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BAUZEITUNG
Nr. 17/22
Wiederaufbau der zerstörten Wohn
stätten in 0stpreut5en und im Elsaß.
Flugschrift des Deutschen Werkbunds.
Unter den architektonischen Aufgaben, die für Deutsch
land infolge des Krieges erwachsen, nimmt der Wieder
aufbau der durch den Feind zerstörten Ortschaften in
Ostpreußen und im Elsaß die erste Stelle ein. Die hier
zu leistende Arbeit ist zugleich so dringend, daß schon
jetzt mit den Vorbereitungen begonnen werden muß. Die
in Ostpreußen eingesetzte Kriegshilfs-Kommission hat
schon die ersten Schritte zur Lösung der Aufgabe getan.
Der Deutsche Werkbund erbietet sich, nach seinen
Kräften mitzuarbeiten. Er geht dabei von der Ueberzeug-
ung aus, daß bei diesen durch den Krieg unmittelbar
diktierten Aufgaben das Beste geleistet werden sollte,
dessen die deutsche Architektur fähig ist. Er ist sich
aber zugleich bewußt, daß dieses Beste, wie jede wirk
liche Leistung, nur aus der persönlichen Arbeit der Be
rufenen erwachsen kann, und daß alle Vorschriften, Kom
missionsbeschlüsse und Organisationspläne scheitern
Anspruchsvolle, innerlich Hohle genommen hat. Es ist
namentlich eine heute an vielen Orten gemachte Be
obachtung, daß der einfache Mann auf dem Lande
weit davon entfernt ist, die ruhige Würde der
alten, einfacheren, ländlichen Bauart zu schätzen,
vielmehr nach dem strebt, was er fälschlich als städtische
Eleganz empfindet. Auf diese Weise sind in den letzten
Jahren alte schöne Ortsbilder namentlich an solchen
Stellen immer mehr verschwunden, an denen eine neue
Baubetätigung Boden faßte, sei es, daß sie durch den
Fremdenverkehr, sei es, daß sie durch den Eintritt irgend
einer industriellen oder anders gearteten Entwicklung ge
weckt war. Es ist mit Sicherheit vorauszusagen, daß,
wenn eine eingehende Leitung und Lenkung der zu er
wartenden Bautätigkeit nicht eintritt, auch hier derartige
Zeichen von Ungeschmack und Unkultur aufgerichtet
werden.
Dabei ist selbstverständlich, und es bedarf kaum der
Erwähnung, daß es sich bei den im Großen und Ganzen
allereinfachsten Bauaufgaben nicht um Entfaltung jener
Aeußerlichkeiten handelt, die im Publikum noch vielfach
unter „Kunst“ oder „Architektur“ verstanden werden.
Tuchhalle zu Ypern; Inneres, Erdgeschoß, Südflügel.
Aus: „Die gotischen Handelshallen in Belgien und Holland“. Verlag: Duncker und Humblot, München.
müssen, wenn es an den geeigneten Persönlichkeiten
für die Einzelarbeit fehlt. Aus den bisherigen in der
Presse bekannt gewordenen Verhandlungen der Kriegs
hilfskommission geht hervor, daß dieser Gesichtspunkt
gewürdigt wird. Ihn trotzdem noch einmal zu betonen,
dürfte durch die Wichtigkeit der Aufgabe geboten er
scheinen. Die Schwierigkeiten, die beim Zustandekommen
eines Bauwerkes in den sich oft widerstrebenden Ansichten
der Beteiligten zu liegen pflegen, erfordern es jedoch, daß
dem mit der Einzelaufgabe betrauten Architekten auch
die volle Möglichkeit gegeben werden muß, das Gute
durchzuführen. Ein Fingerzeig zur Ueberwindung von
Hemmnissen ist in dem Umstand zu finden, daß die
Unterstüfzungsgelder für den Wiederaufbau vom Staate
gegeben werden. Gleichgültig, ob die Unterstützung im
Einzelfall nur einen Teil der Wiederherstellungskosten
ausmacht oder nicht, die Eigenschaft der Staatsgelder
schließt die Verpflichtung ein, daß das Geld in einer
der Kultur unserer Zeit würdigen Weise verwandt wird.
Dieser Umstand ist wichtig in einer Zeit, in der der Ge
schmack weiterer Kreise nicht nur unsicher geworden ist,
sondern z. Teil eine Richtung ins Ungediegene, Schreiende,
Wohl aber handelt es sich um jene vernünftige, wirtschaft
lich und technisch einwandfreie und dabei den Gesichts
punkten des guten Geschmackes Rechnung tragende
Tätigkeit, die wie die Verhältnisse liegen, heute nur von
den gebildeten Baukünstlern zu erwarten ist; denn die
jenigen ländlichen Bauinstanzen, welche das letzte Orts
bild gestalteten, nämlich die örtlichen Handwerker, sind
ohne Leitung heute leider nicht mehr hierzu in der Lage,
gerade von ihnen stammen die Häßlichkeiten her, die in den
letzten Jahrzehnten als „Entstellung unseres Landes“ aufs
Heftigste bekämpft werden mußten. Man täusche sich
nicht darüber, daß eine etwa eingesetzte Bauberatung die
Entwürfe und Bauvorlagen dieser Instanzen zum Guten
wenden könne. In der Grundlage schlechte Bauentwürfe
lassen sich nie zu guten umkorrigieren; es entsteht in
der Regel nur ein Flickwerk. Gerade bei der Eilbedürftig
keit des Wiederaufbaues der zerstörten Ortschaften könnten
sich hieraus nur verhängnisvolle Wirkungen ergeben.
Der Deutsche Werkbund ist der Ansicht, daß die
besten Kräfte aus ganz Deutschland (ohne Unterschied
ob sie Baubeamte sind oder nicht) ausfindig gemacht
und herangezogen werden sollten. Bedingung wäre aller