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24. August 1907
BAUZBITUNG
Wettbewerb Rathaus Peuerbaoh. Motto: „Der neuen Stadt“. Angekaufter Entwurf
Architekt Willy Graf, Stuttgart
Berührungsstellen. Alle die wichtigen
Lösungen, die nötig sind, um Wasser
mit Land in Beziehung zu setzen, Häfen,
Kai-, Brückenbauten, haben fast aus
schließlich in den Händen von Ingenieuren
gelegen. Aehnlich ist es mit den Bauten,
die mit Bahnleitungen Zusammenhängen.
Es hat sich dadurch ein ganz neues
Reich baulicher Eindrücke entwickelt,
in dem Brücken und Hochbahnen die
führende Rolle spielen, ein Reich, das
uns wohl am charakteristischsten ent
gegentritt, wo es am wenigsten zusammen
hängt mit Architekturgestaltung im üb
lichen Sinne.
Man kann auf diesem Gebiete viel
leicht die größten Gegensätze wahrnehmen.
Auf der einen Seite stehen Lösungen
von Brücken und Uebergängen, die unter
Zuhilfenahme von armiertem Beton ganz
im Sinne der Steinarchitektur durch
geführt sind. München hat sich in
der großen Reihe seiner neuen Isarbrücken bestrebt,
in schlichten, steinernen Bogen von großer Spannweite
seine Aufgabe zu lösen, und man versteht hier ästhetisch
das Zurückschrecken vor Eisenbauten vollständig. In den
landschaftlichen Charakter des Tales fügen sich diese
Brücken harmonisch ein, das Naturprodukt des Steines
vermag sich eben mit der Landschaft, der es entstammt,
im Eindruck zu verbinden; das künstlich verarbeitete
Eisen, mag es noch so schön verwandt sein, findet keinen
Anknüpfungspunkt in der Natur, es tritt deshalb stets
in Gegensatz zur Landschaft. Das ist ein Gesichtspunkt,
der wohl zu beobachten ist. Bei einer Steinbrücke kann
man fast vergessen, daß ein Mensch sie ersonnen hat,
bei einer Eisenhrücke nie. Deshalb haben aber Eisen
konstruktionen durchaus nicht etwa ästhetisch etwas
Minderwertiges gegenüber dem Steinbau. Ganz anders
liegen beispielsweise die Yerhältnisse da, wo sie in einem
Großstadteindruck sich einer Umgebung einfügen, die nur
noch von Menschen und gar nichts mehr von Natur er
zählt. Hier stellt sich unser Empfinden sofort richtig
ein, und die feingeführten Linien des Eisenbaues, die
Naturlinien gegenüber sich so schwer behaupten können,
wirken zwischen den Formen der Menschenleistungen wie
ein riesiges, durchgeistigtes Ornament. Die Teile der
Berliner Hochbahn, die mit künstlerischem Sinn in Eisen
durchgearbeitet sind, haben im Fluge Popularität er
rungen bei Künstlern und Laien, und jeder, der beispiels
weise nach Hamburg gekommen ist, wird im Großstadt
eindruck des Stadtbildes den ruhigen Rhythmus der
Doppelwellenlinien seiner großen Eisenbahnbrücken als
etwas Stimmungsvolles empfunden haben. Kurz, wo wir
prädisponiert sind auf Eindrücke, die mit den Organi
sationen durch Menschengeist Zusammenhängen, wird die
Ingenieurkunst stets die stärksten Trümpfe ausspielen.
Sie ist die konzentrierteste Form, in der uns Geisteskraft
sichtbar vor Augen zu treten vermag.
Der ästhetische Mißton, der heute noch oft von Werken
dieser Art ausgeht und verhängnisvoll werden kann für
das Bild einer großen Stadt, liegt meist nicht am Ingenieur
werk, sondern an der Architektur. Der Zusammenhang
von Steinbau und Eisenbau bleibt meist ein ungelöstes
Problem. Das Problem ist in fast allen Bauten, wo
Stein und Eisen Zusammenwirken, ästhetisch betrachtet,
dasselbe. Am charakteristischsten tritt es uns wohl ent
gegen im Thema des Brückenpfeilers. Es liegt, kurz aus
gedrückt, so; Eine verhältnismäßig kleine Masse Stein
soll als Stützpunkt empfunden werden für eine verhältnis
mäßig große Eisenentfaltung. Zu dieser äußeren Ver
schiedenheit kommt noch als weiteres Moment hinzu, daß
durch den Eisenbau, wenn er gut ist, ein einziger großer
Gedanke klar und einleuchtend hindurchgeht. Dadurch
wird der Maßstab dieses Architekturteiles in einer Weise
gesteigert, die im Stein überhaupt schwer zu erreichen
ist. Tritt nun der Steinarchitekt seiner Aufgabe ent
gegen, als handle es sich um die Lösung etwa eines
großen architektonischen Portals, und komponiert im Sinne
einer Fassade aus Einzelmotiven ein schönes Ganze zu
sammen, so wird er nie den inneren Anschluß an jene
andre Welt gewinnen. Nur wenn er von allen Stil- und
Architektureffekten im üblichen Sinne absieht und an
seine Aufgabe herantritt vom Standpunkt eines Massen
gedankens aus, nur wenn er es versteht, die Wirkung
der ihm gegebenen Masse zyklopisch zu steigern, kann
er hoffen, ein Bundesgenosse des Ingenieureindrucks zu
werden. Dann kann er es vielleicht erreichen, daß inner-
wtiw— f—.—r~
M/nat‘1:200
Architekt Willy Graf, Stuttgart