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BAUZEITUXG
Nr. 44
mit Marktplatz. Wer nun einige dieser alten Anlagen auf der
Hauptverkehrsstraße durchwandert, ist erstaunt über die
Fülle von Abwechslung und Gegensätzen in den einzelnen
Straßen selbst (Abb.3u.4) und in den Städten untereinander.
Unwillkürlich drängt sich die Frage auf, wie ist es mög
lich, daß mittelalterliches Kulturniveau über eine solche
Fülle von Möglichkeiten gebot und stets über so etwas
überraschend Neues verfügte. Der Haupteinwand, das
Yerkehrshindernde, ist bei der Beurteilung dieser An
lagen nicht ins Feld zu führen, da für die damaligen
Verhältnisse diese Straßen vollauf genügten. Daß bei
dem modernen Verkehr (Tram, Automobil, Fahrrad,
Hoch- und Untergrundbahn) großzügigere Anlagen not
wendig sind, wird für jeden Kenner selbstverständlich
sein. Aber daß gleich das Kind mit dem Bade aus
geschüttet wurde und für kleinere Städte die Verkehrs
mittel der Großstadt zugrunde gelegt wurden, hat sich
bitter gerächt (Verkehr auf der Königstraße analog der
Bahnhofstraße Bietigheim) (Abb. 5). Dank der Aufklärung
führender Geister ist das alles der feinfühlenden Laienwelt
schwer auf das Herz gefallen. Aber wo ein Wille ist,
ist auch ein Weg. Die Schönheit des alten Städte
baues, dem modernen Verkehr nüchtern angepaßt, zu
übertragen auf den neuen Städtebau, ist des Schweißes
der Edelsten wert. Die weitsichtige Regierung, als be
rufsmäßige Hüterin aller Ideale, weil darauf aufgebaut,
voran, unterstützt von den Vätern der Städte, den wür
digen Uebermittlern mittelalterlicher Stadtweisheit, und
dazu kunstemplindende Männer der Tat, und es wird
von dem vielen Verlorenen noch manches zu retten sein.
Auch hier heißt es in jeder Beziehung: Suchet, so werdet
ihr finden, und wenn ihr etwas Schönes gefunden habt,
so behaltet’s in einem feinen, klugen Herzen und lasset
eure Kinder und Kindeskinder daran teilnehmen. In
verständliche Zunftsprache übersetzt: Lasset unberufene
Hände unberufen.*)
Deutscher Werkbund
In den Räumen der Akademie für Sozial- und Handels
wissenschaften zu Frankfurt a. M. hielt der Deutsche
Werkbund vom 30. September bis 2. Oktober seine zweite
Jahresversammlung unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Theod.
*) Anmerkung: Abbildungen aus einem Städtchen auf einem und
und demselben Wege in zirka einer halben Stunde gemacht.
Fischer-München ab. Dieser wies in seiner Begrüßungs
ansprache darauf hin, daß nach zweijährigem Bestehen,
das dem Werkbund zahlreiche namhafte Vertreter der
Kunst, der Industrie und des Handwerks zugeführt habe,
jetzt die Zeit zur Verwirklichung seiner Pläne gekommen
sei. Das erste Thema, Kunst und Industrie, wurde
von drei Rednern behandelt. Dr. F. Schneider, Syndikus
des Bundes der Industriellen, Berlin, stellte fest, daß die
Industrie, die den Gelehrten, den Erfinder, den Ingenieur
in ihren Dienst stellte, jetzt auch den Künstler ihren
Zwecken dienstbar zu machen beginne. Der Erziehung
des Käufers müsse die Erziehung des Verkäufers, des
Zwischenhändlers voraufgehen, der in der Pflege des
Geschmacks einen mächtigen Ansporn für die Kauflust
entdecke. Eines der letzten Beispiele hierfür sei der
kürzlich in Berlin veranstaltete Schaufensterwettbewerb,
bei dem die Mehrzahl der beteiligten Ladenbesitzer ganz
bedeutend größere Einnahmen erzielte.
Der Kunstgewerbler Prof. H. van de Velde-Weimar
stellte sich auf den Standpunkt des schaffenden Künstlers.
Je mehr die Künstler in der Entwicklung des Geschmacks
zur Bildung eines modernen Stiles beitragen, desto we
niger sei die fortwährende Wiederkehr der überlebten
Stilarten und der Geschmacklosigkeiten der Unberufenen zu
befürchten. Der Künstler schaffe eine neue Kundschaft,
und dem Industriellen müsse nur gezeigt werden, wie
wichtig diese sei, dann werde er ohne eine enge Zu
sammenarbeit mit dem Künstler nicht mehr auskommen.
Geh. Rat Dr.-Ing. H. Muthesius-Berlin erblickt in der
vollen Einmütigkeit zwischen gewerblicher Produktion
und künstlerischem Empfinden ein erstrebenswertes Ziel,
das die manchmal divergierenden Parteien der Fabrikanten
und Künstler und beide zu fruchtbarem Schaffen zu
bringen geeignet sei.
Ueber die Tätigkeit der Schulkommission, welche die
Ausarbeitung einer Denkschrift zur Aufstellung von Leit
sätzen für die Hebung der ge werblichen Erziehung
der Lehrlinge angeregt hatte, berichtete Dr. W. Dohrn.
In der Besprechung beantragte Geh. Rat Muthesius, die
Denkschrift auszuarbeiten. Prof. Riemerschmidt möchte
festgestellt sehen, daß Aufträge an schulgewerbliche
Anstalten vergeben werden, an denen die Lehrlinge
nachweisbar geschult werden. Dohrn empfahl, einen Be
schluß zu fassen zur Denkschriftausarbeitung, ohne ihr
durch Leitsätze die Hände zu binden. In diesem Sinne
stimmte ihm Geh. Rat Sydow bei, riet aber, die Grenzen