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beiter aus allen Zukunftsverheißungen des sozialistischen
Evangeliums nichts herausgelesen, als die irreführende
Parole; Mehr Lohn und weniger Arbeit. Die Revolution
mit der Lösung aller Bande der Ordnung, die sie im Ge
folge hatte, hat ihm dazu verholfen, diese Parole in die
Tat umzusetzen, und das Ergebnis ist ein Nachlassen der
Arbeit und ein Sinken der Erzeugung, das uns an Gütern
immer ärmer macht und, indem es die Preise jeder Ware
in die Höhe treibt und auch die Ware Arbeit immer teurer
macht, zugleich zu unserer Zahlungs- und Wettbewerbs
unfähigkeit im Auslande führt, was dann infolge des
Mangels an Rohstoffen abermals auf unsere Wirtschafts
lage daheim verhängnisvoll zurückwirkt. Das gesteigerte
Lohnbedürfnis und die verweigerte Arbeit treiben uns dem
Abgrunde der Verarmung und Verelendung immer näher,
und noch hat sich kein Lenker gefunden, der den auf
schiefer Ebene gleitenden Wagen unserer Wirtschaft von
dem sicheren Sturz mit fester Hand zurückreißt.
Es ist traurig, daß weit und breit kein Arbeiterführer
zu sehen ist, der dasselbe Maß von Beredsamkeit und
Scharfsinn, das einst der Verbreitung einer trügerischen
Irrlehre und ihrer Einhämmerung in die Gemüter ge
widmet wurde, der Aufgabe zuwendet, das deutsche Volk
aus höchster Gefahr zur Besonnenheit und Vernunft zu
rückzuführen. Die Mehrheitssozialdemokratie mahnt in
ihren Blättern ebenfalls theoretisch dazu, doch die prak
tische Bearbeitung von Mann zu Mann, von Angesicht
zu Angesicht in den Werkstätten und Fabriken fehlt. In
bürgerlichen Blättern findet sich manch gutes Wort zur
Bekämpfung des Wahnsinns, der die Arbeiterschaft erfaßt,
aber immer bleiben es „Briefe, die sie nicht erreichten“,
Aufsätze und Reden, die nicht auf den Boden fallen, darin
sie Frucht tragen könnten.
In den Dresdener Neuesten Nachrichten gibt G. Vie
weg (Bremen) einen Beweis gegen die Irrlehre, Sozia
lisierung bringe fühlbare Arbeitsverringerung für den Ar
beiter bei besserer Lebenshaltung, der es wohl verdiente,
den mißleiteten Schichten mit aller Deutlichkeit eingeprägt
zu werden. Wenn der Bergmann, sagt er, der in einer
Schicht von acht Stunden bei guten Flözverhältnissen eine
Tonne Kohlen förderte, nur sieben Stunden arbeitet und
in diesen sieben Stunden 10 Mark mehr verdienen will,
als bei acht Stunden, so verteuert sich bei 15 Mark Grund
schichtlohn nach Adam Riese die Tonne Kohlen um 13.50
Mark. Die Ansprüche der am Transport, an der Ver
ladung, an der Verkokung der Kohle beteiligten Ar
beiter erhöhen diesen Betrag weiter bis zu der phantasti
schen Höhe der Kohlenpreise, die wir erlebt haben. Ent
sprechend und in abermals erhöhtem Maße verteuert sich
das Roheisen, und die Verteuerung aller Erzeugnisse
wälzt sich auf diese Weise lawinenartig wachsend weiter.
Alle Verbraucher, die die teuren Preise anlegen sollen,
fordern ihrerseits wieder Erhöhung ihres Einkommens
bezw. ihrer Preise, ihrer Löhne. Der Verbrauch wird
mehr und mehr eingeschränkt, die Arbeitslosigkeit wird
immer größer, die Arbeitszeit muß weiter verringert wer
den, um auch nur der gleichen Anzahl von Arbeitern
weiter Beschäftigung zu geben. Die Löhne müssen auf
der eingeschlagenen falschen Bahn weiter erhöht werden,
um bei verringerter Arbeitszeit das sogenannte Mindest
einkommen für den Arbeiter zu halten. Die Preise aller
Dinge und aller Arbeit erreichen eine Höhe, die jedermann
abschreckt und veranlaßt, Neuanschaffungen an sich not
wendiger Dinge zu unterlassen und zu versuchen, alle
Ausbesserungen und Reparaturen selbst auszuführen-
Der Bergmann, der streikt, um eine Stunde weniger
als Bergmann zu arbeiten, setzt sich zu Hause zwei Tage
je drei Stunden lang hin, um im Schweiße ungewohnter,
ungelernter Arbeit sich seine Stiefel selbst zu besohlen,
wofür ein gelernter Schuster nur zwei Stunden gebraucht
hätte, er zimmert einen Tag lang an einem zerbrochenen
Stuhl herum, für dessen Reparatur der Tischler früher
eine Mark verlangte, jetzt aber vier Mark, versucht, einem
steinigen Bauplatz eine Kartoffelernte abzugewinnen,
während wegen Arbeitermangel und nicht zu bezahlender
Lohnforderung große Flächen besten landwirtschaftlichen
Bodens nicht genügend ausgenutzt werden. Der Berg
mann baut sich selbst einen neuen Oartenzaun, einen
Stall usw. und macht sich so mit Arbeit, die er nicht ge
lernt hat und die ihm nicht von der Hand geht, das Leben
sauer. Derweil aber nimmt er seinem Arbeitskollegen in
anderen Gewerben die Arbeit, die jener haben könnte,
wenn er sie zu erträglichen Preisen leisten wollte. Bei
dem Schuhmacher, Tischler, Schneidermeister aber häu