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BAUZE1TUNG
Nr. 51/52
schulen und der Behörden sein, davon Kenntnis zu neh
men und die vorhandenen Einrichtungen zu überprüfen.
Wir wollen uns hier nur über die Richtung unterhalten,
welche für die Erziehung der Architekten wichtig ist.
Und diese führt uns wieder auf die antike Baukunst
zurück.
Aber nicht, daß wir nun unbesehen wieder die alten
Motive des Säulenbaues zu maßgebenden Normen für
unsere Raumformen verwenden müßten. Das meinen wir
nicht. Die antike Baukunst soll uns vielmehr ein Spiegel
sein, darinnen wir am klarsten sehen können, was einen
Stil ausmacht. Gerade weil wir die Vollendung und die
typische Geltung des antiken Säulenbaus bewundern,
weil wir uns stets wieder von seinen Reizen angezogen
fühlen, gerade deshalb ist es unsere Pflicht als Lehrer
und Künstler, ihn genau zu kennen, sofern wir eben auch
große und dauernde Leistungen hervorbringen wollen,
was ich als selbstverständliches Ziel unseres • Streben
voraussetze.
Bei der Betrachtung der antiken Baukunst ergeben
sich für unser Schaffen mancherlei Richtlinien. Die wich
tigste ist; Großes und Größtes in der Baukunst ensteht
durch Stetigkeit, nicht durch ein Uebertrumpfen durch
neue Einfälle, durch Launenhaftigkeit und Phantasterei.
Aber gerade diese Eigenschaften kennzeichneten unsere
baulichen Leistungen vor dem Kriege fast ausschließlich.
Jeder versuchte an sich gleiche Aufgaben auf eine neue
Art zu lösen. Welch ungeheure Arbeit wird durch sol
ches Tun verbraucht, ohne daß in jedem Falle Befriedi
gendes geleistet wird. Wir haben uns fortwährend gegen
die Bildung von Typen gesträubt. Die antike Baukunst
lehrt uns aber, daß nur durch eine Verbesserung eines
bereits geschaffenen Typs, durch eine fortwährende, stets
neue ernsthafte Beschäftigung in der gleichen Richtung
ein vollendetes Kunstwerk entsteht. Es kommt also
nicht so sehr auf neue Erfindungen an, als auf ein sorg
fältiges Ausarbeiten und Weiterentwickeln des schon Ge
gebenen — eine Art künstlerische Z u ch t w a hl!
Nicht daß vielerlei Originelles geleistet werde, sondern
etwas wirklich Vollkommenes. Daß jeder bei uns am
eigenen Strick zog, geschah aus Eigenbrödelei; daß aber
auch wir fähig sind, uns auf ein künstlerisches Ziel zu
einigen, haben uns die Gotik und der deutsche Barock
bewiesen. Wir brauchen wieder künstlerische Selbstzucht.
Die Eigenbrödelei muß also überwunden werden können.
Sehr oft wurde sie aber auch eine Art Reklame der künst
lerischen Individualität — man sollte vom Publikum so
gleich erkannt und gebührlich beachtet werden. Daß dies
vom Uebel ist, lehrt uns neben dem traurigen Erfolg,
nämlich der chaotischen Unruhe unserer Straßen- und
Stadtbilder, wieder die Antike. Dort tritt die Einzel
leistung zurück hinter der Gesamtleistung. Es fällt schwer,
trotzdem uns viele griechische Architekten bekannt sind,
sie als Künstler in ihren Werken zu charakterisieren. Sie
haben sich alle der Gesamtordnung unterworfen und nur
durch Steigern und Ueberbieten des Vorhandenen, sei es
in den Verhältnissen oder in der Feinheit der Durch
führung, oder im Schmuck, oder in technischen Dingen
die früheren Leistungen zu übertreffen gesucht. Hätten
die Griechen so gebaut, wie wir bis vor dem Krieg, so
hätte es niemals eine antike Baukunst gegeben, die noch
nach zweitausend Jahren fortwirkt, und alles künstlerische
Tun nachhaltig beeinflußt. Der griechische Tempel stünde
nicht in ewiger Schönheit vor uns, wenn nicht Generationen
von Künstlern an seinem Werdegang gearbeitet hätten.
Aber man wird einwerfen: Wie soll das bei uns
möglich sein? Wir bauen nicht nur Tempel und Hallen,
oder vielleicht noch Theater und Wohnhäuser, wie die
alten Griechen. Unsere Bauaufgaben sind außerordent
lich vielseitig, kaum eine gleicht der andern. Nur beim
Wohnhaus mögen unter gleichen Bedingungen gleiche
Lösungen am Platze sein. Daß in unserer Zeit die Typen
bildung schwieriger ist, muß zugegeben werden, um so
wertvoller aber wird sie sein und um so notwendiger.
Beim Wohnhausbau ist eine gute Durchbildung von Typen
jetzt schon höchste Notwendigkeit. Aber selbst für viele
andere Bauaufgaben ließen sich in Anlehnung an Vor
handenes und Erprobtes Typen schaffen. Warum muß
jede Stadt wieder besondere Anforderungen an ihre Ver
waltungsgebäude, ihre Theater, an ihre Schulhäuser, ihre
Kirchen stellen, wo doch ihre Zweckbestimmung genau
auf den gleichen Grundlagen aufgebaut ist. War man
z. B. bei den an sich künstlerisch sehr unerfreulichen
Typen der früheren Theaterbaufirma Fellner & Hellmar in
Wien besser daran als heute, wo immer wieder neue Ver
suche gemacht werden, und man das Problem bald von
der Bühne aus, bald vom Zuschauerraum aus angreift?
Bei Spitälern und Krankenhäusern kommt man unter ähn
lichen Bedingungen immer wieder zu ähnlichen Lösungen.
Warum muß dann eine möglichst individuelle Fassade
darüber hinwegtäuschen? Die Antike lehrt uns also ein
Drittes: Die Notwendigkeit der Ty p en bildung im
Großen und im Kleinen. Sind Typen vorhanden, so können
sie von untergeordneten Kräften wiederholt werden, da
durch wird das Handwerk und die Herstellung guter Fabrik
ware gefördert. Das ist wirtschaftlich und sachlich wichtig,
denn nach dem Kriege werden wir sehr sparsam bauen
müssen. Die Typen aber werden von den Künstlern immer
wieder verbessert und neuen Verhältnissen angepaßt. Aber
noch mehr! Die Notwendigkeit der Typenbildung, die
künstlerisch und wirtschaftlich unbedingt zu fordern ist,
führt zur Beschränkung unserer Bauaufgaben. Statt diese
durch allerhand Nebenzwecke umständlich und künstlerisch
kaum lösbar zu machen, müssen wir sie vereinfachen,
das nicht zusammengehörende trennen, die Ansprüche
an allzuviel Möglichkeiten der Verwendung herabsetzen.
Ausstellungshallen, Konzertsäle und Speiseräume mit aller
nötigen Zubehör können niemals befriedigend unter ein
Dach gebracht werden. Die Klarheit der Raumanordnung
ist bei öffentlichen Gebäuden noch viel wichtiger als bei
privaten; sie muß oberstes Prinzip sein. Je überladener
die Bauaufgabe ist, um so unwahrscheinlicher ist eine
gute, allgemein verständliche Lösung. Zu fordern sind
deshalb möglichst eindeutige Bauaufgaben; nur sie lassen
sich zu einheitlichen Organismen ausbilden, die dann als
Typen wieder weiter wirksam sind. Denn nur äußerst
selten wird es Künstler geben, die auch vielseitigen Bau
programmen gerecht werden können. Was bisher an
großen Konzert- und Ausstellungshallen in den letzten
Jahren entstanden ist, beweist zur Genüge, daß mit der
Häufung von Zwecken unsere schönsten Bauaufgaben zu
Kompromißungeheuern geworden sind. Es gilt auch in
der Baukunst das alte Sprichwort: Divide et impera.
(Zerteil’ es erst, wenn du das Ganze beherrschen willst.)
Das einzusehen und darnach zu handeln ist Pflicht der
Architekten, aber auch Sache der Einzelpersonen und der
auftraggebenden Behörden. Weise Beschränkung und
größte Klarheit der Anordnung wird unsere baulichen
Leistungen auszeichnen müssen. (Schluß folgt.)
Zu dem Artikel: „Die Einführung der
geschlossenen Bauweise“
wird uns geschrieben:
ln Nr. 43/46 Seite 62 zweite Spalte Zeile 7—11
Ihrer Zeitschrift ist der Satz enthalten:
„Zwei benachbarte Gebäude müssen somit nach der neuen
Satzung mindestens 2X2 = 4 m von einander entfernt bleiben,
wogegen nach den bisherigen Bestimmungen ein Mindestgebäude
abstand von 2,4 X 0,6 bezw. von 2 X 1,5 = 3 m genügte.*
Dieser Satz könnte leicht zu der irrtümlichen An
schauung verleiten, als ob nach der neuen Satzung nun