212
BAUZEITUNÖ
Nr. 27
3. Juli 1909
flMaiWT *t#Bl Ot* OflHMHOfpi.nT,S ••
BAUZEITUNli
213
Empfangsgebäude Bahnhof Feuerbach
vorteilhafter auszunutzen, das Gebäude rentabler machen
zu können u. s. w. Sind die Grundstücke nur für Ge
bäude mit schmalen Fronten berechnet, wie es nament
lich in alten Städten und Stadtvierteln häufig vorkommt,
so wird der Ankauf von Nachbargrundstücken oder die
Vereinbarung mit dem Besitzer eines benachbarten Ter
rains jedesmal erforderlich werden, wenn es ein größeres
AVohn- oder Geschäftsgebäude zu errichten gilt. Nun
ist die Sache aber doch mit großen Schwierigkeiten und
Unannehmlichkeiten verknüpft, wenn die Grundstücke,
auf denen das Gebäude steht, nicht Eigentum desselben
Besitzers sind, bzw. im Laufe der Zeit an verschiedene
Besitzer übergehen. Mit einem derartigen, sehr lehr
reichen und für den Baufachmann äußerst interessanten
Fall hatte sich kürzlich das Eeichsgericht zu beschäftigen.
Der Kaufmann Sachs errichtete im Jahre 1907 auf
den ihm gehörigen, aneinander grenzenden Grundstücken,
die wir mit A und B bezeichnen wollen, einen Neubau,
der etwa in der Mitte durch die Grenzlinie durchschnitten
wurde, und zwar derart, daß die Grenzlinie auch Träger,
die zur Ueberdeckung von Tür- und Fensteröffnungen
dienten, ferner Unterzüge für Deckenbalken und Dach
konstruktion durchschnitt u. s. w. Dies ist von Bedeu
tung; denn daraus ergibt sich, daß bei jeder baulichen
Veränderung auf dem Grundstück A auch die Baukon
struktionen auf dem Grundstück B sorgfältigst berück
sichtigt werden mußten und umgekehrt.
Das wäre bedeutungslos, wenn die beiden Grundstücke
im Besitz desselben Eigentümers geblieben wären. In
dessen kamen die beiden Grundstücke nach Vollendung
des Neubaues zur Zwangsversteigerung, und dabei ging
das Grundstück A mit dem daraufstehenden Gebäude
teil an einen Herrn Müller und das Grundstück B mit
dem andern Teil des Neubaues an einen Herrn Zimmer
mann über. Dieser war nicht damit zufrieden, gemein
sam mit Müller ein Haus zu besitzen — er wollte ein
eignes selbständiges Gebäude sein Eigen nennen, und
so beschloß er, den auf seinem Terrain stehenden Bau
teil zunächst abzureißen. Er teilte dies Müller mit und
ersuchte ihn, innerhalb 14 Tagen seinen Gebäudeteil zu
stützen und abzusteifen, damit er bei dem Abbruch
keinen Schaden erleide. Müller kümmerte sich um die
Aufforderung seines Nachbarn nicht; als dieser aber tat
sächlich seinen Bau abzureißen begann, erhob er Klage
und beantragte, Zimmermann zur Unterlassung des Ab
bruches zu verurteilen — oder wenn dies nicht angängig
sei, ihn zur Errichtung der notwendigen Absteifungen
und Anwendung aller Schutzmaßregeln zu verurteilen,
die geeignet sind, den Einsturz des ihm gehörenden Ge
bäudeteils zu verhindern. Der Beklagte verlangte natür
lich das Gegenteil und beanspruchte durch AViderklage,
Müller solle verurteilt werden, selbst die nötigen Schutz
maßregeln zur Erhaltung seines Gebäudes zu treffen.
Das Gericht schloß sich der Anschauung des Klägers
Müller an und wies Zimmermann mit seiner Gegenklage ab;
dieser wurde also verurteilt, vor Abbruch seines Gebäude
teils das Müllersche Haus mit aller Sorgfalt abzusteifen.
Das Reichsgericht billigte die Abweisung der AVider
klage, wies aber das Urteil zur Klage Müllers in die
Vorinstauz zurück (Urt. V. 438/09 vom 20. Januar 1909).
Das ganze Haus sei nicht Miteigentum beider Parteien,
wie die Vorinstanz angenommen habe, vielmehr hätte
jeder der beiden Nachbarn den auf seinem Grundstück
stehenden Teil des Gebäudes als sein ausschließliches
Eigentum erworben. Jede Partei könne nach Belieben
mit ihrem Eigentum verfahren, soweit nicht Gesetze oder
Hechte andrer Personen in Frage kämen. Mit Unrecht
nehme die Vorinstanz an, daß sich aus §§ 921 und 922
des Bürgerlichen Gesetzbuches eine Einschränkung er
gebe. § 921 bestimmt, daß ein Graben, eine Mauer
oder dergleichen, die zwei Grundstücke trennen, von bei
den Eigentümern gemeinschaftlich benutzt werden könnte,
sofern nicht äußere Merkmale darauf hinweisen, daß die
Einrichtung einem der Nachbarn allein gehöre. Hier
sei aber nur von Einrichtungen die Rede, welche zwei
Grundstücke trennen, aber eine Grenzlinie sei doch keine
Einrichtung. § 922 bestimmt, daß keine der beiden, zur
gemeinschaftlichen Benutzung der trennenden Einrichtung
berechtigten Parteien dieselbe ohne Zustimmung der
andern Partei beseitigen oder ändern dürfe. AVenn man
nun selbst diese Paragraphen hier anwenden wolle, so
würde sich aus denselben nur ergeben, daß keiner der
beiden Teile die von der Grenze durchschnittenen Stücke
des Bauwerkes, d. h. also die durchschnittenen Fenster,
Türen u. s. w. im ganzen abtrennen und wegnehmen
dürfe, da an dieser, wenigstens bis zur Grenzlinie, auch
dem andern Teil ein Eigentumsrecht zustehe. Dieses
beabsichtige der Beklagte aber auch nicht, und deshalb
könne man ihm auch 'nicht, wie Müller zunächst beantragt
habe, den Abbruch seines ihm gehörigen Gebäudeteils
verbieten; dagegen sei der Eventualantrag Müllers ge
rechtfertigt. Maßgeblich sei § 823 des Bürgerlichen Ge
setzbuches, welcher bestimmt: „AVer vorsätzlich oder fahr
lässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die
Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines
andern widerrechtlich verletzt, ist dem andern zum Er-
- *•" l.STot*r -■
X
t-triff r