FÜR WÜRTTEMBERG
BADEN HESSEN EL
SAS S - LOTHRINGEN
Stuttgart, 9. November 1907
Inhalt: Architektenfragen. — Projekt für die Stuttgarter Theaterbauten. — Wohn- und Geschäftshaus in
Degerloch. — Wer ist befähigt, die Unterweisungen im Baugesetz an der Baugewerksohule zu erteilen? —
Yereinsmitteilungen. — Wettbewerbe. — Kleine Mitteilungen. — Personalien. — Bücher. — Briefkasten.
iH
Nummer 45
Alle Rechte Vorbehalten
Architektenfragen
Ein Teil der Bestrebungen des Bandes Deutscher
Architekten geht dahin, die Stadtverwaltungen zu ver
anlassen, die Privatbaumeister zur Bearbeitung städtischer
Bauaufgaben heranzuziehen.
Um die bisherige Beteiligung der unabhängigen Archi
tekten zu derartigen Aufgaben und die Stellungnahme
der Stadtverwaltungen zu dieser Frage festzustellen, wurde
ein Rundschreiben an alle Ortsgruppen des Bundes er
lassen.
Aus den hierauf eingegangenen Antworten ist die
erfreuliche Tatsache zu entnehmen, daß fast alle größeren
Städte schon seit längerer Zeit dazu übergegangen sind,
nach Möglichkeit die ortsansässigen Baumeister zur Mit
hilfe aufzufordern.
Es konnte mit Genugtuung festgestellt werden, daß
die von diesen ausgeführten Bauwerke zu den größten
und wichtigsten gehörten, die die Stadtverwaltungen aus
zuführen Gelegenheit hatten. Es muß ferner festgestellt
werden, daß sich diese Bauwerke in allen aufgeführten
Fällen so vorteilhaft von denen, die im Verwaltungswege
hergestellt sind, unterscheiden, daß die Städte alle Ursache
haben, mit den Erfolgen zufrieden zu sein.
Die Berichte der nächstliegenden größeren Städte, wie
Köln, Kassel, Frankfurt, melden, daß an die'Privat
architekten die Bearbeitung der Pläne für Rathäuser,
Theaterbauten, Schulen, Museen, Wasserwerke, Markt
hallen und für viele andre große und wichtige Aufgaben
vergeben wurde.
Aus Hannover, Hamburg, Bremen, Leipzig und Dresden
lauteten die Antworten ähnlich. Zwei Berichte, die ge
eignet sind, dieser Frage eine besondere Beleuchtung zu
geben, der der Ortsgruppe Berlin von Prof. Dr.-Ing. Bruno
Schmitz und der der Ortsgruppe Kaidsruhe von Prof.
Regierungsbaumeister Neumeister, seien hier abgedruckt:
Ortsgruppe Berlin.
„Auf das gefällige Schreiben vom 12. Dezember er.
erwidere ich ergebenst, daß ich seitens der Stadtgemeinde
Berlin, vertreten durch Stadtbaurat Krause, mit der
architektonischen Bearbeitung der Oranienbrücke be
auftragt wurde. Unsre Kollegen, der inzwischen ver
storbene Herr Architekt Krause sowie der Professor
Grenander, die Architekten Cremer und Wolffenstein und
Herr Architekt Bruno Möhring haben ebenfalls ähnliche
Aufträge von der Stadtverwaltung erhalten, wie denn
überhaupt die Tiefhauverwaltung für manche in ihr
Ressort einschlagende architektonische Bauten sich nicht
des Stadtbauamtes, sondern der Mithilfe der Privat
architekten bedient.
Weiterhin bin ich für die Stadtgemeinde Mannheim
seit Jahren beschäftigt und habe große Baulichkeiten,
namentlich den Rosengarten und die Umgebung des
Friedrichsplatzes, geschaffen; auch jetzt bin ich wiederum
zu weiteren großen Arbeiten für die Ausstellung und einen
andern größeren Neubau herangezogen.
Ich habe hei allen sich bietenden Gelegenheiten immer
den Standpunkt vertreten, daß es für die Stadtgemeinden
nicht praktisch ist, durch ein Hochbauamt, und sei es
von noch so tüchtigen Künstlern geleitet, die städtischen
Arbeiten auszuführen. Entweder ist der Baubeamte ein
Künstler, dann wird er sich in die Verwaltungsmaschine
nicht einarbeiten oder sie vernachlässigen, oder er ist
ein Yerwaltungsbeamter und nicht Künstler, oder er geht
als Künstler in den Yerwaltungsgeschäften unter. Es
ist auch nicht richtig, einem einzigen Mann die künst
lerische Physiognomie der städtischen Bauten zu über
antworten. Kunst kann auch nicht im Verwaltungswege
geschaffen werden, und ein Künstler muß seine Freiheit
im Schaffen bewahren. Es ist daher richtig, zu allen
irgendwie wichtigen Bauten sich der Mitwirkung der
freien Künstler zu versichern. Ein Hochbauamt kann
daneben bestehen als reines Verwaltungs-und Ausführungs
organ, und eine solche Einrichtung habe ich in meiner langen
Praxis immer als sehr segensreich empfunden. Fast alle
meine Bauten sind für Behörden geschaffen, die Bau
verwaltungen hatten, und ich kann nur feststellen, daß
ich immer mit diesen Bauverwaltungen auf das an
genehmste verkehrt habe und daß für beide Teile ein
durchaus befriedigendes Ergebnis erzielt wurde.
So habe ich für die Provinzialbehörden der Rhein
provinz und der Provinz Westfalen Kaiserdenkmäler
am Deutschen Eck und auf der Porta Westphalica aus
geführt, und zwar in Gemeinschaft und späterer Freund
schaft mit den Bauräten.
Eine solche Arbeitsteilung liegt sowohl im Interesse
der Verwaltungen wie des Künstlers und sollte in jeder
Weise angestrebt werden. Es liegt ja in der Natur der
Sache, daß sich zu den Verwaltungsämtern der Städte
und sonstigen Behörden nicht Künstler, sondern in erster
Linie zur Beamtenqualität neigende Kollegen eignen,
und dies ist ja wohl auch der Grund, daß die im Ver