Full text: Süd- und Mitteldeutsche Bauzeitung (1919/20)

28. Februar 1919. 
BAUZEITUNG 
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geradezu einen Anreiz zum Nichtstun gibt. Sie tut es, 
weil sie fürchtet, die Gunst der Arbeitermassen zu ver 
lieren, ohne zu bedenken, daß sie damit dem gewerbe 
treibenden Mittelstand, der gerade jetzt für die Erhaltung 
unseres Wirtschaftslebens mindestens ebenso wichtig ist, 
jede Existenzmöglichkeit abgräbt. Was hilft es, daß für 
diejenigen Gewerbe, in denen die Arbeitsbedingungen 
durch Tarifverträge geregelt sind, diese Tarifverträge 
jetzt durch das Reichsarbeitsamt für gesetzlich erklärt wer 
den können, ein Abweichen davon zugunsten der Arbeit 
nehmer aber unter gewissen Voraussetzungen gestattet 
. wird. Es wird damit der Lohnsteigerungswut Tür und 
Tor geöffnet und der Arbeiterschaft ein Anreiz gegeben, 
sich über tarifliche Vereinbarungen ohne Bedenken hin 
wegzusetzen. Dem Arbeitgeber aber wird die Möglich 
keit genommen, seinen Betrieb wirtschaftlich gestalten zu 
können, insofern, als jede Berechnung der Betriebskosten 
unmöglich wird. Im Baugewerbe, das im Frieden schon 
ständig durch Lohnbewegungen bedroht war, muß eine 
solche Wirtschaftspolitik direkt verheerend wirken. Der 
Tarifvertrag, der während des ganzen Krieges von der 
Arbeitgeberschaft unter Zubilligung hoher Teuerungs 
zulagen aufrecht erhalten wurde, wird jetzt gerade von 
der Reichsleitung, die sich bisher mit aller ihr zu Gebote 
stehenden Macht für seine Innehaltung einsetzte, plan 
mäßig untergraben. Schon hat dieses Vorgehen weitere 
Kreise gezogen. Aus allen Teilen des Reichs kommen sei 
tens der Baugewerbetreibenden Klagen darüber, daß keine 
neuen Aufträge erteilt werden, daß sogar schon erteilte 
zurückgezogen werden, weil die Bauherren bei der Un 
sicherheit der tariflichen Vereinbarungen die hohen Kosten 
fürchten, die ihnen durch weitere Lohnsteigerungen er 
wachsen könnten. Aber auch die Weiterführung bereits 
begonnener Bauten ist ernstlich in Frage gestellt; denn 
durch die gesetzliche Einführung des Achtstundentages 
sind den Arbeitgebern ungeheure unvorhergesehene Kos 
ten erwachsen, nicht allein durch die dadurch bedingte 
Erhöhung des Stundenlohnes, sondern auch durch die 
verminderte Leistung. Denn es steht ohne Zweifel fest, 
daß jetzt in acht Stunden weniger geleistet wird, als in 
der gleichen Stundenzahl in normalen Zeiten. Die Minder 
leistung des einzelnen Arbeiters am Arbeitstage wird 
durchschnittlich auf 33 lj * Prozent gegen früher bewertet. 
Dem durchaus berechtigten Wunsch der Arbeitgeber, 
wenigstens die Mehraufwendungen, die durch den Weg 
fall zweier Arbeitsstunden entstehen, durch Verordnung 
den Bauherren in den Fällen aufzuerlegen, in denen alte 
Bauverträge durchzuführen sind, hat das Reichsdemobil 
machungsamt nicht stattgegeben. Es begnügt sich damit, 
die Arbeitsbedingungen der Arbeiter seiner Ansicht nach 
zu verbessern, ohne zu prüfen, ob eine solche Belastung 
von den davon betroffenen Arbeitgeberkreisen überhaupt 
getragen werden kann. Wo dies aber nicht der Fall ist, 
ist eben auch durch die Lohnerhöhung für die Arbeiter 
keine bessere Lage geschaffen. Auch im Wirtschaftsleben 
gibt es ein Gleichgewicht der Kräfte. Fast scheint es, als 
ob man für den gewerbetreibenden Mittelstand und seine 
Wichtigkeit nicht das geringste Verständnis mehr besitzt. 
Es wird nur noch Sozialpolitik zugunsten einer Klasse, 
der Arbeiter, gemacht. Selbst von gewerkschaftlicher 
Seite („Vorwärts“ Nr. 56) ist betont worden, daß dem 
Unternehmertum in rücksichtslosester Weise Arbeits 
bedingungen aufgezwungen werden, die wirtschaftlich zu 
den bedenklichsten Folgen führen müssen, und daß bei 
Fortdauer dieser Zustände ein Streik- und Aussperrungs 
verbot auf etwa zehn Jahre notwendig werden könnte. 
Was uns fehlt, ist ein Wirtschaftsdiktator, der, unbeein 
flußt von politischen Strömungen und gestützt auf eine 
machtvolle Regierung, der deutschen Wirtschaft zu neuem 
Leben verhilft und zunächst den unsinnigen Lohnerhöhun 
gen ein Ziel setzt! 
Verschiedenes. 
Wörttb. Kunstverein. N e u ausgestellt sind : Oel- 
gemälde von Otto Schwarz, Rottweil, Prof. U th, Schöne 
berg-Berlin, Prof. Theodor Lauxmann, Ignaz Kauf 
mann, Hilde Böklen, lulius Köhrer, Stuttgart. Graphik 
von August Hirsching, E. Benz, Stuttgart, Helene 
Broxner, München, F. Eble, Schw. Hall. 
„Der Stuttgarter Künstlerbund“ veranstaltet in den 
Räumen des Württb. Kunstvereins, Kunstgebäude, während 
den Monaten März und April seine II, Frühjahrsschau, 
enthaltend Werke der Malerei, Graphik, Bildhauerei und 
Architektur. 
Kirchheitn u. T, Der Gemeinderat hat unter 51 
Bewerbern Stadtbaumeister Maier von Metzingen zum 
Stadtbaumeister gewählt. 
Aufhebung des vereinbarten Mietpreises im Vermie 
tungsrecht. Eine wichtige Entscheidung hat das Ham 
burger Mietamt gefällt. Der Mieter hatte vom 1. April 
1916 ab auf drei Jahre fest gemietet und sich nach Ablauf 
dieses Vertrages ein Vermietungsrecht zu 1600 Mark auf 
weitere drei Jahre Vorbehalten. Da die Unkosten und 
Lasten des Grundeigentümers in den letzten Jahren er 
heblich gestiegen sind, so verlangte der Vermieter vom 
1. April 1919 ab 1850 Mark Miete. Als der Mieter diese 
Erhöhung nicht bewilligte, kündigte der Vermieter die 
Wohnung zum 1. April 1919. Dagegen erhob der Mieter 
Einspruch beim Mietamt, das die Kündigung aufhob und 
dem Vermieter zunächst auf ein Jahr vom 1. April 1919 
ab 200 Mark Miete mehr zusprach. In den Gründen zu 
dieser Entscheidung führt das Mietamt aus, daß sich der 
Mieter auf dieses Vermietungsrecht wenigstens zum Preise 
von 1600 Mark in Anbetracht der durch die Länge des 
Krieges veränderten Verhältnisse nicht berufen kann. Der 
Vermieter forderte 250 Mark Miete im Jahr mehr mit 
Rücksicht auf die gesteigerten Kosten. Der Mieter war 
zu einer Mehrzahlung von 100 Mark bereit und erklärte, 
ein jährliches Einkommen von 8000 Mark zu haben. Es 
müsse ein billiger Ausgleich gefunden werden. Das Miet 
amt erachtete eine Erhöhung der Miete um 200 Mark für 
einen solchen Ausgleich. 
Gegen die Vergesellschaftung der Hypothekenbanken. 
Die Hypothekenbanken haben eine Eingabe an das Reichs 
wirtschaftsamt gerichtet, in der sie sich sehr energisch 
gegen die Vergesellschaftung der Banken wehren. Die 
Hypothekenbanken hätten durchaus keine monopolistische 
Stellung, da der Hypothekarkredit noch von vielen anderen 
Einrichtungen, Versicherungsunternehmungen, Sparkassen 
usw. befriedigt werde. Ganz besonders stark seien daran 
die Lebensversicherungsgesellschaften beteiligt, und bei 
der steigenden Entwicklung des Versicherungswesens 
müsse man damit rechnen, daß die Hypothekenbanken als 
Geldquellen immer mehr in den Hintergrund gedrängt 
würden. Fehle aber der Geschäftstätigkeit der Hypotheken 
banken der kapitalistisch-monopolistische Charakter, so 
könne doch nur dann einer Vergesellschaftung derselben 
das Wort geredet werden, wenn begründete Annahme vor 
handen sei, daß sie zum Nutzen der Allgemeinheit von 
einer lebhafteren sozialen Auffassung, geleitet werden 
könnten. Das Aktivgeschäft der Hypothekenbanken sei 
das Ausleihen von Kapital. Dieser Aufgabe widmen sich 
die 38 Hypothekenbanken mit einer auf langjährige Er 
fahrung gestützten Sorgfalt unter Heranziehung eines 
mühsam ausgewählten Agenten- und Sachverständigen 
netzes. Gerade jetzt, wo es darauf ankomme, jeden wich 
tigen Zweig des Wirtschaftslebens mit vollen Kräften neu 
zu beleben, würde es ein Unglück sein, wenn man in 
dies weitverzweigte Netz wirtschaftlicher Arbeit durch 
ein in seiner Wirkung unübersehbares Experiment ein- 
greifen wolle. Namentlich dort, wo die Hypothekenbanken 
mit den Kreditbanken vereint als sogenannte gemischte 
Banken wirken, würde durch die Vergesellschaftung der
	        

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