Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1907)

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BAUZEITUNG 
Nr. 33 
K 
Wettbewerb Rathaus Feuerbach. 1. Preis 
Architekten Fr. Gabriel und H. Haller, Stuttgart 
Nr. 55. Motto: „Ohne Turm“. Lage des Hauses und 
der Eingänge einwandfrei. Die klare Einteilung der 
Grundrisse ist hervorzuheben. Dieselben leiden aber 
unter zu großem Platzaufwand für Vorplätze, Gänge und 
disponibeln Zimmern. Die Zimmer des Stadtvorstandes 
dürften besser an bevorzugter Stelle an der Ecke ihren 
Platz finden. Das Aeußere zeigt vortreffliche Verhält 
nisse und vornehme Haltung. Zu bedauern ist, daß bei 
der gerügten Platzverschwendung die Baukosten sich 
wesentlich zu hoch stellen würden. 
Nr. 5. Motto: „Ratsherr“. Lage und Eingänge sind 
einwandfrei gelöst. Die Haupttreppe wirkt in ihrer 
axialen Lage etwas langweilig und dürfte besser seitlich 
angeordnet werden. Der rechtsseitige Korridor dürfte 
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unter mangelhafter Beleuchtung leiden. Zu wünschen 
wäre, daß die Zimmer des Stadtvorstandes auf dem 
selben Boden wie die Sitzungssäle liegen würden. Bei 
ruhiger Formgebung trägt das Aeußere eine für ein Rat 
haus charakteristische Haltung. (Schluß folgt) 
Architektonische Aufgaben der Städte 
(Fortsetzung) Von Fritz Schumacher 
Und damit kommen wir zum hauptsächlicnsten Teil 
der Frage nach den neuen baukünstlerischen Aufgaben, 
welche unsre Zeit der Stadtverwaltung stellt. — Es 
handelt sich nicht mehr um Vergangenheit oder Zukunft, 
sondern um die Gegenwart. Wer es sich noch nicht 
klargemacht hat, braucht sich nur einmal die Abteilungen 
der Deutschen Städteausstellung katalogartig zu vergegen 
wärtigen, um zu überblicken, welche Kulturfäden in der 
Hand einer Stadtverwaltung zusammenlaufen. Anstalten 
für Kulturpflege: Museen, Bibliotheken, Schulen, — 
Anstalten für Erholung: Bäder, Theater, Parks, — 
Anstalten für die täglichen Lebensbedürfnisse: Markt 
hallen, Schlachthäuser, Beleuchtungswerke, Wasserwerke, 
— Anstalten für Verkehr; Brücken, Bahnen, — Anstalten 
für Sicherheit; Feuerwehr und Polizei, — Anstalten für 
Versorgung: Kranken-, Blinden-, Irren-, Siechenheime, 
— endlich der Friedhof. Das ganze Leben des Menschen, 
das innere und äußere, das arbeitende und das genießende, 
spielt sich innerhalb dieser Begriffe ab. Jeder dieser 
Begriffe bedeutet Bauten, — fast jeder dieser Begriffe 
bedeutet Bauten, deren Typus in unsrer Zeit neu zu 
entwickeln war. Alle diese Begriffe verlangen zunächst 
eine rein praktische, sachgemäße Erfüllung; für fast alle 
ist dieser praktische, sachliche Typus der Anlagebedingung 
in mühsamer Arbeit langsam entwickelt worden, und jetzt, 
nachdem wir dieses praktische Arbeitsquantum, das unsrer 
Epoche gestellt war, in vielfach viel zu sehr unterschätzter 
architektonischer Arbeit bewältigt haben, kommen wir 
zu der Erkenntnis, daß alles das, was hier praktisch ge 
staltet werden mußte, zugleich schön gestaltet werden 
kann, ohne daß die Schönheit als Luxuszugabe zum Be 
dürfnis hinzugetan zu werden braucht. In dieser Er 
kenntnis aber liegt die Perspektive, die zur Hoffnung 
führt auf eine wirklich neue ästhetische Kultur. 
„Praktisch“ und „Aesthetisch“ brauchen nichts Ge 
trenntes zu sein, darauf kommt es an. Man hat sie lange 
sogar für Gegensätze gehalten. Die Epochen historischer 
Stilnachahmung führten leicht dazu; sie brachten es mit 
sich, das Gebäude aufzufassen als einen praktischen 
Bedüi’fniskern, zu dem nun die Architekturformen, Um 
rahmungen, Portale, Giebelaufbauten und Erker eines 
bestimmten Stiles hinzukamen, um aus dem Bedürfnisbau 
einen Schönheitsbau zu machen. Gewiß ist manch ein 
drucksvolles Werk daraus entstanden, aber das Mittel 
versagte allen jenen rein praktischen Bauten gegenüber, 
die aus den sozialen Verhältnissen heraus in den Vorder 
grund der Bautätigkeit traten; an ihnen wurden die 
dürftigen Ueberreste eines für andre Zwecke entwickelten 
historischen Stiles zur Karikatur. Es ist der Kern der 
neuzeitlichen Anschauungen der Baukunst, statt dieser 
Art Stilarchitektur dem Stile der Sachlichkeit zuzustreben, 
der seine Reize zu entwickeln versucht aus der rein sach 
lichen, möglichst praktischen Lösung der jeweiligen Auf 
gabe, aus der Art, wie man gliedert und gruppiert, nicht 
wie man verziert und dekoriert. Dadurch ist innerlich 
die Brücke geschlagen zwischen den künstlerischen Be 
dürfnissen unsrer Zeit und den bislang meist als un 
künstlerisch empfundenen sozialen Bedürfnissen, welche 
die Kulturentwicklung auf dem Baugebiete mit sich 
brachte. 
Und nun haben wir in der Stadtverwaltung einen 
Bauherrn, der über eine ungeheure Menge praktischer 
Aufgaben verfügt, und auf der andern Seite einen Künstler
	        

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