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BAUZEITUNG
Nr. 47/50
wänden und Theaterfassaden, wie an Hallen und Um
fassungsmauern; sie wirkte noch lange mit bei der Aus
stattung der schweren Ziegelbauten und gewölbten Säle;
aber zu einem einheitlichen Organismus ließ sie sich mit
den Raumformen der Römer nicht zusammenschmelzen.
So wurde die griechische Säulenordnung in der spät
römischen Zeit bedeutungslos — und in der byzantinischen
Baukunst endlich vollends bei Seite geschoben. Nicht
für feinste Formen und Abstufungen war Rom empfindlich,
sondern für Massenwirkung und gigantische Umrisse
empfänglich. Das entsprach dem Willen zur Größe.
Während in Griechenland also der künstlerische Wille
zur Form herrschte, war in Rom vorwiegend der politische
Wille zur Größe und Macht.
Jedoch nicht die griechische, sondern die römische
Antike hat in der Renaissance in Italien eine Wiederauf
nahme erlebt. Von ihr aber gerade das, was ursprüng
lich an ihr griechisch war. Die Formen des Säulenbaus
haben Brunnelleschi und Alberti übernommen. Einen
künstlerischen Einfluß übten zunächst die Gewölbebauten
nicht aus, das Pantheon vielleicht ausgenommen. Das
unübertreffliche Motiv der Säule und des tragenden Ge
bälks wurde allmählich zum herrschenden und ordnenden
Prinzip erhoben. Es wirkte von außen nach innen.
Ordnung in der Fassade verlangte Ordnung auch im
Qrundplan. Von der geteilten Wand kam man zum ge
gliederten Bau, bis zum völlig durchgeformten Organis
mus. Die zuerst dekorativ übernommene Formenwelt
führt zur ordnenden Gesinnung. Schönheit und Größe
waren künstlerische Ziele, der Ruhm ein nicht unbewußter
Urheber. Man wollte es dem Altertum gleichtun. Im
Vitruv glaubte man das ganze Altertum zu finden. Frei
lich verstand man ihn nicht; um so eifriger suchte man
nach dem Ideal. Bekannt ist Rafael’s Brief, in dem er
schreibt: »Ich möchte gerne die schönen Formen der
antiken Gebäude wieder finden, weiß aber nicht, ob mein
Flug nicht ein Ikarusflug sein wird. Vitruv gibt mir viel
Licht, aber nicht so viel als genug wäre.“ Es geht wie
in der Geschichte vom Schatz im Acker; Aus dem dauern
den Graben nach dem vermeintlichen Schatz erwuchs
ein Segen. Das suchen nach dem unbekannten antiken
Ziel führte zu einer neuen selbständigen Baukunst. Die
höchste Ausgeglichenheit erreichten Bramante, Rafael und
Peruzzi, eine Steigerung ins Gewaltsame führte Palladio
herbei, der alles in die Ordnung des Säulenbaues ein
zuzwängen versuchte. Michelangelo aber lenkte als Erster
bewußt ab vom Wege weiteren Suchens nach der antiken
Baukunst. Erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahr
hunderts tritt deutlicher das charakteristisch Römische
im Frühbarock in die Erscheinung: der Wille zur Macht,
jetzt zum Ruhm der Kirche und Päpste. Aus dem Macht
gefühl des katholischen Rom der Gegenreformation sind
die größten neuen Schöpfungen entstanden, die eine stolze,
fast übermenschliche starke Sttimmung an sich tragen.
Die antiken Architekturformen begleiten hier die Raum
formen trotz heftigster Bewegung inniger als in der
römischen Antike.
ln Frankreich bewirkte die Bemühung mit der
Renaissance eine völlige Umgestaltung der eigenen älteren
Baukunst. Das was die Italiener sich von der antiken
Kunst an Regeln zurechtgemacht hatten, das siegte schon
nach wenigen Jahrzehnten, verdrängte alles Mittelalter
liche, und begeisterte zu den höchsten Leistungen. Da
mit schuf Frankreich für die wachsende Macht des
Königtums den geeigneten Schauplatz in Schlössern und
Theatern, und wurde vorbildlich für das übrige Europa.
Bis an die äußersten Grenzen wurden die in den neuen
Anregungen liegenden Ideen verfolgt. Eine wachsende
Verfeinerung in’s zierlich Prächtige hinein ist echt fran
zösisch. Sie führt zu einem vornehmen, aber nicht kraft
vollen Barock.
Auch in England hat die antike Baukunst über Frank
reich von Italien aus ihren Einzug gehalten. Aber hier
siegte der Romanismus nicht auf der ganzen Linie, er
blieb mehr nur auf größere Bauten beschränkt. Das Wohn
haus verhielt sich gegen die regelmäßige strenge Form
ablehnend, die mittelalterlichen Gewohnheiten waren zu
stark. In der öffentlichen Baukunst aber fand die Schule
Palladios den größten Anhang. Ein äußerlicher, kühler,
aber großer Klassizismus wurde die repräsentative Form
für das mächtig wachsende Großreich.
Ganz anders wiederum war die Ausstrahlung der
antiken Bauüberlieferungen in Deutschland. Der Süden
griff rascher zu, im Norden und Westen blieb man länger
dem mittelalterlichen System treu. Denn noch im 17.
Jahrhundert wurden gothische Jesuitenkirchen gebaut.
Als man sich der Konsequenzen, die im Säulenbau liegen,
bewußt zu werden begann, war es eigentlich schon zu
spät. Die barocken Neigungen, von Oberitalien genährt,
hatten bereits den ganzen italienischen Formenapparat
in dekorativ freier Weise ergriffen, sie machten eine
Entwicklung zum strengen Stiel völlig unmöglich. So
ist denn der deutsche Barock (im Süden ist Oesterreich,
im Westen Nordbelgien und Holland, im Osten Böhmen
und Polen mit einzuschließen) zu einer Offenbarung
deutscher Eigenart geworden, die sich vom französischen
Barock stark unterscheidet. Am vollkommensten äußert
er sich in den Bauten Lukas von Hildebrandts, Balthasar
Neumanns, Daniel Pöppelmanns und des uns besonders
nahe stehenden Michael Fischer, der Zwiefalten und Otto-
beuren geschaffen hat. Man kann mit Scheffler den deut
schen Barock eine Renaissance der Gothik auf der
Grundlage antiker Formen nennen, denn es war eben keine
Renaissance im italienischen Sinn. Die inneren Nöte, die
Spaltung Deutschlands, Kriegszeiten uud Bedrängnis
schufen allgemeine Beunruhigung. In den Schlössern
und Kirchen spiegelt sich diese tiefe seelische Unruhe
in vielgegliederten Räumen und oft überreichen Formen.
Erst in der zweiten Hälfte 18. Jahrhunderts kommt über
Frankreich und England eine neue Welle antiker Anregung,
die nach dem starken Gefühlsausbruch des deutschen
Barocks kühl und ernüchternd wirkt. Nach einer Gene
ration französisch gebildeter Architekten schufen deutsche
Baumeister antikisierende Werke und eröffneten damit
die neuklassische Periode. Damals erst wurden auch die
Ruinen Griechenlands bekannt. Die Architekten gingen
nach Rom, Unteritalien und Sizilien, um römische und
griechische Vorbilder zu studieren. Ein meist düsterer
Dorismus, den man gerne als Revolutions-Stil bezeichnet,
machte bis nach Böhmen und Polen hinein Schule, aber
bevorzugter waren die jonischen und korinthischen Hallen
und Tempelfronten, die als immer wiederkehrendes Motiv
den Gebäuden große architektonische Wirkung sicherten.
Selbständig und zurückhaltend schalteten noch Wein
brenner und Schinkel mit den antiken Vorbildern; erst
Leo von Kleuze behauptete, alle nichtgriechische Kunst
sei barbarisch und baute Tempel als Ruhmeshallen und
Museen. So wurde die echte griechische Form zur
Formel. Das war Mißbrauch — war das Ende aller ge
sunden Weiterentwicklung.
Das ist in kurzen Zügen der Weg der antiken Bau
kunst durch die wichtigsten Länder Europas. Nur Griechen
land ist das klassische Land der Antike, nur dort war
die Säulenarchitektur ein wirklicher Stil, weil nur dort
die Einzelform für die Raumform den Ausdruck abgab.
Schon in Rom war sie etwas Uebernommenes. Die
Wiederaufnahme der Säulenarchitektur in der Renaissance
beschränkt sich fast nur auf das dekorative Gerüst, und
das bleibt mehr oder weniger als Leitmotiv wirksam bis
in unsere Zeit.
(Fortsetzung folgt.)