260
BAUZEITUNG
Nr. 33
K
/
der sich die repräsentativen Verpflichtungen der Stadt
am deutlichsten widerspiegeln. Aber die moderne Stadt
faßt ihre repräsentativen Verpflichtungen viel weiter auf.
Die Pflegstätten geistiger Kultur, Theater, Museen und
Bibliotheken waren bis in das 19. Jahrhundert herein
fast ausschließlich fürstliche Privatunternehmungen, die
aus edeln, persönlichen Liebhabereien entstanden, all
mählich erst mehr und mehr Gemeingut wurden. Dadurch
sind die Residenzstädte in bezug auf diese Kulturpfieg-
stätten durch natürliche Entwicklung ungemein bevorzugt;
sie haben fürstliche Bibliotheken, fürstliche Museen und
Theater. Wir können sehen, daß in fast allen großen
Gemeinwesen, die nicht Residenzen sind, die Stadtver
waltungen es als ihre Aufgabe betrachtet haben, diese
Ungleichheit durch Einrichtung städtischer Institute solcher
Art wettzumachen. Zumal in Theater- und Festbauten
ist ein erstaunliches Schaffen wahrzunehmen, das bis
weilen, wie zum Beispiel in dem genialen Festsaalbau der
Stadt Mannheim (Bruno Schmitz) zu Leistungen geführt
hat, die man stets zu den führenden Monumentalwerken
des Jahrhunderts rechnen wird. Es ist wohl keine Frage,
Architekt F. B. Scholer, Stuttgart
daß der repräsentativ architektonische
Aufwand, der sich gerade auf diese
der Pflege geistiger Kultur gewidmeten
Aufgaben als etwas fast Selbstver
ständliches ergießt, eine Folge jener
Konkurrenz mit ursprünglich fürst
lichen Liehhaberunternehmungen ist.
AVeil der Fürst seine Kunstsammlung
oder seine Bibliothek in Palästen auf
stellte, war der Begriff des Museums
und der Bibliothek zunächst der Palast
hegriff. Wer aber die Leistungen
der Städte auf diesem Gebiet genauer
miteinander vergleicht, kann sehen,
daß deutliche Zeichen der Emanzipie
rung von diesem Schema des Palastes
sich vielfach bemerkbar machen. Schon
sehen wir Bibliotheken, welche das
große System ihrer Magazinräume zu
einem architektonischen Motiv aus
zugestalten trachten und so zu einem
eignen Typus innerlich ausreifen. Vor allem aber fallen
neben den Palastmuseen die Versuche auf (Magdeburg,
Berlin), die das Museumsgebäude dem vorhandenen Aus
stellungsmaterial individuell anpassen. Mankommt dadurch
zu gruppierten Anlagen, die erst aus dem Innern heraus
verständlich werden, wo Räume, Hallen, Höfe und Gänge
sich so zusammenschließen, daß Architektureindrücke ent
stehen, die dem Charakter des jeweilig Ausgestellten
angepaßt sind. Museen und Bibliotheken, die sich in
gewissen Bauepochen unsrer Zeit zum Verwechseln ähn
lich sahen, gehen damit zu ganz entgegengesetzten Typen
auseinander: die einen zum geschlossenen Magazinbau, die
andern zum Charakter individueller Gruppierung.
Hat man bei allen diesen Aufgaben die Pflege der
künstlerischen Seite ihrer Gestaltung sozusagen als Tra
dition bekommen, so bedeutet es eine Kulturerrungenschaft
der letzten Jahrzehnte, das Bewußtsein dafür, daß Kunst
entfaltung und Kulturpflege Hand in Hand gehen müssen,
auch auf Aufgaben ausgedehnt zu haben, für die diese
Traditionen nicht vorhanden waren, sondern die ur
sprünglich nur als Nutzbauten betrachtet wurden.
Nicht nur Theater, Museen und Bibliotheken sind
Pflegstätten der Kultur, dieselbe Rolle auf diesem Gebiete
spielen Schulen und Bäder.
Es liegt auf der Hand, daß die künstlerische Ge
staltung dieser Gebäudeaufgaben nicht ohne weiteres aus
ihrem eigentlichen Zweck, dem hygienischen oder dem
pädagogischen, gefolgert werden kann, sie ist vielmehr
ein Zeichen für das Vordringen der höheren Auffassung,
welche die intellektuelle, die körperliche und die ästhetische
Kultur für einen untrennbaren Dreibund zur Erzielung
eines leistungsfähigen Geschlechtes betrachtet. Die beiden
ersten Mächte, die intellektuelle und die körperliche
Pflege, werden ja immer in einem gewissen Gegensatz
zueinander stehen, der möglichst ins Gleichgewicht ge
bracht werden muß; die dritte Macht aber, die ästhe
tische, braucht durchaus nicht als Isoliertes für sich zu
bestehen, sondern kann sich sowohl mit der ersten wie
mit der zweiten verbinden. Diese Erkenntnis hat dazu
geführt, diejenige Kunst, die mit den Stätten des täg
lichen Lebens verknüpft ist, für ebenso wichtig zu halten
wie diejenige, die man erst in ihrem eignen Reiche auf
suchen muß, um ihrer habhaft zu werden. Und unter
all den nüchternen Lösungen früherer Jahre tauchen
neuerdings Schöpfungen auf, die, wie das Volksbad in
München oder die neuen Bäder der Stadt Berlin, einen
Hauch tragen von jenem Geiste antiker Thermen, die
einst Kunst und Körperpflege im größten Stile miteinander
verbanden. (Schluß folgt)