STUTTGART
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FÜR WÜRTTEMBERG
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SRSS-LOTHRINGEN-
Inhalt: Die Bedeutung der antiken Architektur,
beiten nach dem Selbstkosfenverfahren.
Die Ausführung von Notstandsar-
Vereinsmitteilungen.
Alle Rechte Vorbehalten.
Die Bedeutung der antiken Architektur.*)
Von Dr.-lng. E. Flechter, Professor an der Technischen Hoch
schule Stuttgart. Akademische Festrede, gehalten am 25 Februar
1918 in der Aula der Technischen Hochschule Stuttgart.
Die Grundlage und Urmutter aller Künste ist die Ar
chitektur. Sie formt den Schauplatz menschlicher Hand
lungen, von ihr verlangen wir, daß sie einen würdigen
Hintergrund bilde für das, was uns wichtig und wertvoll
ist. Wenn es schlecht um sie steht, fehlt es überall.
Wir brauchen, wie in den Höhepunkten früherer Kunst-
entwiklung eine führende Baukunst, die mit den anderen
Künsten in engstem Zusammenhang steht. Die jetzige
künstlerische Zersplitterung muß einmal wieder aufhören
und überwunden werden. Das ist aber nicht nur eine
Angelegenheit der Künstler, sondern ebensosehr der All
gemeinheit. Freilich sind Bilder und Figuren leichter zu
begreifen als Architektur; Museen und Sammlungen, u.
ein ausgedehnter kunstgeschichtlicher Unterricht unterstüt
zen Verständnis und Freude an Malerei und Bildnerei.
Der Sinn aber für das Räumliche, auf den es bei der
Architektur ankommt, ist leider noch wenig entwickelt.
Nur gebildete Architekten wissen, wie stark die Raum
vorstellung die Gestaltung der Einzelformen bedingt, und
nur wenige führende Meister haben in den letzten Jahren
mehr als eine „kunstgewerbliche“ Architektur geschaffen.
Und doch wird unsere Baukunst nur zu neuem Leben
aufblühen, wenn ein ganzes Volk durch gleichgerichtete
Gesinnung am Bau von Häusern und Städten mitwirkt,
und wenn ein einheitliches Kulturbewußtsein die Bau
meister trägt und fördert.
Was hat uns in diesem Gedankengang die antike
Baukunst zu sagen? Gewiß ist ihr großer Einfluß auf
alles bauliche Schaffen von mehr als 2000 Jahren ein
Phänomen, das nicht seinesgleichen hat. Es wird sich
also lohnen, zunächst das Wesen der antiken Baukunst
zu kennzeichnen, und ihren Ausstrahlungen bis in das
19. Jahrhundert nachzugehen, um nachher mit der Frage
nach ihrer Bedeutung vor die Forderungen unserer Zeit
zu treten.
Wenn wir von antiker Baukunst sprechen, tauchen
vor unserem geistigen Auge auf die Marmortempel der
Griechen und die Gewölbebauten der Römer; Ein Part
henon auf der Burg Athens, ein Pantheon oder ein Ko
losseum in Rom. An die ägyptische Baukunst denken
wir nicht, obwohl sie älter ist als alles Griechische und
Römische, weil sie für die nachantike Welt keine Be
deutung mehr gehabt hat. Ihre Bauwerke, aufgereiht am
Silberfaden des Nilstroms, sind Mumien im Wüstensand
geblieben; ihr Daseinszweck war zu Ende, ehe das Al
tertum versank. Und was an ungeheuren Resten das
•) Der Erstdruck erfolgte in der Beilage vom April des Staatsanz.
Zweistromland hinterlassen hat, rechnen wir auch nicht
zur antiken Bankunst schlechthin. Allein was Griechen
land und Rom geschaffen, was vom griechischen Säu
lenbau ergriffen ist, das gilt uns als antike Baukunst.
Nach dieser Begriffseinschränkung fragen wir nach
dem Wesen der beiden Gruppen. Die griechische Bau
kunst ist die ältere. Ihr vollkommenster und wichtigster
Typ ist der Tempel; er hat seinen einzigartigen Aus
druck im Säulenbau mit Giebeldach gefunden; wir fassen
ihn auf als ein verklärtes Dach für den Kulischrein, in
dem tief im Schatten das Gottesbild thront. Zwei ver
schiedene Sprachen reden der jonische und der dorische
Stil, einen Dialekt der korinthische. Aber alle drei hal
ten fest am einheitlich geschlossenen Säulenbau, der
dem griechischen Tempel ewige Schönheit verliehen hat.
Das Wollen der griechischen Künstler ging nicht auf
das Räumlich-Große, sondern auf größte Empfindlichkeit
der Form, auf feinste Durchbildung der Einzelheiten und
des Ganzen. Vom Schwankenden und Unbeholfenen,
vom Reichen und Willkürlichen führt die Entwicklung
zum gesetzmäßig Bewußten und Abgeklärten. Wille zur
Einheit und zur strengsten Ordnung geht durch alles
hindurch; selbst bis tief in die Fundamente hinein dringt
diese Ordnung, und weist dem Einzelsten seinen Platz
an. Ihr beugt sich alle ungezügelte Dekorationslust, alle
Neigung zu seitabführenden Besonderheiten. Die strenge
Zucht läßt das Persönliche zurücktreten, sie führt zum
Unpersönlichen, zum Typischen. Nichts Ungeformtes
oder nur Inhaltliches duldete der Grieche, alles mußte
innerlich fertige Gestalt haben. Darum faßte einer der
besten Kenner der griechischen Kunst das Griechentum zu
sammen unter dem Begriff: „Wille zur Form“. Nach selbst
geschaffener eigener Form strebte die griechische Kunst, die
griechische Religion, die Philosophie u. das politische u. per
sönliche Leben. Das ist der Ausdruck der griechischen An
tike. Sie ist eine Ausdruckskunst so gut wie die Gothik. Der
Ausdruck liegt aber nicht in der Bewegung, sondern in
der festgefügten Ruhe der Massen, er liegt in der klarsten
Fassung der einfachsten Vorstellung, in der zarten Anmut
und sorgfältigsten Durchbildung, in den Verhältnissen
von Kraft und Last, in dem ganzen Unfaßlichen einer
bis ins Letzte geordneten Bauweise, die doch über Ver
stand und Sinne Herz und Gemüt erfaßt, die den Stempel
des Ewigen trägt. Und von alledem hat die Renaissance
nichts gewußt und gesehen!
Wie anders verhält sich dagegen die römische Bau
kunst. Beim Tempelbau lehnte man sich am stärksten
an die griechischen Vorbilder an, aber die Säulenreihe
wurde zum Relief, das zitternde Halbdunkel des Umgangs
hinter den hellen Säulen ging verloren. Die Säulen
architektur trat als dekoratives Motiv ebenso auf an Bühnen