1. August 1914
BAUZEITUNO
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hervor. Das Bauwerk dreht sich unter der Wirkung von
K um den sogenannten momentanen Drehpunkt M; die
auf das Bauwerk wirkende Kräfteverteilung ist durch das
nebenstehende Schaubild gegeben. Die Kräfte Pi, Pz, Pa,
sowie der Abstand k sind unter zu Grundelegung der
beiden Bedingungsgleichungen für jeden einzelnen Fall
zu ermitteln: 1. Die Summe aller Kräfte P muß gleich
sein der Stoßkraft K. 2. Das Moment der Kräfte P und
der Kraft K in Bezug auf Punkt M muß gleich Null sein.
Aus diesen beiden Bedingungsgleichungen findet man
die Winkelbeschleunigung ^ und den Abstand k.
Was die Bauweise betrifft, so gelten folgende Haupt
sätze: Man stelle das Bauwerk auf möglichst festen und
ebenen Boden, die beste Fundierung ist auf anstehendes
Felsgestein, in der breiten Ebene. Man stelle das Bauwerk
möglichst so, daß die lange Seite des Baues auf das Epi
zentrum zuweist.
Man bilde das Bauwerk als ein zusammenhängendes
Ganzes aus; zum mindesten die Seiten, auf die der Stoß
senkrecht trifft. Man baue unten massig, nach oben zu
leichter; schwere Dächer oder große Nutzlasten in den
oberen Stockwerken sind besonders zu vermeiden.
Man richte die Deckenkonstruktion so ein und mache
sie so kräftig, daß die Decke eine gute Versteifung der
Wände gegeneinander bildet.
Man achte bei der Anordnung der Räume, Einteilung
der Flächen etc. besonders darauf, daß das maximale Mo
ment in der durch den Punkt M gehenden Geraden a — a
auftritt. Man schränke sich mit der Höhe des Bauwerkes
ein, soweit es nur irgend die Umstände erlauben, und ziehe
es vor, mehr in die Breite als in die Höhe zu bauen.
ln neuester Zeit sind die Amerikaner noch einen
Schritt weiter gegangen: sie fügen zwischen Fundament
und eigentlichem Bau eine trennende Fuge ein, entweder
in Form einer Gleitfläche oder eines paßend ausgebildeten
Kugellagers. Sie verfolgen hier das Prinzip, das auch beim
Seismographen zur Darstellung kommt, den eigentlichen
Bau während der Bewegung des Bodens möglichst unge
stört d. i. in Ruhe zu lassen, was er ja vermöge seines Be
harrungsvermögens zu tun bestrebt ist. Am besten hierzu
dürften die Kugellager geeignet sein, weil sie die Er
schütterung des Bodens auf ein Minimum reduzieren, und
weil sie außerdem es erlauben, die Größe dieses Mini
mums von vornherein innerhalb guter Grenzen anzugeben.
Die Stoßkraft wird dann nämlich = <p ■ G, wor bei guten
Kugellagern anähernd 0,002 und G das Gewicht des Bau
werkes ist. In der Praxis muß man natürlich einen anderen
Wert <p, also etwa das zehnfache = 0,02 nehmen, um auch
iden unvermeidlichen Ungenauigkeiten Rechnung zu tra
gen. Im ganzen kann bei dem Stand der heutigen Technik
gesagt werden, daß unter Berücksichtigung des oben Dar
gelegten und Anwendung eines praktisch konstruierten
Kugellagers Katastrophen wie in Messina vollständig ver
mieden werden können. Dipl.-lng. L. Kohl.
Von herabstürzenden Qerüstteilen
verletzt
sk. Der Neubau des Reichsbankgebäudes in der
Wilhelmstraße 12 in Posen war bereits vollendet und das
Gerüst entfernt, als sich im Dezember noch einige Klemp
nerarbeiten nötig machten, insbesondere das Anbringen
der Regenabflußrohre. Der Maurermeister Lud. Sichert,
der den Hauptteil der Bauarbeiten ausgeführt hatte, ließ
daher am 12. Dezember 1912 von seinem Polier Sieben
hahn nochmals ein Gerüst aufstellen, was dieser mit Hilfe
zweier Maurer besorgte. Es wurden an den Rüstbäumen
Streichstangen befestigt und darüber Gerüstriegel und
Laufbretter gelegt. Die Verbindung geschah durch Draht-
Seilverschnürung unter Verwendung von Haken und
Oesen. Am 13. Dezember arbeitete der Klempner bereits
auf dem Gerüste. In der Nacht zum folgenden Tage
herrschte ein furchtbarer Regensturm. Als der Klempner
am nächsten Morgen sich mit seinem Kohlenbecken schon
auf dem Gerüst befand, löste sich plötzlich ein Haken aus
der Oese und eine Streichbohle rutschte ab. Der Klemp
ner konnte sich durch einen Sprung ins Fenster vor dem
Absturz retten, die Laufbretter und das Kohlenbecken fielen
aber auf die Straße hinab und trafen den Hauptmann