BAUZEETU
FÜR WÜRTTEMBERG
BADEN HESSEN EL-
SASS-LOTHRINGEN
Stuttgart, 9. März 1907
Inhalt: Die neuen Eisenbahnbauten für Stuttgart und Umgebung. — Bestehorn-Haus in Aschersleben.
— Landwirtschaftliches Bauwesen in Württemberg. — Vereinsmitteilungen. — Kleine Mitteilungen. —
Personalien. — Briefkasten.
Alle Rechte Vorbehalten
Die neuen Eisenhahnbanten für Stuttgart und Umgebung
Die lang umstrittene Frage, ob bei dem Umbau des
Hauptbalmbofs Stuttgart der Schloßstraßen- oder Schiller
straßenentwurf den Vorzug verdiene, ist in der dem
gegenwärtig versammelten württembergischen Landtag zu
gegangenen Vorlage, die zugleich weitere Eisenbahn-Neu-
und Erweiterungsbauten zwischen Ludwigsburg und
Plochingen umfaßt, von der Regierung zugunsten des
Schiller Straßenentwurfs entschieden worden, wobei
nach reiflicher Abwägung aller in Betracht kommenden
Verhältnisse von der Anlegung eines Durchgangsbahnhofs
abgesehen und an der Kopfbahnanlage festgehalten wurde.
In der Vorlage werden beide Entwürfe : der Entwurf I
Schloßstraßenprojekt und der Entwurf II Schillerstraßen
projekt, eingehend beschrieben und in bau-undbetriebs-
technischer Hinsicht als gleichwertig bezeichnet. Die
Abmessungen für die verschiedenen Dienstgebäude und
die Bahnhofhallen, die Zahl der Hallengleise, die Zahl
und Länge der Bahnsteige, die Neigungsverhältnisse der
Haupt- und Gütergleise der freien Strecke in den ver
schiedenen Richtungen weisen nur ganz geringen Unter
schied auf. Die für die neue Bahnhofanlage in Anspruch
genommene Fläche ist bei Entwurf II zu seinem Vorteil
um rund 20 ha größer als bei Entwurf I. Bei Entwurf II
wird außerdem vor dem Empfangsgebäude zwischen
Schloß- und Schillerstraße eine große Fläche für die
Ueberbauung und für neue Straßen frei gelegt.
Dabei wird ein neues schönes Bauquartier in bevorzugter
Lage geschaffen, dessen Entwicklung seither durch das
Hereinragen der Bahnhofanlage bis zur Schloßstraße
gehemmt war. Durch die Anlage des großen Bahnhof
vorplatzes, der neuen breiten Zufahrstraße und durch die
zu erwartende Herstellung neuer moderner Gebäude wird
das Stadtbild eine wesentliche Verschönerung erfahren.
Die Bauausführung ist nach beiden Entwürfen recht
schwierig. Die ungestörte Aufrechterhaltung
des Eisenbahnbetriebs läßt in beiden Fällen nur
Bauausführungen zu, die in mehrfache Bau
abschnitte zerlegt werden können; sie wird während
des Umbaues die Herstellung verschiedener vorübergehen
der baulicher Anlagen nötig machen; auch zeitweise
Aenderungen in der Betriebsweise werden sich nicht um
gehen lassen. Gewisse Betriehserschwernisse werden bei
beiden Entwürfen auftreten. In finanzieller Beziehung
zeigen beide Entwürfe erhebliche Verschiedenheiten. Es
berechnet sich der nach Abzug der Rückeinnahmen ver
bleibende Gesamtaufwand für den Bahnhofumbau (ein
schließlich Nordbahnhof, Generaldirektionsgebäude, Bahn
postanlage und Zufahrlinien bis zum Prag- und zum
Rosensteintunnel) nach den summarischen Kostenvoran
schlägen bei Entwurf I auf 64 300 000 M., bei Entwurf II
auf 51650 000 M. Es ergibt sich hiernach zugunsten des
EntwurfsII ein Kostenunterschied von 12650000
M. Hierbei ist damit gerechnet, daß das bei Ent
wurf II frei werdende, dem Staate gehörige Gelände
zwischen Schloß- und Schillerstraße um 20 800 000 M.
verwertet werden kann. Ein Angebot in dieser Höhe
liegt vor. Der Minderaufwand von 12 650 000 M. ist von
solcher Bedeutung daß er nach Ansicht der Kgl. Regierung
bei derAVahl den Ausschlag gibt und daß hiernach dem
Entwurf II der Vorzug einzuräumen ist. Die Kgl. Re
gierungbeantragt hiernach, den Umbau des Haupt
bahnhofs Stuttgart einschließlich der neuen Zufahrlinien
Richtung Feuerbach und Cannstatt und die Erweiterung
des Nordbahnhofs nach dem Entwurf II Schiller
straßenentwurf in die Wege zu leiten, und schlägt
vor, an der Hand dieses Entwurfs zunächst mit der Er
werbung des erforderlichen Grund und Bodens fort
zufahren und alsdann mit der Bauausführung zu beginnen.
Angesichts der großen Vorteile, welche die Stadt Stutt
gart aus den neuen Bahnanlagen ziehen wird, erscheint
es gerechtfertigt, ihr entsprechende Leistungen in der
Form barer Beiträge und ein weitgehendes Entgegen
kommen bei der durch die neuen Bahnbauten veranlaßten
Grunderwerbung anzusinnen.
Was zunächst den Umbau des Hauptbahnhofs
Stuttgart betrifft, so hat sich bei der Frage der Hinaus
rückung des Empfangsgebäudes gezeigt, daß nach Verzicht
auf den Schloßstraßenentwurf nur die Hinausrückung bis zur
Schillerstraße eine zweckmäßige und vorteilhafte Gestal
tung des neuen Bahnhofs gewährleistet. Die Hinaus
rückung des Bahnhofs bis zur Schillerstraße hat die
Ausschaltung der bestehenden Hauptbahnstrecke Haupt
bahnhof—Pragtunnel, die Verlegung der dermaligen Ver
bindung des Hauptbahnhofs mit dem Nordbahnhof und
mit dem dort befindlichen Lokomotivschuppen und damit
die Auflassung dieser Lokomotivstation überhaupt sowie
die Verlegung der Gäubahn und eine andre Höhenlage
für den Hauptbahnhof zur Voraussetzung. Der Entwurf
mit dem Empfangsgebäude an der Schillerstraße unter
scheidet sich daher grundsätzlich von dem Entwurf an
der Schloßstraße dadurch, daß für die Zufahrlinien von
Feuer hach und von der Gäubahn ganz neueWege
zu suchen sind. Die Gäubahn muß über den Nordbahnhof
hinweg und über die Prag, am Englischen Garten vor
bei zum Hauptbahnhof geführt werden, um die erforder
liche Längenentwicklung zu erhalten. Aus demselben
Grund ist die bestehende 2gleisige Hauptbahn als Vor
ortbahn vom jetzigen Pragtunnel an über die Prag, dem