Full text: Süd- und Mitteldeutsche Bauzeitung (1919/20)

Süd- und tllitteldeui 
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Heue Folge der Bauzeitung für Württemberg, Baden, Bussen, 
Flsaß-üothringen. 
Gegründet als Würtlembergisdie Bauzeitung im Jahre 1904. 
Inhalt: Italienische oder deutsche Arbeit. — Württ. Bauordnung. — Hauskläranlagen 
Bauart „OMS“ für Siedelungen. — Rundschau. — Vereinsmitteilungen. — Bücher. 
Alle Rechte vorbehilten. 
Italienische oder deutsche Arbeit. 
Ein Beitrag zur Massivbodenbelagsfrage. 
Wem sind nicht aus sagenhafter Friedenszeit die im 
Reiche aller Orten so zahlreich anzutreffenden italieni 
schen Unternehmer und Arbeiter jeder Art noch in ebenso 
eindringlicher wie wenig angenehmer Erinnerung? Wie 
viele gut national gesinnte Unternehmer haben die Hände 
gerungen ob der unentwegten Preisdrückerei der fremden 
Konkurrenten. Manch einer verfiel auf den Ausweg, sich 
der Mitarbeit des „billigeren“ italienischen Arbeiters zu 
versichern, um wenigstens der berüchtigten Geschäftsge 
wandtheit der Italiener etwas die Spitze bieten zu können. 
Das deutsche Baugewerbe vor allen Dingen weiß ein Lied 
von der wenig soliden Konkurrenz des biederen ehemali 
gen Bundesgenossen in allen Tonarten zu singen. Und 
unter den vielerlei Erscheinungen, unter denen der Italie 
ner auf dem Arbeitsgebiete des Baugewerbes auftrat, ist 
der Terrazzounternehmer und -arbeiter eine der bekann 
testen geworden. Bis endlich der Krieg uns nach und 
nach von dieser Errungenschaft deutscher Gastlichkeit, 
Freizügigkeit und Gewerbefreiheit befreite. 
Wohl ist die Frage berechtigt, wo die deutsche Ter 
razzoindustrie vor dem Kriege geblieben wäre, wenn sie 
diese Italiener nicht als Schrittmacher gehabt hätte. Be 
ginnt doch die ganze Entwicklung des Terrazzos aus dem 
Mosaikfußboden heraus in Italien, und gelangte erst 
durch italienische Arbeiter und Unternehmer nach 
Deutschland. Aus kleinsten Anfängen heraus hat sich 
diese einheimische Industrie gebildet, indem sie sich dieser 
anspruchslosen, arbeitsamen und gut geschulten Spezial 
arbeiter bediente. 
Welchen Umfang dieses Aufgebot von italienischen 
Unternehmern und Arbeitern nach und nach erreichte; 
welche Werte diese in ihre Heimat ausführten, geht aus 
einem Bericht hervor, der am 30. 8.1917 in der Handels 
kammer des Regierungsbezirkes Unterfranken erstattet 
wurde. Danach schätzte man allein den Wert der von 
italienischen Unternehmern aus Italien und Frankreich 
bezogenen Steinmaterialien auf 3,5 Millionen Mark jähr 
lich. Und nach einem sicherlich nicht vollständigen Ver 
zeichnis der deutschen Terrazzogeschäfte sollen anfangs 
1915 in den größeren Orten des Reiches von etwa 466 
Unternehmungen allein 271 in den Händen von Italienern 
gewesen sein. Noch eindringlicher wird das Ueberwiegen 
der letzteren aus einer Vergleichung der Mitgliederzahl 
der Vereinigung deutscher Terrazzogeschäfte deutlich. 
Danach waren von rund 190 Mitgliedern anfangs 1915 
nicht weniger als 148 italienischer Herkunft. Dabei muß 
man berücksichtigen, daß bei den wenigen deutschen 
Unternehmern- sich noch Kunststeinwerke, Fliesenge 
schäfte u. a. befanden, so daß die Zahl der im Hauptberuf 
für Terrazzo tätigen Unternehmer sich noch verringert. 
Aus diesen Zahlen kann man mit Sicherheit darauf 
schließen, daß die weit überwiegende Zahl der Terrazzo 
unternehmungen in den Händen von Italienern sich be 
fanden, die selbstredend nur Landsleute als Arbeiter be 
schäftigten, deren Gesamtzahl auf etwa 8000 geschätzt 
wurde. 
Berücksichtigt man, daß diese Unternehmer ihren Ge 
winn vielfach unter Zurücklassung trauernder Material 
lieferanten, nach Italien ausführten; berücksichtigt man 
ferner, daß sie in der Regel wirtschaftlich wenig leistungs 
fähig waren und der ordentlichen Garantiefähigkeit fast 
völlig entbehrten, so versteht man recht wohl, daß sich die 
Terrazzoindustrie seinerzeit lebhaft für die Fernhaltung 
dieser Unternehmer und Arbeiter einsetzte. Glaubte sie 
doch ans den heeresentlassenen und kriegsbeschädigten 
einheimischen Arbeitern mit deutschen Rohmaterialien den 
Ertrag des Terrazzogeschäftes im Lande halten zu können 
und gleichzeitig die wenig und einseitig in italienischem 
Geschmack entwickelte Technik heben zu können. Das 
war im Jahre 1917. 
Inzwischen kam jedoch das Ende des Krieges ganz 
anders als man es sich ausmalte. Die gesamte Erwerbs 
frage, die Lösung der Lohn- und Arbeitsfragen standen 
und stehen bis auf weiteres so im Vordergrund unseres 
volkswirtschaftlichen Interesses, daß man sich billig 
fragen muß, ob sich die Hoffnungen der deutschen Ter 
razzoindustrie auf Heranbildung eines bodenständigen 
Arbeiterstammes und auf die heute mehr als je erwünschte 
Fernhaltung fremder Unternehmer und Arbeiter auf die 
Dauer werden erfüllen lassen. Daß eine Rückwanderung 
italienischer Arbeiter bei der zunehmenden Arbeitslosig 
keit unerwünscht sein muß, bedarf keiner weiteren Be 
gründung. Wohl würde es manchen deutschen Unter 
nehmer geben, der seinen Nationalstolz und Feindeshaß 
der erhofften Lohnersparnis und damit größeren Kon 
kurrenzfähigkeit zum Opfer bringen gewillt wäre. Allein 
vorerst erscheint der Rückkehr dieser Leute schon durch 
den großen Unterschied zwischen der deutschen und 
italienischen Währung ein Riegel vorgeschoben. Die fast 
hoffnungslose Lage des Baugewerbes und der Baustoff 
frage, das Fehlen des für die Herstellung von Terrazzo 
lebenswichtigen Zementes verhindern die Wiederkehr 
besser als es je eine staatliche Verordnung hätte verhin 
dern können. Außerdem gibt es Leute genug, die dem 
Verschwinden der Italiener und des von ihnen hergestell 
ten Terrazzos keine Träne nachweinen. 
Hatte doch der Terrazzoboden — bei aller Billigkeit 
oder vielfach eben wegen seiner Billigkeit — mancherlei 
Mängel aufzuweisen. Die Neigung zur Rissebildung war
	        
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