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BAUZBITUNG
Nr. 34
Sichversenken in die Reize eines Kunstwerks unmöglich
zu machen scheinen, nur eine Rettung gibt: die Pflege
des Schönen im eignen Heim. Eine Wohnung darf aber
nie etwas ganz Abgeschlossenes sein, etwas Fertiges;
ebenso wie es nichts schadet, wenn man ihre Jahresringe
ein wenig spürt, ebenso muß sie eine gewisse Elastizität
der Erscheinung haben, die innere Fähigkeit, zu wachsen,
sich umzubilden. Je enger der Charakter einer Wohnung
mit dem ihres Besitzers harmoniert, desto weniger darf
sie starr und leblos bleiben. Darum scheint die Weh
es im eignen Hause oder in der Mietwohnung, erfüllt
werden können. Das Material, das aus dem Schaffen
vieler der ersten unter den Raumkünstlern der Gegen
wart mit Sorgfalt ausgelesen wurde, ist so verteilt
worden, daß je eine Gruppe von Beispielen der einzelnen
Räume in der modernen Wohnung zusammenhängend
gezeigt werden konnte. Das Besondre der Aufgabe, die
in jedem einzelnen Falle zu lösen war, ist in einem
jedem Kapitel vorangestellten Text erörtert. Bei der
Beschreibung der Abbildungen wurde auf genaue Angaben
Die Wohnung der Neuzeit
Diele im Hause Arnold-Schorndorf
Oberbauräte Eisenlohr und Weigle-Stuttgart
nung die schönste, die ein Gewordenes und ein Werden
des darstellt — die schönste, weil sie allein die per
sönlichste ist.
Yon diesen Grundsätzen ließen sich Erich Hänel und
Heinrich Tscharmann leiten bei der Herausgabe ihres
neuesten Werks: „Die Wohnung der Neuzeit.“*) Das
selbe soll zeigen, auf welchen Wegen die Entwicklung
der Innenausstattung in den letzten Jahren vor sich ge
gangen ist; es soll vorführen, wie die Forderungen der
Gesundheit, Schönheit und Bequemlichkeit im Heim, sei
*) Die Wohnung der Neuzeit. Herausgegeben von Erich Hänel
und Heinrich Tscharmann. Mit 228 Abbildungen und Grundrissen
sowie 16 farbigen Tafeln. Leipzig 1908, Verlag von J. J. Weber.
über Material und Farbe besonderer Wert gelegt, denn
das Verständnis für die Wirkungen beider ist unerläß
liche Vorbedingung für das Entstehen einer künstlerischen
Gesamtstimmung im Innenraum. Das Buch stellt sich
nach Anlage und Durchbildung als eine notwendige Er
gänzung zu dem vorangegangenen Werke „Das Einzel
wohnhaus der Neuzeit“ dar. Es darf aber doch auch
als ein selbständiges Ganzes gelten und wendet sich so
naturgemäß an einen noch weit größeren Kreis als jenes.
Wir sind durch das Entgegenkommen des Verlags instand
gesetzt, aus dem reichen Material verschiedenartige Beispiele
neuzeitlicher Innenausstattung unsern Lesern vorzuführen.
Das erste Bild stellt eine Sitznische, die unter dem
oberen Lauf der Treppe eingebaut ist, dar. Auf jeder