeiten hat;
sie hat dies erst kürzlich durch das Wettbewerbaus-
schreiben für die neuen Schulen bewiesen. Und die
Stuttgarter Architekten haben in zahlreichen Preis
ausschreiben gezeigt, daß sie imstande sind, vorzügliche
Arbeiten zu liefern. Um so mehr ist es zu verwundern,
daß in letzter Zeit einige neue Bedürfnisanstalten in auf
dringlicher Weise an belebten Stellen aufgestellt wurden,
die zu einer Kritik herausfordern müssen. Man sehe sich
die „Marmorpalais“, wie sie der Yolkswitz getauft,
auf dem Gewerbehalleplatz und am Westbahnhof an.
Welches Protzentum für derartige Anlagen! „Gegossene
Schmiedearbeiten“ sind ja zum Glück nicht mehr daran,
aber desto mehr andrer Zierat. Man bewundere nur die
schönen Bleiverglasungen, die Eisenornamentik u. s. w.
Die Baukosten für diese im übrigen praktisch und
hygienisch eingerichteten Häuser dürften sich wohl ver
mindern lassen, wenn man das Aeußere einfacher, aber
künstlerisch bearbeiten ließe. Die Bedürfnisanstalt mit
Straßenbahnwartehalle am Alten Postplatz zeigt ebenfalls
Formen, die man als wunderlich bezeichnen kann. Warum
legt man so wenig Wert auf die Ausgestaltung dieser
städtischen Baulichkeiten? Es geht ähnlich wie bei der
Gestaltung der Laternenpfosten und öffentlichen Brunnen.
Die Mineralwasserhäuser gehören auch in diese Kategorie
Bedürfnisanstalt in Halle a. S. Architekt Landesbaurat und Prov.-
Konservator C. Eehorst. Aus der „Architektonischen Rundschau“.
Verlag J. Engelhorn, Stuttgart