27. Februar 1909
BAUZBITÜNG
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Ländliche Bauten Abb. 6
Teilen Deutschlands die Hebung der Stellung
der Architekten und Ingenieure in den Ver
waltungen als eine dringende Aufgabe erkannt
wird, und daß den Führern eine willige Ge
folgschaft zur Seite steht, bereit, mit allen
Kräften dahin zu wirken, daß den aufgestellten
Forderungen zum Siege verhelfen werde.
Die von dem besonderen Ausschuß aufge
stellten Hauptsätze lauten:
I. Wir halten es für erforderlich, daß unter
Abänderung der etwa entgegenstehenden
landesgesetzlichen Bestimmungen die
Aemter der staatlichen, kommunalen und
privaten Verwaltungen den bewährten
Akademikern aller Berufsklassen zugäng
lich gemacht werden.
II. Um für die Architekten und Ingenieure
zu diesem Ziele zu kommen, sind die
Unterrichtspläne der Technischen Hoch
schule so einzurichten, daß alle Studie
renden die Möglichkeit einer harmoni
schen, weitere Gebiete des öffentlichen
Lebens erschließenden Ausbildung ge
winnen, die sie befähigt, über die Grenzen
der eigentlich technischen Tätigkeit
hinaus, immer aber auf deren Grundlage,
sich tätig, regelnd und leitend an der Pflege und
Hebung unsers nationalen Kulturzustandes zu be
teiligen.
III. Wir fordern, daß sowohl der Staat als auch die
öffentlichen und privaten Selbstverwaltungen die
Pflicht zur weiteren Ausbildung der Architekten
und Ingenieure, welche die akademische Haupt
prüfung bestanden haben, anerkennen und daß den
genannten Akademikern neben der technischen Aus
bildung an allen staatlichen, kommunalen und privaten
Dienststellen auch Gelegenheit zur Verwaltungs
übung geboten werde.
Die den vorstehenden Hauptsätzen beigegebenen Er
läuterungen stimmen im -wesentlichen mit den von der
Abgeordnetenversammlung in Danzig gebilligten Leitsätzen
überein, sind aber nochmals durchgearbeitet und bringen
im einzelnen klare, bestimmte Anregungen, wie vorzu-
geheu wäre.
Zu Hauptsatz I. Die Technik ist ein so wichtiger
Faktor des Kulturlebens geworden, daß die hergebrachten
Einrichtungen, namentlich der öffentlichen Verwaltungen,
unzulänglich sind, eine Umwandlung dringend erfordern.
Allmählich wird die Umformung eintreten dahin, daß in
der Verwaltung dem Rechtskundigen, dem Wirtschafts
kundigen und dem Sachkundigen grundsätzlich gleich
wertige Befugnisse eingeräumt werden. Keine der drei
Gruppen mit einer zur Alleinherrschaft berechtigenden
Vorbildung; die Entwicklung muß lehren, inwieweit die
Angehörigen einer Gruppe sich Geltung verschaffen. Zu
den leitenden Stellen wird berufen sein, wer auf einem
der drei Gebiete vollwertig ausgebildet, aber den beiden
andern nicht völlig fremd und so freien Geistes ist, daß er
Ansprüchen, die nicht aus dem eignen Fachgebiet hervor
gehen , vorurteilslos gegentibersteht. Architekten und
Ingenieure erkennen selbst an, daß sie in der Lust des
technischen Neuschaffens ihre Aufgabe fast nur im Kon
struieren und Bauen erblickt haben, die Weiterentwick
lung und Ausnutzung ihrer Werke aber fremden Händen
überlassen und infolgedessen die Beziehungen ihres Handelns
zu der Gesamtheit unsers Kulturlebens oft aus den Augen
verloren haben. Dies zugestehend, dürfen die Architekten
und Ingenieure nun nicht in einen neuen Fehler verfallen,
daß sie sich ihrer Eigenschaften als Techniker entkleiden
und sich selbst den alten Verwaltungsformen gefangen
geben. Es erscheint daher nicht erstrebenswert, auf den
technischen Hochschulen eine neue Art von Akademikern
zu schaffen und durch eine Abschlußprüfung zu quali
fizieren, in denen das technische Bildungselement zu
gunsten der Kenntnisse auf dem Verwaltungsgebiet zu
stark zurückgedrängt wird. In dem gegenwärtigen Zeit
alter ist jede Verwaltung ein eminent technisches Geschäft,
und kein Anspruch, in einem Verwaltungsgebiete die
Leitung zu führen, ist berechtigter als derjenige des Sach
kundigen, weil die Form der Verwaltung nicht selbständig
gegeben ist, sondern dem Wesen der Sache entsprechen
muß. Architekten und Ingenieure fordern nicht üeber-
tragung ungerechtfertigter Privilegien auf sich selbst,
sondern nur Hinwegräumung von Vorurteilen und Frei
heit der Entwicklung für die Akademiker aller Berufs
stände. Sie beklagen am meisten, daß sie durch die
bestehenden, aller Technik wesensfremden Verwaltungs
einrichtungen verhindert werden, sich für den Eintritt in
ein neues Verwaltungssystem zu rüsten, dessen Einführung
nicht länger aufgeschoben werden kann und an dessen
Leitung die höhere Technik mitbeteiligt sein muß, wenn
es nicht ebenso unfruchtbar bleiben soll wie das bisherige.
Die nun folgenden Einzelanregungen und Forderungen
(zu Hauptsatz II und III) entspringen der vollen Ueber-
zeugung der Architekten und Ingenieure, daß sie in ihrem
eignen Kreise organisatorisch befähigte Kräfte besitzen,
die nur der Gelegenheit zur Ausbildung und Ausübung
bedürfen, um neue Verwaltungsorganisationen zu schaffen,
sich an ihrer Spitze zu halten und den von der Technik
aufgewühlten neuen Kulturboden zu vollem Ertrage zu
bringen.
Im einzelnen darf hierzu auf die erwähnte Denkschrift
hingewiesen und hier nur noch mitgeteilt werden, daß
von dem besonderen Ausschuß ein Arbeitsplan für die
Grundfrage ausgearbeitet worden ist, in welcher Weise
an den technischen Hochschulen den Disziplinen wirt
schaftlicher und rechtlicher Natur eine bedeutungsvollere
Stellung eingeräumt werden soll. Die Verhandlungen über
diese Frage werden aufgenommen werden, sobald man
auf Grund vorangegangener vertraulicher Verständigung
zu einer Einigung gelangt sein wurd. Weitere Anregungen
bleiben Vorbehalten. Der Verbandsvorstand ruft die Unter
stützung aller Einzelvereine und Mitglieder mit folgenden
Worten an:
„Wie aus allem dem ersichtlich ist, lassen es die
Organe des Verbandes nicht an Bemühungen fehlen, auf
Worte auch Taten folgen zu lassen. Diese können aber
nur dann zu einem erfreulichen Ziele führen, wenn auch
die Vereine und ihre Mitglieder sich der gemeinsamen