1./28. Febr. 1917
IDTOMS
FÜR WÜRTTEMBERG
BHDEH • HESSEN - EI*
SHSS-LOTHRINGEN-
Inhalt: Der Weltkrieg und das Stilproblem deutscher Kunst. — „Kleines Landhaus“.
— Kleine Mitteilungen. — Vereinsmitteilungen — Aus Düsseldorf. — Bücher. —
Personalien. — Briefkasten.
Alle Kechte Vorbehalten
Der Weltkrieg und das Stilproblem deutscher Kunst.
Ein Blick in die Kunst- und Kulturgeschichte aller
Völker, nicht zuletzt des deutschen, lehrt, daß bedeutende
kriegerische Ereignisse allezeit in den Folgen begleitet
waren von umwälzenden Wirkungen auf dem Gebiete der
Stilauffassung und Stilbildung. Der Ausführung ging
logischerweise allezeit als eigentlicher Bahnbrecher das
gedruckte Wort voraus, das von den denkenden Männern
der ausübenden Baupraxis in den Werken derselben sich
niederschlägt als reife Frucht der Zeiterscheinungen. Das
Führende in der praktischen Betätigung liegt gerade in
der verständnisvollen Erfassung führender Gedanken
literarischer Bahnbrecher begründet. Im allgemeinen
neigt der Praktiker dazu, dem gedruckten Worte jeglichen
Einfluß abzusprechen. Es soll eben alles aus der ideellen
Begabung und Genialität unmittelbar heraussprudeln.
Führende Männer der Bauwelt trafen wir aber allzeit da
bei, den Geist der Zeit eines Volkes und seiner literarischen
Erzeugnisse auf sich wirken zu lassen und sogar selbst
zur Feder zu greifen.
So wurde um die Jahreswende von einem Stil und
Bauwesen durch umfassende Studien und praktische Be
tätigung beherrschenden (Die Baukunst, K. O. Hartmann)
Manne der deutschen Bauwelt ein Büchlein *) von schwer
wiegendem Inhalte geschenkt. Die Tatsachen der Jahr
tausende der Stilentwicklung der Völker bilden, im Zu
sammenhang mit deren Werdegang gesehen, die Voraus
setzungen, aus denen heraus von hoher Warte die Zeit
ereignisse für die Zukunftsentwicklung analitisch und syn
tetisch für das deutsche Empfinden im Weltkriege unter
sucht werden. K. O. Hartmann stellt zunächst in den
Stilwandlungen den Stand der angewandten Kunst vor
dem Kriege fest. Der Krieg selbst bildet den Abschluß
strich der Lehrjahre moderner deutscher Volkskunst. Den
Meisterjahren dagegen gilt die einfache Gegenüberstellung
der Stilforderungen und Irrungen, indem die Vermeid
ung der Irrungen die Jugend zur Erfüllung der Forde
rungen einer aus dem Volksgemüte herauswachsenden
deutschen Meisterkunst führen dürfte.
Entsprechend der philosophischen Wandlung von
Kant zu Schopenhauer, Nietzsche, Zola, Ibsen, Tolstoi u. a.
begrüßte die ganze deutsche Bauwelt die an sich bahn
brechend neuen Bestrebungen der Darmstädter Künstler
kolonie. Nietzsches populär gewordenes Sichausleben
des Einzelwillens sollte wie im philosophischen Geistes
*) Stilwandlungen und Irrungen von Oberregierungsrat Prof.
K. O. Hartmann, Stuttgart 1916, Verlag R. Oldenbourg, Berlin-
München.
leben auch im Kunstleben den Anfang zu einer gewissen
Art von Umkehr bilden. Hartmann benennt es Stilwand
lungen, die durchweg in Uebereinstimmung erfolgen mit
dem allgemeinen psychologischen Grundgesetzen mensch
licher Natur des einzelnen, wie der Völker. Dem reich
bewegten Jugendstil löst in schärfstem, kurzfristigem
Gegensätze der Stil puristischer Formensprache ab, die
nur von Material und Zweck abgeleitet sein soll, bezw.
Material und Zweck versinnlicht, nicht aber das bei allen
Völkern zu allen Zeiten sich findende schmückende Emp
finden. Die Erkenntnis, daß hier ein Kind mit dem Bade
ausgeschüttet worden ist, bezw. daß Materialechtheit und
Zweckmäßigkeit die realen Bedingungen für die ideale
Gestaltungskraft allezeit gewesen sind, führte bezeichnen
derweise wieder zu einer Annäherung an überlieferte
Kunstformen vorzugsweise an den Biedermeier- und Ba
rockstil.
Die Lehren der geschichtlichen Entwicklung behiel
ten ihr Recht in dem Sinne, daß gerade schöpferische
Genialität sich allezeit zwecks Betätigung seiner ihm
gewordenen geistigen Naturkraft auf die Ueberlieferung
gestützt hat. Im Ueberblick über das dem Krieg voraus
gehende Jahrzehnt stellt Hartmann fest, daß wohl im ein
zelnen recht Gutes geleistet wurde, daß aber infolge der
individuellen Einzelbestrebungen eine stilistische Oesamt
richtung im Sinne von Dauerwerten zu vermissen ist. Die
Stilwandlungen sind viel zu kurzfristig und schroff gegen
sätzlich, als daß eine volkstümlich bleibende Abklärung
von dauernden Stilformen entstehen könnte. Das Ziel der
deutschen Kunst darf nie ein solches sein, daß der Einzelne
für sich allein nach dem seinem eigensten Wesen ent
sprungenen Stil zum Sichausleben sucht. Wie auf allen
Gebieten ist auch hier entsprechend den großen Lehren
des Weltkrieges die Unterordnung der individuellen
Künstlerlaune unter das große gemeinsame Ziel eine
Grundforderung für zukünftig aufbauendes Kunstschaffen.
Was ist nun dieses große gemeinsame Ziel? Es ist
am besten gezeigt in der warmherzigen Sprache Hartmanns
selbst: Die Hauptaufgabe der angewandten Künste für
die allernächste Zukunft und noch auf weite Strecken
hinaus liegt darin nach der fruchtlosen Zeit der Wand
lungen und Irrungen das Nationale zu suchen und
herausbilden im Sinne des reinen Deutschtums. Sollten
die weltbewegenden Ereignisse nicht auch in unserem
Kunstleben eine Neuorientierung und Neuausrichtung der
Ziele herbeiführen, sollte der große Moment verpaßt wer
den für die Volkskunst des Deutschtums. Die Erziehung