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BAUZEITUNG
Nr. 14
Schwäbisch-Hall - Gartenhaus
Nach einem Aquarell von J. Fritz, Bauführer, Oehringen
Grundstücke, die wegen ihrer Kleinheit, Gestalt oder
Lage unbebaubar sind, von der Gemeinde enteignet wer
den können, und daß die Gemeinde diese Grundflächen
zum Selbstkostenpreis an die Nachbarn zu veräußern hat.
Allein diese sind nicht zum Ankauf verpflichtet — und
die in Rede stehenden Grundflächen werden ja dadurch
nicht bebaubar, daß sie ins Eigentum der Gemeinde
übergehen, sie bleiben vielmehr eine Quelle wirtschaft
licher ,und hygienischer Mißstände. Man will also die
Eigentümer solcher Flächen oder Flächenteile zur Ab
tretung zwingen, sie von dem ihren Nachbarn zufallen
den Wertzuwachs ausschließen, ohne eine wirkliche Re
gelung der Bauplätze zu erreichen! Und wie wenig
geregelt werden erst die Anbauverhältnisse, wenn die
Enteignung sich auf eine Mehrzahl von unbebaubaren,
unzusammenhängenden Flächen eines Blocks erstreckt!
So hält man die Schädigung einzelner durch empfind
liche und wirkungslose Eigentumseingriffe für statthaft,
dagegen die gesetzliche Regelung des Besitzes in einem
Block durch Umlegung der Grenzen, wodurch niemand
geschädigt, vielmehr alle bevorteilt werden, für unzulässig!
Was die polizeilichen Bestimmungen für die
einzelnen Gebäude betrifft, so gewährt Art. 22 eine
gewisse Freiheit für die Stellung von Baulichkeiten hinter
der Baufluchtlinie. Die Bestimmung des Art. 23, daß
auch die Höhenlage der Straße bei Bauten, die an die
Baulinie gestellt werden, einzuhalten ist, soll nach einem
von der Zweiten Kammer beschlossenen Zusatze für
kleine Städte und Landgemeinden allgemein außer Kraft
treten; es ist indes nicht ersichtlich, wie diese Unab
hängigkeit von der Straßenhöhe zu verstehen ist.
Die größtzulässige Gebäudehöhe darf nach Art. 25
gleich der Straßenbreite einschließlich der Vorgärten
sein, höchstens jedoch 20 m (bei Giebelhäusern mit Ein
schluß des Daches 28 m). Der Lichtwinkel von 45 0
wird aber dadurch wieder vereitelt, daß über der größt-
zulässigen Höhe das Dach im Winkel von 55° soll an-
steigen dürfen. Der Regierungsentwurf hatte logischer
weise 45 0 vorgesehen. An schon bestehenden Straßen
wird eine Gebäudehöhe gestattet, die die Straßenbreite
um 2 m übertrifft, und bei Erneuerung höherer Gebäude
kann die bisherige Höhe allgemein zugelassen werden!
Wie man sieht, sind hierbei die gesundheitlichen Ge
sichtspunkte nach Möglichkeit zurückgedrängt. Und die
Möglichkeit, daß durch „Ortsbausatzungen“ für die zu
lässige Höhe und für die Stockwerkzahl weitergehende
Beschränkungen festgesetzt werden können, ist nicht
ausreichend, um die hygienischen Bedenken zu zerstreuen.
Denn die Ortsbausatzungen, welche in ähnlicher Weise
von den Gemeindebehörden aufzustellen sind, wie die
Ortsbau- und Baulinienpläne, können zwar von der Staats
behörde beanstandet werden, aber es soll die Regierung
kein Recht besitzen, die Gemeinden zu angemessenen
Ortsbausatzungen zu nötigen. Eine Gemeinde würde
hiernach im Rahmen des neuen Gesetzes auch für Neu
land Straßen von 20 in Breite mit 20 m hohen sechs
geschossigen Häusern zur Regel machen können! Dabei
können die 20 m Breite entweder ganz auf die Verkehrs-
fläche fallen oder zum Teil von Vorgärten eingenommen
werden.
Die Bestimmungen über die Ableitung des Brauch
wassers, die Einrichtung der Aborte, der Düngestätten
u. s. w., waren schon in der Regierungsvorlage vom ge
sundheitlichen Standpunkte recht bescheiden, sind aber
durch die Zweite Kammer durchweg noch ermäßigt
worden. Es ist hiernach fast selbstverständlich, daß eine
Festsetzung über die Zahl der Aborte — ein Abort für
jede Familie oder für je zwei oder für je drei Familien —
vollständig fehlt.
Noch bedenklicher aber sind die Bestimmungen des
Art. 29 a bis 29 e über den Zutritt von Luft und Licht
zu den für dauernden Aufenthalt von Menschen be
stimmten Räumen. Die Zweite Kammer hat es sich
angelegen sein lassen, hier den Regierungsentwurf nach
Möglichkeit zu verschlechtern. Die Größe des Hofes
braucht nirgendwo mehr zu betragen als 1 j 3 (ein Drittel)
des Grundstücks; das bedeutet die Uebertragung des
etwa in der Altstadt Köln oder im Innersten von Berlin
geltenden Maßes auf das ganze Land Württemberg. Die
Sache liegt eigentlich noch schlimmer. Denn mit der
überbauten Fläche ist nach der Fassung der Zweiten
Kammer nur die Grundfläche des Vorderhauses ge
meint; beim Vorhandensein von Hinterhäusern kann sich
hiernach der unbebaut bleibende Flächenanteil auf J / 6
bis i l 7 einschränken. Und die Breite des Hofrauras an
der Rückseite eines Gebäudes braucht nur 6 / 10 der Ge
bäudehöhe, der geringste Abstand zweier Gebäude nur
2 m zu betragen. Aber auch von diesen bescheidenen
Maßen können in Landorten, auf bereits bebaut gewesenen
Grundstücken, auf Eckgrundstücken, bei einstöckigen
Bauten u. s. w. noch Ausnahmen gestattet werden. Der
Abstand eines Hintergebäudes von der Höhe h von einem
Vordergebäude (Höhe H) soll wenigstens —— betragen.
Auch aus Lichthöfen von mäßigen Abmessungen dürfen
Wohnräume Licht und Luft beziehen. Die nötigen Hof
räume und die vorgeschriebenen Abstände können durch
„Baulast“ auf benachbarte Grundstücke übernommen
werden. Ein Chaos von Vorschriften erläutert diese
gesundheitlich unzureichenden Grundsätze, die nur bei
höchsten Bodenwerten und dichtester Bebauung im Herzen
der Großstadt erträglich sein dürften. Zwar bleibt es
nach Art. 29f der „Ortsbausatzung“ Vorbehalten, bezüg
lich der zulässigen Ueberbauung der Grundstücke weiter
gehende Beschränkungen festzusetzen, auch die offene
Bauweise vorzuschreiben und über die Hofgröße, die
Stockwerkszahl u. s. w. nähere Bestimmungen zu treffen;
irgendeine Sicherheit, daß dies geschieht, bietet aber der
Gesetzentwurf nicht. Es wäre deshalb im höchsten Grade
zu bedauern, wenn der Entwurf Gesetz werden sollte;
vom hygienischen Standpunkte aus muß man vielmehr
wünschen, daß die Regierung lieber auf das Gesetz ver
zichten möge. Um das Scheitern des Gesetzes zu ver
hüten, wäre es erwünscht, eine viel weiträumigere
Bauweise als gesetzliche Regel aufzustellen, die Gemein
den aber zu ermächtigen, mit Genehmigung der Regierung