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12. Oktober 1907
BAUZEITUNG
wenn man weiter in Betracht zieht, daß die Ansprüche
an eine Wohnung ebenfalls immer größer werden (Heizung,
Licht, Ausstattung), so begreift man, daß auch der Miet
preis höher wird. Württemberg und insbesondere Stutt
gart haben nun der Terrainverhältnisse und Boden-
beschalfenheit wegen eine außerordentlich ungünstige
Bauwirtschaft; eben deshalb hat die württembergische
Bauordnung doppeltes Interesse, in dieser Beziehung vor
teilhaft auf die Bautätigkeit einzuwirken.
Der Entwurf der neuen Bauordnung hat dazu einen
Anlauf genommen; insbesondere gibt derselbe den Ge
meinden verschiedentlich das Recht, beziehungsweise weist
sie darauf hin, daß zum Zwecke der Beschaffung billiger,
gesunder und zweckmäßig eingerichteter Kleinwohnungen
für Minderbemittelte, worunter nicht nur Arbeiter ver
standen sein sollen, pflichtmäßige Beitragsleistungen er
lassen werden können. Damit ist die wirtschaftliche
Frage aber noch nicht gelöst. Am einschneidendsten auf
die wirtschaftlichen Bauverhältnisse wirkt der Ortsbau
plan, weil dieser in der Regel Baumöglichkeit und Bau
art bedingt. Grundlegend dabei sind Zweckmäßigkeit,
Hygiene und Aesthetik; Zweckmäßigkeit und Hygiene
bilden die Seele der Aesthetik, und unter Zweckmäßig
keit ist nicht nur eine technisch mustergültige, sondern
auch eine wirtschaftlich rationelle Lösung zu verstehen.
Manches schlechte Beispiel im Städtebild hätte ver
mieden werden können, wenn der Oi’tsbauplan auf die
ökonomische Frage hin geprüft worden wäre, wodurch in
der Regel eine gesunde Aesthetik sich von selbst ergibt.
Wenn in Städten, wo die Mietkaserne ihre Berechtigung
hat, nachgewiesen ist, daß beispielsweise eine vierstöckige
Bauweise wirtschaftliche Vorteile bringt, und wenn durch
die Linienführung der Straße eine Anpassung ans Ge
lände und an die bestehenden Baublocks möglich ist,
dann soll diese Bauweise auch im Ortsbauplan bevorzugt
werden. Man soll der heutigen Zeit leben und schaffen;
lieber große Häuser und große Lichtquellen, als kleine
Häuser und Lichtwinkel.
Weitere Geldmittel erfordern die Gesundheits-, Feuer-
und Sicherheitspolizei. Was die Hygiene verlangt, ist eine
billige Forderung und nicht nur für die jetzige Generation,
sondern auch für die Nachwelt rentabel. Nur sollte da
bei die Frage beantwortet werden: Wie genügt man am
zweckmäßigsten der Hygiene? Etwas anders steht es mit
Lugeplan
der Feuer- und Sicherheitspolizei. Hier werden Gelder
geopfert, die nur in ganz abnormen Fällen einen effektiven
Wert erhalten. Was ist Feuer? Wie leicht entsteht es?
Beobachtet man den angeheiterten Studenten, die schlaf
trunkene Frau, wie sie im Bett das Kerzenlicht anzünden,
welches dicht neben den Gardinen steht, blickt man zurück
in seine eigne Kindheit, an den Weihnachtsbaum, an das
Zündeln an versteckten, aber meist feuergefährlichen Orten,