Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1909)

30. Januar 1909 
BAUZEITUNG 
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Mit dem Anwachsen des Verkehrs und mit der Ver 
vollkommnung unsrer Verkehrsmittel macht sich die Lärm 
frage immer mehr bemerkbar und fühlbar. Wäre es nicht 
eine zeitgemäße und zugleich äußerst dankbare Aufgabe 
unsrer Architekten, gerade diesem Umstande Rechnung 
zu tragen und in dem Hausbau eine Aenderung vorzu 
nehmen! Man spricht so viel heutzutage von „Hygiene“ 
und von der modernen Zeitkrankheit „Nervosität“. Unsre 
heutigen Wohnungsverhältnisse können da als Ideal nicht 
gelten. . Glücklich derjenige, der ruhige Rückwärts 
zimmer hat! 
Von Rückwärtszimmern sprechen wir hier? Ist denn 
mit dem Begriff „Rückwärtszimmer“ nicht eine gewisse 
Minderwertigkeit des Raumes mitverhundeu? Still 
ist das Zimmer schon und ruhig, aber es geht in den 
„Hof“ hinaus. 
Ja, warum baut man denn nicht an Stelle der Höfe 
hübsche Gärten mit Rasen- und Blumenanlagen, mit 
Baumgruppen und plätschernden Springbrunnen? Warum 
verlegt man dorthin nicht, wo das Auge eine frohe Weide 
und die geplagten Nerven ihre Ruhe vor dem Straßen 
lärm haben, die Wohnräume? 
es würden auf diese Weise auch das Bauen dortselbst und 
die Wohnungen billiger. 
Und rürwahr, in der engsten Gasse der alten Stadt 
lebten vielleicht glücklichere und gesündere Menschen als 
in den ungastlichen Räumen unsrer Mietskasernen an den 
breiten Straßen. Man hört immer wieder von der „guten 
alten Zeit“ sprechen, und nicht minder oft lächelt man 
darüber. Aber Hand aufs Herz, hat nicht überall Ben 
Akiba recht: „Alles schon dagewesen!“ Finden wir nicht 
immer und immer wieder, daß uns doch die Altvordern 
aller Zeiten die besten Lehrmeister abgeben können und 
daß wir am besten daran tun, wenn wir deren alterprobte 
Erfahrungen und Einrichtungen unter geeigneter An 
passung an unsre Verhältnisse übernehmen? 
Und da eben stets die Extreme sich berühren, so auch 
in unsrer Frage. Der Zuzug in die Städte wird immer 
bedeutender, gleichzeitig aber auch steigt die Landflucht 
der Bessersituierten, wenigstens für gewisse Zeiten, das 
zeigt die bedeutende Zunahme der Villen und Landsitze, 
die sich in der Umgebung der Großstädte bemerkbar 
macht. 
Karl Mainburg, München 23. 
Wettbewerb für ein Forstwarthaua in St. Peter in Baden Zweiter Preis 
Verfasser Dipl.-Ing. Herrn. Wielandt und Dipl.-Ing. Priedr. Wielandt-Konstanz 
Man gehe nur nach Italien und betrachte sich die 
reizenden Häuser mit ihren prächtigen Gartenanlagen, 
und man wird finden, daß man dort nicht nur Lebens-, 
sondern auch Wohnungskunst verstanden hat. 
Verlassen wir aber einmal die Quartiere der Gut 
situierten und gehen wir in die Viertel, in denen die 
Arbeiterbevölkerung ihr Heim aufgeschlagen hat. Be 
friedigt es wirklich unser ästhetisches Gefühl, diese breiten 
Straßen mit ihren öden, monotonen Mietskasernen zu 
sehen? Schablonenartige Architektur hier, schablonen 
artige Architektur dort, und dabei versucht man auch 
noch mit Hilfe der allerminderwertigsten Surrogate das 
Auge zu täuschen. Licht und Luft ist einmal die Parole 
unsrer hygienisch fühlenden Zeit, deshalb müssen die 
Straßen hübsch breit sein, und dann läßt man zwei, drei 
und vier Rückgebäude, Seiten- und Neben 
gebäude zu, um die Platzverschwendung durch die 
Straßenbreite einigermaßen wieder auszugleichen. 
Wie wäre es denn, wenn man bei Anlegung von Stadt 
erweiterungsplänen auch diesem Umstande Rechnung trüge 
und würde die Straßen in solche einteilen, die bestimmt 
sind, dem Verkehr zu dienen, und in solche, für welche 
ein größeres Verkehrsbedürfnis nicht anerkannt wird? 
Diese könnte man dann auch viel schmäler zulassen, und 
Nachschrift. Mit den vorstehenden Ausführungen 
muß man sich einverstanden erklären, es ist insbesondere, 
was die Anlage der Höfe anbetrifft, ein wirklicher Jammer, 
zu sehen, mit welcher Rücksichtslosigkeit man den Haus 
bewohnern den Blick auf die ödesten Hinterfronten zu 
rautet. Man schaue auch die Höfe und Hinterfronten 
neuer Häuser an, es ist zu verwundern, daß heute 
noch, wo man auf gediegene, gute Architektur Wert 
legt, noch so wenig Verständnis und Fähigkeit vorhanden 
ist, auch reizvolle Hofanlagen zu schaffen. Unsre Archi 
tekten haben viel nachzuholen, es ist viel versäumt worden, 
vieles gar nicht wieder gutzumachen. Unsre Bauherren, 
Werkmeister und Unternehmer mögen die Forderung 
stellen, daß in dieser Beziehung auf ein Durcharbeiten 
der Entwürfe mehr hingewirkt wird, sie mögen ins 
besondere nicht verlangen, daß bei allen Bauten bis an 
die Grenze des von der Baupolizei Erlaubten gegangen 
wird. Mir scheint, daß der Einwand, die baupolizeilichen 
Bestimmungen machen eine ästhetische Ausführung im 
vorstehenden Sinn unmöglich, nicht immer zutrifft. Man 
mäßige sich nur in seinen Ansprüchen! Die Bauspeku 
lation hat in brutaler Weise einen scheußlichen Bautypus 
geschaffen. In der Reinsburgstraße in Stuttgart sehen 
wir ein Reihenhaus von Prof. Th. Fischer. Die scheuß-
	        

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