BAUZEITUNO
Nr. 29/30
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Verein staatl. gepr. Badischer Baumeister, Karlsruhe. (Schluß)
Der Satz: „Bezüglich der praktischen und künstlerischen
Tätigkeit der Gewerbelehrer in den Ferien dürfte der ehe
malige Direktor der Baugewerkschule, Oberbaurat Kircher,
Kronzeuge sdn“, soll nur gestreift werden. Wir bezweifeln
die praktischexj'ätigkeit der Gewerbelehrer ja gar nicht, aber
über die Art der Tätigkeit haben wir unsere eigenen, in den
Leitsätzen ausgesprochenen Gedanken. An der künstlerischen
Tätigkeit zweifeln wir erst recht nicht, vielmehr anerkennen
wir auch diese. Wir wissen die guten Eigenschaften unsere r
Gegner wohl zu schätzen. Auch gehen wir nicht so weit, wie
die Oewerbeschulmänner Badens, die da glauben, sich selbst
erhöhen zu können, indem sie andere recht tief in den Schmutz
zu ziehen versuchen. (Siehe Denkschrift und Zeitungsartikel
des V. b. Q.) Daß aber Oberbaurat Kircher als Kronzeuge
präsentiert wird, dünkt uns sehr sonderlich, wenn wir be
denken. daß Kircher in Technikerangelegenheiten Zustände
und Verhältnisse in Baden schuf, die wahrlich in keiner guten
Erinnerung sind.
Was die weitere Frage betrifft: „Wie denkt sich denn ein
Werkmeister, ein gelernter Maurer z. B., seine Lehrertätigkeit
an einer Gewerbeschule, an welcher manchmal oft keine Mau
rer, dafür aber Schreiner, Schlosser, Schmiede, Blechner,
Schneider, Schuhmacher, Buchbinder, Buchdrucker, Schrift
setzer, Lithographen, Photographen, Maschinenschlosser, Uhr
macher, Feinmechaniker, Elektrotechniker, Küfer, Wagner,
Kleidermacherinnen, Putzmacherinnen, Drechsler, Bildschnitzer,
Konditoren usw. in bunter Mischung nach Bildung verlangen?“
so müßten wir eigentlich erstaunt sein über die vielseitige
Lehrtätigkeit des Gewerbelehrers in der Gewerbeschule, wenn
wir nicht selbst als Qewerbeschüler gesehen hätten, in was
die Lehrtätigkeit in verschiedenen der vorangeführten Berufe
bestünde. Wir wären dem Artikelschreiber sehr dankbar,
wenn er uns den Gewerbelehrer bezeichnen würde, der diese
zwei volle Dutzend, z. T. grundverschiedene Handwerke be
herrscht. bezw. lehren kann, die er in seinem Artikel aufzählt.
Vor lauter Nebensachen werden die Hauptsachen vergessen,
und in der Folge werden wir noch auf die Früchte zu sprechen
kommen. Doch soll in dem Ausdruck; manchmal Dilettanten
arbeit, vorläufig alles gesagt sein.
Weiter fragt man in der „Gewerbeschule“: Wo haben
denn die Werkmeister jene allgemeine sprachlich-mathematisch
naturwissenschaftliche grundlegende Bildung geholt, welche sie
allein befähigen würde, innerhalb eines Jahres als Erzieher die
psychologischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse und die
intuitive Einführung in das Wesen des Menschengeistes und
der Menschenseele und als Lehrer die methodisch-didaktischen
Grundlagen und Erfahrungen der Lehrgebiete des gesamten
werktätigen Bildungswesens sich zu erwerben? Nur die völ
lige Unkenntnis der den Qewerbeschülern im heutigen Wirt
schaftsleben zugewachsenen Aufgaben kann die Werkmeister
zu dem gestellten Ansinnen ihrer Verwendung als Gewerbe
lehrer verleitet haben, andernfalls müßten wir dieses als eine
Kühnheit sondergleichen bezeichnen, usw.
Wir antworten fragend: Wo hat denn der Gewerbelehrer
all das her, was er zu haben glaubt und von uns wissen
möchte? Man könnte beinahe meinen, der Gewerbelehrer wäre
als Meister aus dein Himmel gefallen, wenn man nicht wüßte,
daß der Geist des Seminars um ihn und durch die Zeilen weht.
Hat nicht auch der Gewerbelehrer erst nach und nach erlernen
bezw. sich aneignen müssen, was der Werkmeister erlernen
will in ihm zu gebenden Unterricht in Pädagogik, Qewerbe-
kunde, Qewerbeschulpraxis und durch Selbststudium? Es sei
hier nur ein Fall von den vielen bekanntgewordenen heraus
gegriffen; Ein Bauwerkmeister traf vor Jahren mit einem be
freundeten Gewerbelehrer (einer der derzeit geistigen Führer
der Gewerbelehrer, vielleicht sogar der Artikelschreiber) auf
der Straße zusammen. Die beiden Herren begrüßten sich, und
der Bauwerknieister fragt den halb aufgeregt, halb erwartungs
voll dreinschauenden Gewerbelehrer, wohin er gehe. Der Ge
werbelehrer antwortet: „Denken Sie, ich muß von morgen ab
die Friseure unterrichten. Von Frisieren habe ich aber bis
heute noch nichts gesehen und gehört, und ich will mir deshalb
jetzt ein Buch über dies Kapitel kaufen und es studieren, damit
ich wenigstens eine Ahnung vom Frisieren habe.“ Die Ge
werbelehrer wissen ebensogut wie wir, daß in keiner Anstalt,
heiße sie. wie sie wolle, die Einführung in alle bestehenden Be
rufe erfolgen kann und daß sich der Einzelne, sei er nun Be-
i nfsgewerbelehrer odei Technikergewerbelehrer, durch Selbst
studium anzueignen hat, Was er im gegebenen Fall als Lehrer
wissen muß.
Wenn man die Denkschrift der Oewerbeschulmänner, die
«ntwort in der „Gewerbeschule“, sowie einen Artikel in der
Nr. 66 des Volksfreundes vom 19. März 1920 liest, muß man
allen Ernstes glauben, daß eigentlich nur der Berufsgewerbe
lehrer imstande ist, gewerblichen Unterricht zu geben und zu
beurteilen, was und wo es an den technischen Schulen fehlt.
Noch nicht einmal die Lehrer an der Baugewerkschule werden
für fähig erklärt, über die Gewerbeschulen urteilen zu können,
bezw. zu dürfen. Und wer gerade anders als der Lehrer an
der Baugewerkschule ist in der Lage, ein zuständiges Urteil
über die Leistlingen an den Gewerbeschulen abgeben zu
können?
Die Tatsache, daß ein großer Teil der in die Baugewerk
schule eintretenden Qewerbeschüler keinen vernünftigen Strich
zeichnen kann, viel weniger aber noch in der geometrischen
Darstellung eines Körpers Bescheid weiß, dafür aber von Ent
würfen und Kostenanschlägen für Villen usw. faselt, in Wirk
lichkeit aber auch hiervon nichts weiß, berechtigt den Aus
spruch de Direktion der Baugewerkschule (jetzt Staatstech
nikuni); Erschein uns schon die heute übliche Ausbildung der
Gewerbelehrer, die Gefahr der Heranzüchtung eines viel zu
vi Iscit'jäcn Dilettantismus nicht genügend zu vermeiden, so
will uns die von den Qewerbeschulmännern erstrebte Verle
gung ihrer Ausbildung an die Hochschule als nicht nur unzweck
mäßig, sondern im höchsten Grade gefährlich erscheinen. Nicht
der wissenschaftliche Ingenieuer, sondern der mit dem Hand
werk in engster Fühlung aufgewachsene Techniker wird der
richtige Gewerbelehrer sein.
Wenn die Gewerbelehrer in der „Gewerbeschule“ sagen:
Zufolge des geplanten Aufbaues des gesamten Unterrichts-
wt-st ns nach der hi ueiNschuhdee ua't za erwarten sein. d-B künf
tighin auch den Begabten aus der technischen und werktätigen
Praxis die Möglichkeit gegeben wird, sich alle jene Eigenschaf
ten zu erwerben, welche die Befähigung für den Lehrer- und
Erzieherberuf an Gewerbeschulen umschließen: so geben sie
wenigstens zu, daß später die begabten Techniker Gewerbe
lehrer werden können. Doch glauben wir aber die Ansicht der
Gewerbelehrer kaum ernst nehemen zu können, daß die
Menschheit im Zeitalter der Einheitsschule begabter und besser
geeignet für den Qewerbelehrerberuf ist als die ei jeizizeit.
Zudem haben wir in unseren Eingaben und Besprechungen
immer ausdrücklich betont, daß wir die Befugnis, Gewerbe
lehrer werden zu können, nur für die besten Absolventen ver
langen, so daß also von einer „Förderung der Unbegabten, in
dem zweifellos gerade die in der technischen Praxis nicht er
folgreichen Nur-Techniker sich dem rettenden Hafen, Qewerbe-
schuldienst, zuwenden würden“, in keinem Falle gesprochen
werden kann. In umfangreichen und ebenso gelehrt klingenden
Ausführungen haben also die Gewerbelehrer versucht, dem
mittleren Techniker die Fähigkeit und das Recht, Gewerbe
lehrer zu werden, abzusprechen.
Interessant ist nun aber auch, zu hören, wie der Artikel
schreiber die Baugewerkschullehrer beurteilt. Er meint, die
Herren sollten eigentlich aus eigener Erfahrung wissen, daß
gerade die Anpassung des Unterrichts an das Fassungsver
mögen der Schüler ein Ergebnis höchster Erziehungskunst ist
und so weiter . Wenn dies die Herren nicht einsehen sollten,
so würden sich die Gewerbelehrer veranlaßt sehen, an Stelle
der Baugewerkeschullehrer mit abgeschlossener Hochschul
bildung ehemalige Absolventen der Baugewerkeschule zu Leh
rern und Professoren vorzuschlagen, und es folgt dann wört
lich: Ja, v/ir haben sogar die begründete Ueberzeugung, daß
so mancher technische Assistent der Baugewerkeschule und
ehemalige Baugewerkeschüler, der in engster Fühlung mit der
technischen Büropraxis steht, die Gabe besitzt, die Baugewerk
schulstudierenden (hierzu gehören auch die Gewerbelehrer
kandidaten) rationeller in die Praktiken und Schliche des tech
nischen Bürobetriebes einzuweihen, als so mancher „wissen-
scnaftliche Ingenieurprofessor“, der mit oder ohne einen viel
seitigen Dilettantismus es fertig gebracht hat, die Freude und
Lust am Lernen bei so manchem Schüler zu enöien
Was sagen die Gewerbelehrer mit diesem Satz? Genau
das Gegenteil von all dem, was sie eingehend zu beweisen
suchten. Durch eigene Worte haben sich die Herren, sagen
wir, die Artikelschreiber, denn es ist ja keineswegs anzuneh-
men, daß die gesamten badischen Gewerbeschullehrer mit den
Artikelschreibern einig gehen, Lügen gestraft. Hier ist nun
das eingangs zitierte Sprichwort wahr geworden: Lügen haben
kurze Beine: Mehr hierüber zu sagen, erübrigt sich.
Wie wir und die Lehrer an der Baugewerkeschule über
die Gewerbeschüler denken, dürfte aus vorstehend Gesagtem
ersichtlich sein.
Gleicher Meinung mit uns sind also die Lehrer der Bau-
gewerkeschnle, verschiedene Gewerbelehrer (siehe Qewerbe-
und Handwerkerzeitung Nr. 10, 1920), die Handwerksmeister,
und wir glauben deshalb, mit den von uns eingercichten Leit
sätzen kulturfördernd gewirkt zu haben.
Es wird deshalb Pflicht des badischen Ministeriums des
Kultus und Unterrichts sein, unsere Leitsätze in Erwägung zu
ziehen und unserem Antrag stattzugeben.
Die Heranziehung der Techniker zu Gewernelehrern wird
die notwendige Blutserneuerung im Gewerbelehrerberuf und
das Ergebnis dieser Anwendung sicher ein Gutes sein.
Verantwortlich: Karl Schüler, Stuttgart.