BAUZEITUNG
109
3. April 1909
Baues an unfertiger Straße? Der be
günstigte Grundbesitzer wird freilich
der Gemeinde die Enteignungskosten
ersetzen müssen, aber er hat ein Rück-
forderungsrecht, insoweit die Gemeinde
später andre Eigentümer zu den Bei
trägen heranzieht. Die Ordnung eines
solchen Spezialfalles im sofortigen Zu
sammenhang mit der grundsätzlichen
Zuerkennung des Enteignungsgesetzes
an die Gemeinde berührt eigentümlich.
Der Eigentümer kann ferner die
Enteignung des Platzlandes verlangen,
wenn die den Platz umgebenden Straßen
flächen erworben sind, ebenso die Ent
eignung des Straßenlandes, wenn er die
Straßenfläche freilegt und auf ihr die
Wiederherstellung eines seitherigen Ge
bäudes untersagt wird (Art. 7). Auch
kann ein Eigentümer die Enteignung
seines Grundstücks verlangen, wenn dies
an einem nach dem Ortsbauplan zu
schließenden Wege liegt, sobald die
Schließung des Weges erfolgt oder die
Erneuerung des Gebäudes untersagt
wird (Art. 8).
Ein Entgegenkommen gegen länd
liche Verhältnisse und zugunsten von
Kleinwohnungen ist es, daß die Ge
meinden zwar die Straßen zu erbauen
und zu befestigen haben, daß aber Bürger
steige, AVasser Versorgung,' AVasser-
ableitung und Beleuchtung nur auszu
führen sind, soweit es erforderlich
ist (Art. 10).
Die Herstellung der Anbaustraßen
soll in der Kegel vor dem Anbau er
folgen, und zwar nicht wie in Preußen
nach dem freien Ermessen der Gemeinde,
sondern auch auf Verlangen der Eigen
tümer, wenn sie zur Kostenübernahme
sich verpflichten (Art. 13). Diese, schon
bei Art. 6 a erwähnte Fürsorge für den einzelnenBaulustigen
unter zwangsweiser Enteignung der Nachbarn kann nur
gebilligt werden, wo die Erschließung von Bauland eine
öffentliche Notwendigkeit ist. In Preußen hängt die Er
schließung vom alleinigen Ermessen der Gemeindebehörden
ab, gegen die es keinen Zwang gibt. Ist dies ein un
befriedigender Rechtszustand, so erscheint es uns aus
wirtschaftlichen und hygienischen Gründen noch weniger
richtig, das Enteignungsrecht in den Dienst des einzelnen
Grundbesitzers zu stellen. Ebensowenig vermag der Ver
fasser dem von der Zweiten Kammer abgeänderten Art. 14
zuzustimmen, wonach Privatstraßen auf Verlangen
der Grundbesitzer unbedingt in den Ortsbauplan auf
genommen werden müssen und nur wegen späterer Ueber-
nahme der Straßen Sicherheit verlangt werden kann.
Mindestens müßte doch durch Gemeindebeschluß aner
kannt werden, daß ein öffentliches Interesse nicht ent
gegensteht und der übrige Ortsbauplan nicht in Mit
leidenschaft gezogen wird.
Die Beitragspflicht zu den Straßenkosten soll im
Art. 15 dahin geregelt werden, daß gemäß Ortsbausatzung
der ratierliche Ersatz des von der Gemeinde bewirkten
Aufwandes stattflndet, sobald die Straße hergestellt und
ein Gebäude errichtet ist. Auch Eigentümer von Ge
bäuden, die vor dem Inkrafttreten der Ortsbausatzung
errichtet wurden, sind beitragspflichtig, insoweit sie nicht
nach weisen, daß die Straßenanlage den Wert nicht ent
sprechend gesteigert hat; unter Umständen auch die
Eigentümer unbebauter Grundstücke, wenn diese gegen
Entgelt veräußert worden. Sind diese Bestimmungen
kaum anfechtbar, so ist um so mehr zu bedauern, daß
die Zweite Kammer die in der Regierungsvorlage ent
haltene Bestimmung gestrichen hat, wonach bei Fest
setzung der Straßenkostenbeiträge „für Gebäude, die dem
Zwecke der Beschaffung billiger, gesunder und zweck
mäßig eingerichteter Kleinwohnungen für Minderbemittelte
dauernd zu dienen bestimmt sind, besondere Vergünsti
gungen eingeräumt werden“ können. Die Streichung
dieses Satzes, der nicht etwa eine Vergünstigung für ge
sunde Kleinwohnungen anordnen, sondern nur ermöglichen
wollte, „läßt tief blicken“!
Das Recht der „Zonenenteignung“ kann den Gemein
den durch das Ministerium des Innern von Fall zu Fall
verliehen werden, wenn es sich um Straßendurchbrüche,
um Sanierung älterer Ortsteile oder um Wiederaufbau
eines zerstörten Ortes oder Ortsteiles handelt (Art. 16).
Diese Verleihung kann an die Bedingung geknüpft wer
den, daß für die zum Ausziehen genötigten Familien ge
eignete Neuwohnungen errichtet werden, oder daß den
Grundbesitzern ein Vorrecht für den AViederankauf ein
geräumt wird. Hat hiernach die oft erhobene Forderung
auf Zulassung der Zonenenteignung eine Berücksichtigung
gefunden, so ist es doppelt bedauerlich, daß die noch
wichtigere gesetzliche Umlegung von Bauland nicht ver
wirklicht werden soll. Auch die Bestimmung im Re
gierungsentwurf, daß die Baupolizeibehörde die Bau
erlaubnis von der Erwerbung oder Abtretung kleinerer,
zur Grenzregelung erforderlicher Flächenteile abhängig
machen kann, hat vor der Zweiten Kammer keine Gnade
gefunden. Man glaubt sich damit helfen zu können, daß