Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1907)

I 
Der Architektur sind hier Möglichkeiten Vorbehalten, die, 
in großem Sinne durchgeführt, den modernen Großstadt 
friedhof erst auf die Höhe unsrer Kultur zu heben ver 
mögen. 
Alle diese Aufgaben, von deren architektonischer 
Bewältigung wir bisher sprachen, haben in ihrem Pro 
gramm in irgendeiner Weise eine ideale Seite, und meist 
ist es die Forderung des künstlerischen Ausdrucks, diesen 
mehr oder minder versteckten idealen Kern den prak 
tischen Momenten gegenüber herauszuheben. Der modernen 
Stadt aber erwachsen auch Aufgaben, in denen solch ein 
idealer Kern von Machtentfaltung, Kulturpflege, Nächsten 
liebe, Totenverehrung u. dergl. gar nicht zu finden ist. 
Das sind unter anderm alle die großen Aufgaben, die sich 
auf Versorgung und Verpflegung der Großstadt und auf 
den Verkehr der Massen beziehen. Rein praktische 
Gesichtspunkte bestimmen das Schlachthaus, das Wasser 
werk, die Markthalle, die Lagerhäuser und Silos. 
Es wäre eine innere Lüge, wollte man diesen Auf 
gaben künstlich einen idealen Mantel umhängen, und es 
wäre kein Zeichen von Kultur, sondern nur ein Zeichen 
von Theaterkultur, wollte man sie architektonisch heraus 
putzen, um sie angenehm zu machen. 
Man kann in manchen Lösungen, die Bauten dieser 
Art in den letzten Jahrzehnten erfahren haben, deutlich 
sehen, wie man die großen Baumassen, die sie erfordern, 
als ästhetisches Hindernis empfand. Man versuchte diese 
Massen dadurch zu überwinden, daß man sie durch Formen 
klein machte und charakterisierte, etwa ein Silo wie ein 
großes Etagenhaus, einen Wasserturm wie einen Burg 
bau. Man kam nicht weit damit. Erst wo man die 
Massen, die diese Bauten mit sich brachten, nicht mehr 
als Hindernis empfand, sondern als das eigentliche Mittel, 
mit dem es zu wirken gilt, kam man zu wirklichen 
Lösungen. 
Man betrachte die Getreidehäuser am Wormser Hafen; 
die Baumasse ist benutzt, um als mächtige Silhouette zu 
wirken. Dem Erbauer ist es nicht eingefallen, sie durch 
architektonische Mittel mildern und bescheidener machen 
zu wollen, und nun liegt diese Baumasse wuchtig da, so 
daß wir instinktiv das richtige Gefühl haben, hier den 
Sammelpunkt irgendeiner großen Kraft vor uns zu sehen. 
Dieser Eindruck ist das ästhetische Ziel einer ganzen 
Reihe moderner Bauten. Elektrizitäts- und W asserwerke, 
Schlachthäuser und Gebäude für öffentliche Sicherheit 
— sie haben das eine Gemeinsame, Speicher einer großen 
zentralen Kraft zu sein, und um das künstlerisch zum 
Ausdruck zu bringen, bedarf man 
gerade der Masse. Künstlerhand 
vermag sie so zu ordnen, daß ihre 
Wucht noch gesteigert erscheint, 
sie vermag sie so zu ordnen, daß 
sie nicht als freudloser Klumpen, 
sondern als imponierende Kraft 
wirkt. Und auch wo es sich nicht 
um äußere Wirkung, sondern um 
Innenräume handelt, wie bei der 
Markthalle, beruht die ästhetische 
Bewältigung vor allem in der Kühn 
heit der Größenbetonung. Nach 
dieser Richtung liegen hier die Ziele, 
und sie sind nicht die unwichtigsten, 
die der Stadtkultur gesteckt sind. 
Im Städtebild spielen die Massen 
solcher Bauten vielfach eine wichtige 
Rolle. Wassertürme, Kraftwerke 
und Lagerhäuser beherrschen oft 
mals die Silhouette eines Stadt 
ausschnitts. Ebenso traurig wie 
sie wirken, wenn sie in gefühlloser 
Nacktheit sozusagen wie Bauten 
gerippe in ein Bild hereinschauen, 
ebenso bedeutungslos werden sie, wenn man ihre Massen 
künstlich hinter allerlei architektonischem Schmuck zu 
verbergen sucht. Nur was die Massen als solche veredelt, 
ohne sie zu verkleinern, kann ihnen Leben geben. 
Zu sehr ähnlichen Betrachtungen fordern die bau 
lichen Arbeiten heraus, die im Dienste des Verkehrs sich 
mit der Ingenieurarbeit des Tiefbaus und des Brücken 
baus verschwistern. Hafenstädte und Städte, die an 
Flüssen liegen, haben vielleicht ihre wichtigsten Auf 
gaben in den letzten Jahrzehnten auf diesem Gebiete zu 
leisten gehabt, und zwar Aufgaben, die für die künst 
lerische Physiognomie der Städte entscheidend waren; 
denn überall, wo eine Stadt mit Wasser in Berührung 
steht, liegen die ausschlaggebenden Eindrücke an diesen 
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