Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1907)

14. September 1907 
BAUZBITUNGr 
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Nidda und Merkel-Dalsheim durch verschiedene Archi 
tekten bauen lassen. Die Häuser sollen Einfachheit 
und Billigkeit mit künstlerischem Geschmack vereinigen. 
Bauwerk und Inneneinrichtung sollen, frei von allem 
Zierat und falschem Material, das Gepräge der Sach 
lichkeit und Natürlichkeit tragen; jedes Einfamilien 
haus soll mindestens drei Zimmer mit Küche ent 
halten. Die Baukosten für das Einfamilienhaus sollen 
— bei einem Preise von 1,60—3 M. für den Quadrat 
meter des 200—300 qm großen Bauplatzes — höchstens 
4000 M. und für das Zweifamilienhaus 7 200 M. betragen, 
so daß sich die Gesamtkosten auf höchstens 4500 bis 
8000 M. belaufen. Die Gesamtkosten der notwendigen 
Möbel für die dreiräumige Wohnung sollen im Durch 
schnitt 600 M. betragen (141—190 M. für die Küche, 
171—216 M. für das Schlafzimmer, 200—260 M. für das 
Wohnzimmer). Die sechs Häuser sollen vollständig ein 
gerichtet und wohnlich hergerichtet sein und den prak 
tischen Beweis dafür liefern, daß man auch dem un 
bemittelten Manne ein hübsches Heim gediegen und billig 
einrichten kann. Großer Wert soll auch auf die Vor 
führung von gutem und billigem Wandschmuck gelegt 
werden. Den Erbauern bzw. Architekten ist völlige Frei 
heit in der Betätigung ihrer Ideen und ihrer Kunst ge 
lassen. Die Hersteller der Möbel müssen sich schriftlich 
verpflichten, zu den von ihnen zu bezeichnenden Preisen 
jede in der Ausstellung etwa gemachte Bestellung aus 
zuführen. Das Arheiterdörfchen soll den Architekten 
und Handwerkern neue Anregung bieten und veredelnd 
auf den Geschmack des Arbeiters wirken. Dr. W. 
Neue Bauordnung Württembergs 
I. Einleitendes; 
Rastlos schreitet die Kultur. Es steigert sich der 
Wert der Materie mit dem Zunehmen der Bevölkerungs 
dichte, der einzelne Mensch wird höher geschätzt, seine 
Bedürfnisse nehmen zu, alles strebt nach Verbesserung. 
Wohl nirgends offenbart sich die Kultur besser als in 
den menschlichen Wohnstätten, in den Arbeitsräumen und 
in den Bauwerken, die dem öffentlichen Verkehr und der 
öffentlichen Sicherheit dienen, kurzum in der gesamten 
Technik. Es ist der Stall unsrer heutigen Haustiere 
schon um ein gut Stück besser als die Wohnung unsrer 
ältesten Vorfahren. Einen Teil der treibenden Kraft der 
Kultur bildet der Egoismus, jener Teil, der stets das 
Böse will und stets das Gute schafft. Und wie der Ur 
quell aller Gesetze dem Egoismus entspringt, so bildet 
dieser auch die Ursache, die Grundlinie der Baupolizei. 
Es ergab sich die Notwendigkeit, daß Staat, Korpo 
ration und Gemeinde dem Allgemeinwohl wegen dem 
Bebauen unsers Planeten Schranken setzen. Es wurde 
die blinde Gewalt der Naturgesetze erkannt und der 
selben schon bei Friedenszeiten entgegengetreten. Dadurch 
mußte dem Idealismus ein kostbares Menschengut ge 
opfert werden: die Freiheit. „Hier ist gut sein, hier 
laßt uns Hütten bauen“, dieser Standpunkt ist vorüber 
und an seine Stelle tritt; „Ich möchte bauen, wie 
darf ich?“ 
Die alte Bauordnung datiert vom 2. Januar 1655 und 
vermochte sich über zwei Jahrhunderte hindurch zu halten. 
Sie wurde durch viele Verfügungen u. s. w. ergänzt, und 
im Jahre 1808 entstand die Generalfeuerpolizeiverordnung. 
Nach langen Kämpfen kam die heute noch zu Recht be 
stehende Bauordnung vom 6. Oktober 1872 zustande. Die 
selbe bildete die Grundlage für eine unzählige Menge 
weiterer Verordnungen. Ortsbaustatuten kamen und gingen 
und ein Bauunglück jedweder Art gebar in der Regel 
wiederum besondere Bestimmungen. Schrittweise ent 
wickelten sich die Bauvorschriften. Ursprünglich bildeten 
sie den Schutz nachbarlicher und öffentlicher Interessen 
und wurden dann zur Sicherheitspolizei. Nennenswerte 
hygienische Bestimmungen fehlten lange Zeit. Plötzlich 
am Ende des neunzehnten Jahrhunderts kam eine Gärung. 
Die sozialen Verhältnisse änderten sich und mit ihnen 
Lebensweise und Lebensart. Die Tuberkulose nahm in 
erschreckender Weise überhand und zeitigte die Not 
wendigkeit, die Pflege der Gesundheit als vornehmste 
Staatspflicht zu betrachten: die Hygiene wurde Gesetz. 
Mit Riesenschritten eilte die Kultur weiter, voran die 
Technik, mühsam nur hinkte der schwerfällige Apparat 
des Baupolizeiwesens hintennach, und am Anfang des 
zwanzigsten Jahrhunderts ist es zur Tatsache geworden, 
daß selbst die Bauordnung von 1872, nach kaum dreißig 
jährigem Bestehen, der modernen Entwicklung der Technik, 
den Ansprüchen der Hygiene u. s. w. nicht mehr genügt. 
Vergebens versuchen Verordnungen und Statuten rekti 
fizierend einzugreifen, aber kaum war ein Mißstand be 
hoben, so tauchte schon wieder ein andrer, stärker als 
der erste, auf. Das Erhahensein, die Großzügigkeit, das, 
was man heim Menschen Autorität nennt, ging den 
Artikeln und Paragraphen immer mehr verloren, und 
nur mit Hilfe vieler Dispensationen gelang es, Bestim 
mungen zu treffen, die wenigstens halbwegs den natür 
lichen Zwecken der Baukunst entsprechen. Die Staats 
pflicht, unsern Erdball für die Nachwelt schön zu erhalten, 
kannte die Bauordnung von 1872 nicht, und so zeitigte 
dieselbe in ästhetischer Beziehung ein Charakteristikum 
der Baugeschichte. Ich werde hierauf im besonderen 
unter dem Titel „Baupolizei und Kunst“ zurückkommen. 
Es ist heutzutage die große sozialpolitische und volks 
wirtschaftliche Bedeutung der Baupolizei allgemein an 
erkannt; sie greift in das materielle Volksvermögen ein 
und bildet eine Grundlinie des geistigen National 
vermögens; sie fördert das Volkswohl in entlegensten 
Dörfern ebenso wie in großen Städten. Ihr Wert wächst 
mit der Bevölkerungsdichte, und damit wächst auch die 
Ausdehnung der Baupolizei. 
Und wenn Technik, Hygiene, Kunst immer weiter 
schreiten, immer mehr vollkommeneren Zielen entgegen 
streben, so muß die Baupolizei mitschreiten. Nie ist sie 
auf Jahrhunderte hinaus vollkommen zu nennen; sie muß 
immer gewärtig sein, daß Neuerungen jedweder Art sie 
teilweise kraftlos machen kann. Hierin liegt die größte 
Schwierigkeit der Baupolizei und die Geschichte der 
selben bestätigt dies. Will man aber erreichen, daß die 
Baupolizei mit den Errungenschaften weiter schreiten 
kann, so muß der ganze Apparat des Baupolizeiwesens 
vom Gesetz bis hinab zur Vorschrift und dem Statut so 
konstruiert werden, daß er jederzeit die erprobten Neue 
rungen der Baukunst aufuehmen kann. Dadurch kann 
ein ßaugesetz auf Jahrzehnte hinaus wohltätig wirken 
und sich nicht nur der Gewalt, sondern auch der Sache 
wegen Achtung vornehmster Art erringen. 
Max Müller. 
Adolf v. Ernst 
Ueber den Lehens- und Schaffensgaug des kürzlich 
verstorbenen Baudirektors Prof. Dr.-Ing. Adolf v. Ernst 
haben wir in der vorigen Nummer unsrer Zeitschrift eine 
Skizze veröffentlicht, die nur ein allgemeines Bild von 
dem Wirken dieses verdienstvollen Ingenieurs und Lehrers 
darstellt. Wir geben daher gern einer uns von hoch- 
geschätzter Seite zugehenden Darstellung Raum, die ein 
gehend die Verdienste Adolf v. Ernsts auf dem Gebiet 
der Ingenieurwissenschaft und seine Tätigkeit als akade 
mischer Lehrer wie das gewaltige Ringen des von schwerem 
Leiden heimgesuchten Mannes mit dem gebrechlichen 
Körper schildert und uns zeigt, wie ein starker, willens 
kräftiger Geist selbst das herbste leibliche Ungemach zu 
überwinden vermag. Es sei uns vergönnt, in der Zeich 
nung seines Lebenslaufs bis auf seine Erlebnisse im 
Kriege 1870/71 zurückzugehen, weil sie von tiefgreifen
	        

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