22. Mai 1909
BAUZBITÜNG
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V ereinsmitteilimgen
Württ.Verein für Baukunde. Inder 10. ordentlichen
Versammlung am 15. Mai wurde vom Vorsitzenden zu
nächst Geschäftliches erledigt, sodann des leider so früh
verstorbenen Baudirektors v. Schaal gedacht und von
einer Ehrung des Vereinsmitglieds Oberbaurat Gansser
anläßlich dessen 90jähriger Geburtstagsfeier Kenntnis
gegeben. Alsdann berichtete Baurat Kräutle in
längerem Vortrag über den unter seiner Oberleitung
ausgeführten Umbau des Bahnhofs Plochingen,
der vergangenen Mittwoch unter sehr zahlreicher Be
teiligung der Mitglieder und ihrer Damen an Ort und
Stelle besichtigt worden war. Der Vortragende sprach
zunächst über die geschichtliche Entstehung des Bahn
hofs, wovon erwähnt sein möge, daß 1846—47 die
Strecke Eßlingen—Süßen erbaut und 1859 die Linie
Plochingen—Eeutlingen abgezweigt wurde. Ende der
sechziger Jahre erfolgte sodann eine Erweiterung, im
übrigen aber ist seither, abgesehen von bloßen Er
gänzungen, wie Einrichtung von Stellwerken und Ein
führung eines stärkeren Oberbaus in den achtziger und
neunziger Jahren, der Bahnhof nicht verändert worden.
Er enthielt bis vor dem Neubau nur vier Geleise mit
Fahrstraßen von 320—480 m Länge, zwei Rangiergeleise
sowie einige Abstellgeleise; es war somit eine Auf
stellung von 120 - achsigen Güterzügen nicht möglich
ohne Blockierung der Einfahrtgeleise. Die ersten Er
weiterungspläne wurden schon 1890 aufgestellt; 1892,
93, 97, 98 folgten weitere Entwürfe. Während bei den
ersteren eine Verlegung des Neckars vorgesehen war,
wurde bei dem letztgenannten Entwurf, der dem Aus
führungsplan zugrunde gelegt worden ist, hiervon abge
sehen, und zwar wegen der schlechten Erfahrungen, die
von der Eisenbahnverwaltung bisher mit derartigen Fluß-
verhesserungen gemacht worden sind. Die Inangriff
nahme des Umbaus war seit dem 1897 begonnenen Bau
des zweiten Geleises nach Reutlingen zwingend geworden,
da letzteres wegen mangelnden Platzes zunächst nur
vorläufig durch eine Weiche in die Hauptgeleise einge
führt werden konnte. Außerdem hatte die Oberlenninger
Bahn eine weitere Steigerung des Verkehrs mit sich
gebracht. Auf Grund weiterer Studien wurde schließ
lich der Plan ausgearbeitet, der nun zur Ausführung
gekommen ist. Noch vor völliger Fertigstellung des
letzteren wurde mit den Geländeankäufen begonnen,
weil bereits eine gewisse Bodenspekulation anfing, sich
geltend zu machen. Es mußte die ganze Strecke zwischen
Bahnhof und Neckar sowie ein bedeutendes Gebiet auf
der andern Bahnseite erworben und, um eine hochwasser
freie Lage zu erhalten, 3 m hoch aufgefüllt werden.
Im ganzen waren links der Bahn 240000 cbm, rechts
derselben 180000 cbm erforderlich. Für die erstere
Auffüllung wurde im Staatswald nördlich von Plochingen
ein Bodengewinnungsplatz zu mäßigem Preis erworben, für
die andere Seite wurde ein solcher am Deizisauer Wald
gewonnen. Von dem letzteren wurde die Auffüllmasse
mittels besonderer Holzbrücke auf das rechte Neckar
ufer befördert. Den schwierigsten Punkt der Anlage
bildete der Platz zwischen Kirchberg und Neckar, wo
es galt, die Straße nach Kirchheim über die Geleise
hinwegzuführen. Nach längeren Verhandlungen zwischen
Eisenbahn- und Straßenbauverwaltung gelang es, die
Schwierigkeit in der Weise zu lösen, daß eine neue eiserne
Brücke erstellt wurde, welche nicht nur über den Neckar
und die Talstraße, sondern gleichzeitig auch über die
Bahn wegführte. Weitere Schwierigkeit bereitete der
Durchlaß des Mühlkanals, der bisher mit drei schiefen
Gitterträgern von 15—16 m Länge überspannt war. Es
wurde statt der letzteren wie früher wieder ein Gewölbe
eingespannt, da dies im voidiegenden Fall die einfachste
Art der Lösung darstellte. Auf dem linken Neckarufer
Schwab. Hall Tannhäuserhaus am Kocher
Nach einem Aquarell von J. Fritz, Bauführer, Giengen a. Br.
wurde zur Ausgleichung der auf dem rechten vor
genommenen Auffüllung ein Vorlandabhub bis auf 20 cm
über Mittelwasser ausgeführt. Die verschiedenen, den
Geleisen zu unterführenden Dolen mußten zum Teil
etwas größere Weiten erhalten, weil die Gemeinde ver
langte, daß im Fall der Feuersgefahr noch eine Schlauch
leitung bis zum Neckar durchgelegt werden könne. Maß
gebend für die Geleisanlagen waren die Stellwerke und
Fahrstraßen, über deren Anlage mehrjährige Studien
gemacht wurden. Schließlich wurde ein aus Linien- und
Richtungsbetrieb gemischtes System durchgeführt. Im
ganzen sind zwischen Bahnhof und Neckar 21 Geleise
untergebracht; die Bahnsteige haben bis zu 16 m Breite,
so daß sich auf ihnen noch genügend Raum für Warte
hallen, Bedürfnisanstalten u. dgl. findet. Die beiden
Hauptstellw r erke sind elektrisch angetrieben; außerdem
finden sich noch drei Rangierstellwerke. Die Wasser
versorgung des neuen Bahnhofs benötigt statt früher 180,
nunmehr 380 cbm; deren Beschaffung geschieht durch
einen Grundwasserbrunnen unmittelbar am Neckar, von
dem das Wasser in den nahegelegenen Wasserturm ge
hoben wird. Der letztere liegt mit seinem niedersten
Wasserstand 13,5 m über Schwellenhöhe und faßt 250 cbm,
er wurde in Eisenbeton erstellt und hat einen Intze-
behälter. Weitere Angaben machte der Redner über
die große Gütersammelstelle, die Bahnsteigdächer, die
Bahnsteigunterführung, die im Hochwasser liegt, sowie
die Hochbauten, über die, wie erinnerlich, schon im
Januar d. J. Abteilungsingenieur Schwab dem Verein
berichtet hatte. Alsdann machte Baurat Sch ad noch
nähere Angaben über die Erstellung der großen eisernen
Neckarbrücke am Kirchberg. Die Anordnung war hier
so getroffen, daß alles rechts vom Neckar von der Eisen
bahnverwaltung , alles übrige aber von der Straßen
bauverwaltung ausgeführt wurde. Die früher hier sich
findende hölzerne Brücke war im Jahr 1770 von Landes
baumeister Etzel als Sprengwerk erstellt worden. An
ihrer Stelle wurde nun eine Brücke mit zwei Bogen
öffnungen von 51,1 m, einem Halbparabelträger von 28 m
und einem Blechträger von 6,5 m Stützweite erstellt.
Die eisernen Bogen besitzen zwei Kämpfergelenke und
wurden für die üblichen Belastungsannahmen berechnet.
Interessant waren die Angaben über die Gründung der
Ortpfeiler, bei denen es gelang, ohne Fangdämme und