I6../30 Juni 1920.
BAUZEITUNO
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melt die vielen Kräfte, die seither so zersplittert waren, zu
einer starken Kraft, die allein imstande ist, uns Staats
technikern die Geltung zu verschaffen, welche uns seither
vorenthalten war. Benachteiligungen, wie die Techniker
sich solche durch Juristen und Verwaltungsbeamte seither
gefallen lassen mußten, oder Hintansetzung sämtlicher
technischen Staatsbeamten, wie wir sie bei Schaffung der
neuen Besoldungsgesetze erleben mußt.en und noch müs
sen, werden durch unser geschlossenes Zusammenhalten
sicher wirksam bekämpft werden können. Außerordentlich
ernst ist die Zukunft, welcher wir entgegengehen, und
lauter denn je werden wir an die Mahnung erinnert:
Was irgend gelten will und walten,
Muß in der Welt Zusammenhalten.
Diese Mahnung wollen wir Staatstechniker beherzigen
und befleißigen und mit eiserner Willenskraft wollen wir
unsere Arbeit in dem neu gegründeten Verbände auf
nehmen. ;
Ein neues Attentat auf die Presse.*)
Aus Berlin, der Brutstätte allen wirtschaftlichen Un
heils, kommt die Nachricht, daß zum 1. Juli abermals eine
bedeutende Erhöhung des Papierpreises bevorsteht. Die
Klagen und Beschwerden der schwer um ihre Existenz
ringenden deutschen Presse haben also taube Ohren ge
funden, Die Reichsregierung sieht weiter untätig zu, wie
die profitgierigen Papierfabrikanten ihren Beutezug gegen
die Presse fortsetzen und, während die verantwortlichen
Stellen nach wie vor „prüfen“ und „erwägen“, eine Zei
tung nach der anderen in den Ruin jagen oder der Ver
trustung durch das Großkapital überantworten. Daß die
ses gewinnsüchtige Treiben, das angesichts der Riesen
dividenden, die die Fabriken verteilen, einem Verbrechen
an einem der wichtigsten Kulturfaktoren des deutschen
Volkes gleichkommt, darüber sind sich alle beteiligten
Kreise heute einig. Nachdem das Reichswirtschaftsmini
sterium, obwohl es eben erst durch ein dankenswertes
Schreiben des Abg.' Dr. Schlittenbauer in der kräftigsten
Weise aufgerüttelt worden ist; nach wie vor in seiner Un
tätigkeit verharrt, bleibt der Presse nur noch der Weg der
Selbsthilfe übrig. Bereits werden hier und da die Organi
sationen des Zeitungs- und Druckgewerbes aufgerufen.
Mit Recht. Verleger und Redakteure, Drucker, Angestellte
und Arbeiter müssen sich zusammentun, um der Schraube
ohne Ende endlich Halt zu gebieten. Und selbst vor dem
Aeußersten, der Einstellung des Erscheinens aller deut
schen Zeitungen, sollte nicht zurückgeschreckt werden,
wenn anders keine Aenderung zu erreichen ist.
*) Ich entnehme diese Ausführungen der Nummer vom 17. Juni
der Bayer. Staatszeitung. Es ist darin kein Wort zuviel gesagt.
Bittere Wahrheit ist es, daß, auf Kosten einer Groß-Kapitali ten-
Gruppe Tausende von mittleren Existenzen geliefert werden sollen.
Angesichts dieser hereinbrechenden Katastrophe wird man sich klar
sein müssen, daß unsere wirtschafilichen Verhältnisse sich ständig
verschlimmern müssen, wenn immer weitere werktätige Gruppen
ausgeschaltet werden. — Staat und Gemeinden dürften hinreichend
mit Arbeitskräften versorgt sein. — Es ist höchste Zeit, daß sich
das Reichswirtschaftsamt klar darüber ist, daß es die Verantwortung
zu tragen hat, wenn es zu dem bereits begonnenen Zusammenbruch
weiter zusieht, obwohl bei tatkräftigem Handeln längst Abhilfe
möglich gewesen wäre. Jeder Volksgenosse leidet mehr oder
weniger unter dieser Ausnützung — die Familienväter müssen
' heute für ihre Buben und Mädchen für ein minderwertiges Schul
heft Mk. 1.50 bezahlen. Die frage der Selbsthilfe geht also alle
an. Papier sparen! Briefumschläge z, B. können in vielen Fällen
entbehrt werden, wenn man die Briefbogen so zusammenlegt, wie
man es zu Großvaters-Zeiten getan hat.
Von den Lesern der Bauzeitung erwarte ich, daß sie es mir
glauben, daß es nicht möglich ist, für den festgesetzten Bezugs
preis mehr bieten zu können, zumal auch die Einnahmen des In
seratenteils seit geraumer Zeit in keinem guten Verhältnis zu den
Selbstkosten stehen.. Die Kriegszeit war gewiß eine, ohne Unter
brechung kritische Zeit für die Fachpresse, insbesondere der des
- Baugewerbes, aber damals hat man noch die Hoffnung auf bessere
Zeiten gehabt. Es ist anders geworden! Karl Schüler.
. Es handelt sich hier um Notwehr. Ungezählte Exi
stenzen stehen dicht vor dem Rande der Arbeits- und Brot
losigkeit. In ihrem Interesse schon muß gehandelt werden.
Und es gibt keinen anderen Weg, denn die neue Papier
preiserhöhung abermals auf die Leserwelt abzuwälzen,
wird kaum möglich sein, um so weniger, als schon die
letzten notgedrungenen Erhöhungen der Bezugspreise
und Anzeigengebühren überall auf starken Widerstand
gestoßen sind. Dividenden von 25, 30, 40, ja 100 und
mehr Prozent, wie sie die Papierfabriken verteilen, lassen
sich heute in keiner Weise rechtfertigen. Sie sind eine der
Gesamtheit des Volkes auferlegte Privatsteuer, gegen die
entschieden protestiert werden muß. Genau so, wie gegen
die Untätigkeit des Reichswirtschaftsministeriums, der
gegenüber die schärfste Kritik noch zu gelinde wäre.
Der Abg. Dr. Schlittenbauer hat mit erfrischender Offen
heit den Finger auf die Wunde gelegt, als er nach einem
zahlenmäßigen Hinweis auf die Preissteigerungen und auf
den Wucher und das Schiebertum mit Papier in seinem
Schreiben an das Reichswirtschaftsministerium unter an
deren ausführte:
„Und diesen Zuständen schaut das Reichswirtschafts
ministerium mit verschränkten Armen zu und behauptet
noch, daß die Preisbildung auf dem Papiermarkt von
ihm aufmerksam verfolgt werde! Da möchte man eher
glauben, daß ein Blinder mit Aufmerksamkeit verfolgt,
was er nicht sehen kann; denn wenn das Reichswirt
schaftsministerium sehend wäre, dann könnte es doch
unmöglich die neue Preiserhöhung des Ringes der Pa
pierfabrikanten dulden. Der Raubzug der Papierfabri
kanten hat sämtliche Zeitungen gezwungen, schon ab
Juni zu neuen Preiserhöhungen zu greifen. Sie konnten
nicht einmal mehr den Quartalswechsel abwarten. Ist
denn die Not der Papierfabriken, die Dividenden von
solcher Riesenhöhe verteilen, so groß, daß die Herren
nicht einmal bestimmte Termine angeben können, von
welchem ab, eine Preiserhöhung wirksam sein wird?
Ist sie so groß, daß sie ihre Preiserhöhung sogar mit
rückwirkender Kraft ausstatten müssen? Ist das nicht
ein Verfahren, welches der Presse und den Verlagen
überhaupt jeden Kalkül vollständig unmöglich macht?
Wenn das Reichsernährungsministerium dieses die
Volkswirtschaft zerrüttende System, Preise mit rück
wirkender Kraft auszustatten, auf dem wichtigen Ge
biete des Handelsdüngers hat abschaffen können, warum
kann denn das Reichswirtschaftsministerium diesen gro
ben Unfug nicht auf dem Gebiete der Papierversorgung
beseitigen ?
Die hier an die verantwortliche Regierungsstelle ge
richteten Fragen ließen sich noch vermehren. Und jede
einzelne müßte wie eine Anklage wirken. Leider ist nach
den gemachten Erfahrungen nicht zu erwarten, daß sie
irgend eine Wirkung im Sinne eines unverzüglichen Ein
greifens der Regierung gegen, diese Preistreiberei haben
werden.. Also bleibt nur Selbsthilfe übrig. Die Verant
wortung aber trägt das Reichswirtschaftsamt.
Rundschau.
Württembergischer Ingenieurverein. In der Sitzung
vom 20. Juni hielt Herr Dr.-Ing. Moser von der Firma
Friedr. Krupp, in den Kaiserbau-.Lichtspielen, welche von
dem Besitzer, Herrn Ingenieur W ö r n e r kostenlos zur
Verfügung gestellt waren, einen sehr interessanten Vor
trag über die „Erzeugung und Prüfung zahlenmäßig be
stimmter Fertigkeitseigenschaften des Stahles“. Der Vor
trag ist einer Reihe entnommen, die mit zahlreichen stehen
den und Laufbildern ausgestattet, bestimmt sei, Ingenieu
ren und Kaufleuten der Firma Friedr. Krupp ein Bild zu
geben, wie dem Stahl bestimmte Eigenschaften, über die
durch seine chemische Zusammensetzung gegebenen
hinaus, verliehen werden können, ferner wie die Prüfung