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BAÜZBITUNG
Nr. 47
den Mauerteile des Gebäudes (z. B. schwerbelastete
Pfeiler) mit besonderer Farbe im Querschnitt kenntlich
zu machen, nach erfolgter Erhebung der Anklage wieder
als irrtümlich zurückgenommen haben. Fohrmann hatte
sich nämlich darauf berufen, er habe die Grundrisse
der oberen Stockwerke oder eine Ansicht der Lichthof
außenseite zur Zeit der Erbauung der unteren Teile
des Pfeilers D von der Bauleitung nicht erhalten können,
und dieses Fehlen habe ihn zu einer andern, minder
wertigen Herstellung (Betonkern mit Vorgesetztem Back
steingemäuer aus Kalkspeis) veranlaßt, ohne daß die Bau
leitung hiergegen etwas erinnert hätte.
Wenn Herr Woltz am Schluß seines Aufsatzes für
den Architekten die Lehre zieht, „die Fertigung von
Konstruktionszeichnungen ganz abzulehnen, sobald es sich
zeigt, daß der Generalunternehmer sich doch nicht daran
hält“, so mag dieser Grundsatz ganz richtig und emp
fehlenswert sein, um den planentwerfenden Architekten
vor strafrechtlicher Verfolgung von Haus aus sicherzu
stellen, aber für die Folgen des Abschlusses eines solchen
Vertrags können, wenn das Unglück geschehen ist, die
gerichtlichen Sachverständigen sowenig verantwortlich
gemacht werden als dafür, daß der Staatsanwalt gegen
ihn auf Grund der Zuschiebung eines Teils der Verant
wortung von seiten des Angeschuldigten Fohrmann Klage
erhebt.
Auch mit der durch die Strafkammer getroffenen
Auswahl der gerichtlichen Sachverständigen kann sich
Herr Woltz nicht einverstanden erklären. Er schreibt,
diese hätten es grundsätzlich ablehnen sollen, „Fälle zu
begutachten bzw. Fragen zu erörtern, die auf einem Ge
biete liegen, auf dem sie nicht durch tagtägliche üebung
ganz und gar zu Hause sind, da sonst notwendig eine
Unsicherheit, eine ausweichende Art des Gutachtens
herauskommt, mit welcher der Sache nicht gedient ist,
die aber für gewisse Beteiligte recht unangenehme Folgen
haben kann“. Ich weiß nicht, ob das Gericht einigen
Wert darauf gelegt hat, daß die von ihm gewählten
Sachverständigen eine weitgehende Unabhängigkeit in
ihrer Stellung als Professoren technischer Lehranstalten
besitzen, oder ob es größeres Gewicht darauf gelegt hat,
daß diese neben dem Besitz der erforderlichen praktischen
Kenntnisse die Statik der Baukonstruktionen beherrschen.
Einerlei, immerhin sollte man meinen, daß eine neunzehn
jährige Baupraxis mit zahlreichen Ausführungen im Tief-
und im Hochbau und die Erfahrung einer sechsjährigen
Tätigkeit als technischer Referent bei der Ministerial-
abteilung für das Hochbauwesen ausreichen sollte, eine
lediglich konstruktive Frage mit Sachkenntnis zu be
handeln. Wie anders wäre denn der Satz in der Urteils
begründung denkbar: „Die Strafkammer ist auf Grund
der Gutachten der Sachverständigen Mörike und Gunzen
hauser, die von denen der meisten übrigen Sachverstän
digen erheblich unterstützt wurden, zu der Ueberzeugung
gekommen, daß u. s. w.“ Es ist eine beliebte, aber auch
durchsichtige Taktik der Pai'teien und ihrer Anwälte,
die unabhängigen Sachverständigen des Gerichts ent
weder nach der Seite der Praxis — und am eingestürzten
Haus waren ja nur „Praktiker“ tätig — oder nach der
Seite der Wissenschaft als ungenügend anzuzweifeln,
um die Wirkung unbequemer Gutachten, deren Sachlich
keit schwer beizukommen ist, abzuschwächen und so auf
das Gericht einzuwirken. Zu der Aufforderung des Herrn
Woltz, solch rein konstruktiven Fragen — um architek
tonisch-künstlerische handelte es sich nicht — als Bau
ingenieur aus dem Weg zu gehen, lag um so weniger
Grund vor, als er selbst im eignen Interesse zwei Bau
ingenieure (Prof. Mörsch und Dr.-lng. Frank) mit der
Anfertigung von Gutachten über die Ursache des Ein
sturzes beauftragt hatte, üebrigens möchten wir be
merken, daß die Uebernahrae des Amtes eines gericht
lichen Sachverständigen erfahrungsmäßig keineswegs ein
gesuchtes ist. Der Grund für die Unbeliebtheit dieses
Amtes, dem man sich nur beim Vorliegen triftiger, vom
Gericht anerkannter Gründe zu entziehen vermag, dürfte
aber vor allem darin zu suchen sein, daß es nicht zu den
Annehmlichkeiten zählt, sich und seine Mitarbeiter gegen
Verdächtigungen aller Art, sei es während, sei es nach
der Gerichtsverhandlung zu schützen.
(Schluß folgt.)
Tarifverliandhmgen im deutschen Bau
gewerbe
Am 31. März 1910 laufen fast in ganz Deutschland
die Tarifverträge für das Baugewerbe ab. Be
kanntlich war schon bei dem letzten Abschluß der Ver
träge im Jahre 1908 eine einheitliche Behandlung der
Tarifabmachungen dadurch zustande gebracht worden,
daß von den Zentralorganisationeh der Arbeitgeber und
Arbeitnehmer ein Vertragsmuster vereinbart worden war,
welches die grundsätzlichen, allen Tarifverträgen gemein
samen Bestimmungen enthielt. Dieses Vertragsmuster
mußte den Verträgen, welche die einzelnen Landes-,
Bezirks- und Ortsverbände in Deutschland abschlossen,
zugrunde gelegt werden. Arbeitgeber wie Arbeitnehmer
haben nun zum Ablauf der Tarifverträge Abänderungs
anträge zu dem Tarifvertragsmuster eingebracht. Die
Verhandlungen über ein neues Tarifvertragsmuster haben
nun dieser Tage in Berlin stattgefunden. Die Arbeitgeber
des deutschen Baugewerbes waren in diesen Verhand
lungen durch den Deutschen Arbeitgeberbund für das
Baugewerbe, und zwar durch eine zu diesem Zweck er
nannte Dreizehnerkommission vertreten. Von Arbeit
nehmerseite beteiligten sich die Zentralverbände der
Maurer, Zimmerer und Bauhilfsarbeiter sowie der Ver
band christlicher Bauhandwerker und Bauhilfsarbeiter au
den Verhandlungen. In Vertretung des erkrankten Bau
rats und Landtagsabgeordneten Feilsch leitete Baumeister
Heuer-Berlin die Verhandlungen. Zweifellos gehören
diese Verhandlungen zu den bedeutungsvollsten, die je
mals bisher auf dem Gebiete des Tarifvertragswesens
stattgefunden haben. Ihr endgültiger Ausgang ent
scheidet über Krieg und Frieden im gesamten deutschen
Baugewerbe, da mehr als 22 000 Baugeschäfte und weit
über 300 000 Arbeitnehmer von dem Schicksal dieser
Tarifabmachungen getroffen werden. Bisher sind die
gegenseitigen Abänderungsanträge zum Tarifvertragsmuster
ausgetauscht worden, und es haben sich dabei schwer
wiegende Differenzen zwischen den beiden Parteien er
geben. Die Verhandlungen haben sie nicht beseitigt und
mußten daher abgebrochen werden. Die Parteien haben
verabredet, die Verhandlungen später wieder aufzunehmen,
sich aber über einen neuen Termin für die Fortsetzung
ihrer Beratungen noch nicht ausgesprochen. Es wäre
mit Rücksicht auf die große Bedeutung des Baugewerbes
für unser gesamtes gewerbliches Leben dringend zu
wünschen, daß die Verhandlungen zu einer friedlichen
Verständigung führen, damit unserm Wirtschaftsleben im
Frühjahr nächsten Jahres die schweren Erschütterungen
so umfassender gewerblicher Kämpfe erspart bleiben.
Bauerngeliöft
Architekt J. Hohlbauoh -Geislingen
Betrachten wir unsre reizvollen schwäbischen Dörfer
beim Durchwandern näher, so finden wir leider auch bei
neuerstellten Bauernhäusern, daß der alte heimatliche
Typ verlassen worden ist und geradezu traurige Backstein
häuser mit ihren toten, oft in schlechten Farben zu
sammenwirkenden Zementdächern an seine Stelle getreten