Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1909)

3. April 1909 
BAUZEITUNG 
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in den Ortsbausatzungen für gewisse ältere Ortsteile eine 
dichtere Bebauung — etwa bis zu den obenerwähnten 
Maßen — zuzulassen, dagegen für geeignete neue Orts 
teile die Weiträumigkeit noch zu steigern. Die Gemein 
den würden dadurch zu einer ihren Verhältnissen an 
gepaßten Staffelbauordnung gewissermaßen genötigt "wer 
den. Es ist zwar bekannt, daß die Irrlehre, die dichtere 
Bebauung ermäßige die Mieten, die lockere Bebauung 
steigere sie, in Württemberg viele Anhänger gefunden 
hat, die den Einfluß der durch die dichte Bauweise 
erhöhten Bodenpreise verkennen. Nach Eberstadts 
Untersuchungen, die durch A. Voigt zwar bekämpft, 
aber kaum erschüttert worden sind, führt die Verdich 
tung der Bauweise sogar zur Steigerung der Mieten. 
Die folgenden Artikel handeln von der Anordnung 
fabrikfreier Wohnbezirke sowie von dem Abstande der 
Bauten von Wäldern und Eisenbahnen. Das Bauen 
außerhalb des Gebietes des Ortsbauplanes und, soweit 
ein solcher nicht besteht, außerhalb des geschlossenen 
Wohnbezirks kann untersagt werden, besonders wenn 
gesundheitspolizeiliche Bedenken entgegenstehen (Art. 36). 
Diese Regelung erscheint uns zweckmäßiger, als der 
Bechtszustand in Preußen, wonach ein Bauverhot nur 
innerhalb des Bereiches eines festgesetzten Bebauungs 
planes zulässig ist. 
Die Bestimmung in Art. 38, daß alle zum dauernden 
Aufenthalt bestimmten Bäume in ausreichendem Maße 
gegen Feuchtigkeit und Witterungseinflüsse zu schützen, 
mit Fenstern für hinreichende Tagesbeleuchtung zu ver 
sehen und genügend zu lüften sind, ist ohne nähere An 
gaben dessen, was verlangt wird, von geringem Werte. 
Ein Mindestmaß ist weder für die lichte Höhe noch für den 
Luftraum der Wohnungen vorgeschrieben. Dagegen sind 
sehr ausführlich, für ein Landesgesetz nach unsrer Mei 
nung zu ausführlich, die Vorschriften im Interesse des 
Feuerschutzes in den Artikeln 40—61; auch hier können 
nicht immer die Abänderungen der Zweiten Kammer als 
Verbesserungen anerkannt werden. Ermäßigte Vor 
schriften für Kleinhäuser sind nicht in genügendem Maße 
vorgesehen. 
Nach Art. 62 sind Wohn-, Arbeits- und Schlafräume 
in Kellergeschossen („zum Teil unter der Erdoberfläche“) 
zulässig, wenn für Feuchtigkeitsschutz, Luft und Licht 
gesorgt ist. Das ist eine dehnbare und in gesundheit 
lichem Sinne wirklich unzureichende Bestimmung, die 
auch nicht dadurch annehmbarer wird, daß durch „Orts 
bausatzungen“ Wohn- und Schlafgelasse im Kellergeschoß 
untersagt werden können. Die Zulässigkeit und Ein 
richtung von Dachwohnungen und Dachwohnräumen ist 
dem Befinden der Ortsbausatzung ganz überlassen. 
Auf den Denkmalschutz bezieht sich Art. 63 b. Hier 
nach kann dem Eigentümer eines geschichtlich oder künst 
lerisch wertvollen Bauwerks die Genehmigung zu einer 
baulichen Veränderung versagt werden; erfordert aber 
der Charakter des Bauwerks eine wesentlich kostspieligere 
Bauvornahme, so kann der Eigentümer den Erwerb des 
Bauwerks durch Staat oder Gemeinde beanspruchen. 
Wird der Anspruch abgelehnt, so verliert die Versagung 
der Baugenehmigung ihre Wirksamkeit. Im übrigen 
aber sind Beeinträchtigungen solcher Bauwerke durch 
bauliche Maßnahmen unzulässig. Auch können Beklame- 
schilder, die das Straßen- oder Landschaftsbild ver 
unstalten, durch Ortsbausatzung verboten werden. 
Nachgeholt werde noch, daß Ortsbausatzungen von 
den Gemeindebehörden nur erlassen werden dürfen, nach 
dem vorher ein „geprüfter Techniker“, geeignetenfalls 
noch weitere Sachverständige, vernommen worden sind. 
Diese Gesetzesbestimmung entspringt wohl dem Umstande, 
daß die württembergischen Städte zu den we 
nigen in Deutschland gehören, deren Gemeinde 
räte (Magistrate) sich im allgemeinen ohne technische 
bzw. sachverständige Mitglieder behelfen. 
Eine vortreffliche Einrichtung ist die durch den vierten 
Abschnitt des Gesetzentwurfs vorgesehene Einrichtung 
eines öffentlichen Baulastenbuchs in jeder Gemeinde. 
In dieses Buch sind die geldlichen und sonstigen Ver 
pflichtungen einzutragen, die den Bauenden in Gemäß 
heit des Gesetzes auferlegt werden. Die Eintragungen 
haben dingliche Wirkung. Die Einrichtung bedeutet 
einen auch in Sachsen bestehenden großen Fortschritt 
gegenüber dem ziemlich ungeregelten Verfahren in preußi 
schen Städten. 
Der Verfasser schließt seine Darlegung mit dem 
Wunsch, daß es der Regierung gelingen möge, mit Hilfe 
der nunmehrigen Beratungen in der Ersten Kammer 
dem Gesetze nach nochmaliger Vorlage in der Zweiten 
Kammer einen besseren Inhalt und eine glückliche Ver 
abschiedung zu sichern. 
Yereinsmitteilimgen 
Württ. Baubeamten-Verein. Dienstag den 6. April 
d. J., von 8 Uhr abends an, treffen sieb unsre Mitglieder 
im Vereinslokal, I. Stock des Gesellschaftshauses der 
Bauhütte, Büchsenstraße 63, in Stuttgart. — Als Vereins 
mitglied ist angemeldet: Albert Vatter, Stadtbaumeister 
in Hall. 
Württ. Verein für Baukunde. In der 7. ordent 
lichen Versammlung am 27. März, die im Vortragssaal 
des Landesgewerbemuseums stattfand, sprach Obei’baurat 
Mörike über den Eisenbeton und seine Bedeu 
tung für den Hoch- und Tiefbau. Im Unterschied 
von einem vor einigen Jahren im Verein gehaltenen, 
denselben Gegenstand behandelnden Vortrag, der mehr 
die wissenschaftliche Seite berührte, war der Schwer 
punkt dieses Abends auf die Vorzeigung von Lichtbildern 
ausgeführter Bauwerke gelegt und die ganze Darstellung 
mehr populär gehalten. Zunächst wurde die große Um 
wälzung besprochen, die durch den Eisenbeton im Bau 
wesen verursacht worden ist. Während über tausend 
Jahre lang Stein und Holz ausschließlich das Feld be 
herrschten, worin auch durch die Erfindung des Portland 
zements in England sowie die ebenfalls von dort aus 
gehende Verwendung des Asphalts keine Aenderung 
eintrat, kam im Lauf des letzten Jahrhunderts das Eisen 
immer mehr zur Geltung. Seine Anwendung beschränkte 
sich indes hauptsächlich auf Ingenieurbauwerke, während 
bei Hochbauten nur einzelne Teile, wie Stützen und 
Unterzüge, aus Eisen gebildet, nicht aber ganze Bau 
werke aus diesem Baustoff erstellt wurden. Der Eisen 
beton dagegen hat innerhalb weniger Jahrzehnte alle 
Gebiete des Bauwesens sich erobert. Seine Entwicklung 
umfaßt zwei Hauptabschnitte, die Zeit der ersten Ent 
wicklung, die bis zur Pariser Weltausstellung 1900 reicht, 
und die seit diesem Zeitpunkt einsetzende ungeheure 
Ausdehnung über alle Länder der Erde. Bekanntlich 
ist seine Geburtsstätte in Frankreich zu suchen; der 
Gärtner Monier, dem im Jahr 1867 ein diesbezügliches 
Patent erteilt worden ist, gilt als sein Erfinder. In 
Wirklichkeit war aber der Grundgedanke der Verbindung 
von Eisen und Beton schon früher vorhanden; so ist in 
Frankreich schon in den fünfziger Jahren ein Kahn aus 
Eisenbeton gebaut worden, der im Jahre 1855 auf der 
Pariser Weltausstellung vorgeführt wurde und heute noch 
im Gebrauch sich befindet. Auch andre kleinere Aus 
führungen sowie theoretische Beschreibungen tauchten 
schon vor Monier in den sechziger Jahren auf. Das 
Patent Moniers blieb bis in die neunziger Jahre 
gültig. Erst nach Ablauf desselben konnte eine all 
gemeinere Verbreitung stattfinden; dieselbe setzte na 
mentlich mit Frangois Hennebique ein, der große Werke 
des Hoch- und Tiefbaus in Eisenbeton erstellte. In 
Deutschland hat seit 1885 Ingenieur Wayß durch seine 
Versuche und Veröffentlichungen bahnbrechend gewirkt.
	        
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