20. Februar 1909
BAUZEITUNG
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Ulmer Stadtmaueransohluß an die Ludwig-Wilhelms-Brücke mit Vorplatz am linken Ufer
Kunstverlag von Fritz Heim-Ulm
Aus dem alten und neuen Ulm
Die Stadtmauer
Von E. Braun, Stadtbaurat a. D.
Dem eingesessenen Ulmer ist seine Stadtmauer (mit
dem Nachdruck auf dem zweiten Wort) ganz besonders
ans Herz gewachsen. Wo gehen wir hin? Auf die
Mauer! Und mit wenigen Schritten ist man aus dem
Gewühl enger, dunkler Gassen der Altstadt draußen, um
flutet von hellem Licht, und genießt bei trockenem,
sauberem Weg einen Umblick von seltener Eigenart und
Schönheit. Schmal ist der Fußweg freilich, und mau sieht
hier, wie man auch mit geringen Maßen einen zeitweise
bedeutenden Verkehr durchleiten kann. Wir befinden
uns auf dem oberen Wehrgang der zweiten Verteidigungs-
mauer an der Donau von der Ludwig-Wilhelms-Brücke
bis zur Wilhelmshöhe, früher vom Herdbruckertor bis
zum oberen Donauanschluß. Diese Strecke wurde im
vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert der alten Mauer
in die Donau hinein vorgesetzt, so daß zwischen beiden
der Zwinger entstand. Sie wurde größtenteils aus
sog. Ruckenbiegern, einem vorzüglichen Backsteinmaterial
von 38x19x7,5 cm mit gebogenem Querschnitt, erbaut
und hatte zwei Wehrgänge übereinander, von einem kunst
vollen System von durchbrochenen Pfeilern und Gewölben
getragen und mit einem Hohlziegeldach abgedeckt. Letzteres
ist verschwunden, dagegen sind die beiden Wehrgänge
noch erhalten, der untere als Yorratsraum und Seilerbahn,
der obere als Promenade. Leider sind die verschiedenen
Türme und Erker, welche die Flanken deckten, wie der
Einlaßturm, der dicke Turm, bis auf kleine Reste ab
gebrochen, und nur der schiefe Metzgerturm aus der
ersten Befestigung überragt noch die Bauwerke an der
Stadtmauer, in einsamer Größe an die ältesten Bau
perioden der Stadt erinnernd. Yon jeher bildete die
obere Donauseite einen der wichtigsten Teile für das
Arbeits- und Verkehrsleben der Städter. Am unteren
Ende der Strecke führt die Donaubrücke hinüber in das
frühere jenseitige Landgebiet der Reichsstadt, heute nach
Bayern. Die älteste Brücke mit Steinpfeilern und reich
verzierten Erkern stammte aus dem Ende, des fünfzehnten
Jahrhunderts. Ihre Ausführung bildete den Abschluß
jener zweiten Bauperiode, die, von vorzüglich gebildeten
Baumeistern geleitet, die architektonische Ausstattung
ihrer Werke auf die Spitze trieb. Heute ist die gewölbte
Donaubrücke mit drei Oeffnungen aus dem Anfang des
vorigen Jahrhunderts eines der schönsten Beispiele zweck
mäßiger Einteilung und vorzüglicher Anpassung an den
Festungscharakter. Ihre wuchtige Erscheinung bildet
einen wirkungsvollen Abschluß des Stadtmauerspazier
gangs auf der Ostseite. Der hier beim Kaiserlichen
Gouvernement liegende Brückenvorplatz bietet eine der
interessantesten Aufgaben für die glückliche Durchführung
eines großen Städteverkehrs. Auf ihn münden die Donau
straße, die Herdbruckerstraße und der Grüne Hof, und
später soll eine an Stelle der Stadtmauer tretende Ufer
straße durchgeführt werden. Da galt es für die Stadt
gemeinde in erster Linie sich die notwendigen Anwesen
zu sichern, denn ohne Abbruch verschiedener Baulich
keiten geht es bei der jetzigen Enge des Raums nicht
ab. Anderseits darf an den Einmündungsstellen eben
nur mit den Minimalbreiten für die Verkehrsflächen,
6—6 m für die Fahrbahn und 1,5—2 m für die Fußwege
gerechnet werden, wobei erfahrungsgemäß auf kürzere
Strecken auch größere Massen bewältigt werden können.
In leichtem Bogen zieht sich von der Straßenbrücke
aus die Stadtmauer auf 600 m Länge gegen Südwesten.
Früher war sie unmittelbar von der Donau bespült, über
dem Wasserspiegel liegt der obere Wallgang 6—8 m.
Heute ist ein bedeutendes Vorland entstanden, das die
Uferlinie mehr gegen Süden in eine Gerade drängt, deren
Unterhaltung ziemliche Schwierigkeiten bereitet.
Der Ueberblick, den man zu Anfang der Promenade
genießt, bietet ein imposantes Bild alter Städtearchitektur,
und von Schritt zu Schritt steigert sich der Eindruck.
Begrenzt von dem mächtigen Strom, dessen Wasserfülle
hier, gespeist von der Iller, schon eine bedeutende ist,
baut sich im Norden die Altstadt auf. Giebel reiht sich
an Giebel, bald spitz und schmal, bald breitgelagert, bis
hinauf zum Rathaus und Münster, auf die immer wieder
reizende Durchblicke vorhanden sind, welche den inneren
Zusammenhang klarlegen. Auch das unmittelbar gegen
Norden anschließende Gelände bietet auffallende Einzel
heiten. Es ist der Zwinger, der teilweise zur Durch
führung eines Blauarms benutzt wird, die älteste Mauer
mit dem Metzgerturm und anschließenden Wassertörchen,
weiter mit den vielen im Lauf der Zeit entstandenen
Anbauten, dem alten Schlachthaus der Reichsstadt, dem
Profosengängle, dem Vaterunsergäßchen, den verschiedenen