I
Der Architektur sind hier Möglichkeiten Vorbehalten, die,
in großem Sinne durchgeführt, den modernen Großstadt
friedhof erst auf die Höhe unsrer Kultur zu heben ver
mögen.
Alle diese Aufgaben, von deren architektonischer
Bewältigung wir bisher sprachen, haben in ihrem Pro
gramm in irgendeiner Weise eine ideale Seite, und meist
ist es die Forderung des künstlerischen Ausdrucks, diesen
mehr oder minder versteckten idealen Kern den prak
tischen Momenten gegenüber herauszuheben. Der modernen
Stadt aber erwachsen auch Aufgaben, in denen solch ein
idealer Kern von Machtentfaltung, Kulturpflege, Nächsten
liebe, Totenverehrung u. dergl. gar nicht zu finden ist.
Das sind unter anderm alle die großen Aufgaben, die sich
auf Versorgung und Verpflegung der Großstadt und auf
den Verkehr der Massen beziehen. Rein praktische
Gesichtspunkte bestimmen das Schlachthaus, das Wasser
werk, die Markthalle, die Lagerhäuser und Silos.
Es wäre eine innere Lüge, wollte man diesen Auf
gaben künstlich einen idealen Mantel umhängen, und es
wäre kein Zeichen von Kultur, sondern nur ein Zeichen
von Theaterkultur, wollte man sie architektonisch heraus
putzen, um sie angenehm zu machen.
Man kann in manchen Lösungen, die Bauten dieser
Art in den letzten Jahrzehnten erfahren haben, deutlich
sehen, wie man die großen Baumassen, die sie erfordern,
als ästhetisches Hindernis empfand. Man versuchte diese
Massen dadurch zu überwinden, daß man sie durch Formen
klein machte und charakterisierte, etwa ein Silo wie ein
großes Etagenhaus, einen Wasserturm wie einen Burg
bau. Man kam nicht weit damit. Erst wo man die
Massen, die diese Bauten mit sich brachten, nicht mehr
als Hindernis empfand, sondern als das eigentliche Mittel,
mit dem es zu wirken gilt, kam man zu wirklichen
Lösungen.
Man betrachte die Getreidehäuser am Wormser Hafen;
die Baumasse ist benutzt, um als mächtige Silhouette zu
wirken. Dem Erbauer ist es nicht eingefallen, sie durch
architektonische Mittel mildern und bescheidener machen
zu wollen, und nun liegt diese Baumasse wuchtig da, so
daß wir instinktiv das richtige Gefühl haben, hier den
Sammelpunkt irgendeiner großen Kraft vor uns zu sehen.
Dieser Eindruck ist das ästhetische Ziel einer ganzen
Reihe moderner Bauten. Elektrizitäts- und W asserwerke,
Schlachthäuser und Gebäude für öffentliche Sicherheit
— sie haben das eine Gemeinsame, Speicher einer großen
zentralen Kraft zu sein, und um das künstlerisch zum
Ausdruck zu bringen, bedarf man
gerade der Masse. Künstlerhand
vermag sie so zu ordnen, daß ihre
Wucht noch gesteigert erscheint,
sie vermag sie so zu ordnen, daß
sie nicht als freudloser Klumpen,
sondern als imponierende Kraft
wirkt. Und auch wo es sich nicht
um äußere Wirkung, sondern um
Innenräume handelt, wie bei der
Markthalle, beruht die ästhetische
Bewältigung vor allem in der Kühn
heit der Größenbetonung. Nach
dieser Richtung liegen hier die Ziele,
und sie sind nicht die unwichtigsten,
die der Stadtkultur gesteckt sind.
Im Städtebild spielen die Massen
solcher Bauten vielfach eine wichtige
Rolle. Wassertürme, Kraftwerke
und Lagerhäuser beherrschen oft
mals die Silhouette eines Stadt
ausschnitts. Ebenso traurig wie
sie wirken, wenn sie in gefühlloser
Nacktheit sozusagen wie Bauten
gerippe in ein Bild hereinschauen,
ebenso bedeutungslos werden sie, wenn man ihre Massen
künstlich hinter allerlei architektonischem Schmuck zu
verbergen sucht. Nur was die Massen als solche veredelt,
ohne sie zu verkleinern, kann ihnen Leben geben.
Zu sehr ähnlichen Betrachtungen fordern die bau
lichen Arbeiten heraus, die im Dienste des Verkehrs sich
mit der Ingenieurarbeit des Tiefbaus und des Brücken
baus verschwistern. Hafenstädte und Städte, die an
Flüssen liegen, haben vielleicht ihre wichtigsten Auf
gaben in den letzten Jahrzehnten auf diesem Gebiete zu
leisten gehabt, und zwar Aufgaben, die für die künst
lerische Physiognomie der Städte entscheidend waren;
denn überall, wo eine Stadt mit Wasser in Berührung
steht, liegen die ausschlaggebenden Eindrücke an diesen
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Rathaus für Feuerbach. Angekaufter Entwurf
Architekt Fritz Müller, Stuttgart