16-/31. Juli 1919. BAUZEITUNG 85
Die rechtliche Bedeutung der Revolution für
laufende Verträge.
Eine Frage von allgemeinstem Interesse für die Kreise
der Industrie und des Handels ist es, ob vor dem 9. 11. 18
geschlossene Verträge nach dem Umsturz aller Verhält
nisse durch die Revolution noch zu den alten Bedingungen
erfüllt werden müssen. Das Hanseatische Oberlandesge
richt hat dies in einem Rechtsstreit verneint und daher fol
gende Begründung seines Standpunktes gegeben:
Die Sachlage hat sich durch die Revolution wesentlich
geändert. Vor allem durch die Aenderung der Arbeiter
verhältnisse und durch die Verschiebung des Einflusses,
den die Arbeiter auf den gewerblichen Betrieb erlangt
haben. Die eingeführten Tarifverträge bringen die wesent
liche Neuerung, daß gelernte Arbeiter nicht viel mehr er
halten als ungelernte; die Abschaffung der Akkordarbeit
vernichtet den Trieb, durch Fleiß mehr zu verdienen; auf
Fähigkeiten und Leistungen wird in der Lohnfrage nicht
mehr wie bisher Rücksicht genommen; der unbegabte und
nicht eifrige Arbeiter erhält genau denselben Lohn, wie der
intelligenteste und fleißigste. Dabei isf der Unternehmer
in der Wahl und Anstellung seiner Arbeiter nicht mehr
frei, sondern es wird ein weitgehender Zwang ausgeübt.
Eine energische Förderung der Arbeit ist somit den Unter
nehmern versagt; dazu kommt, daß die Arbeiterräte sich
in das Bestimmungsrecht über die Betriebsleitung einge
mischt haben; die Arbeiter haben das Recht, mitten aus
der Arbeit fortzulaufen, um den Arbeiterrat wegen ver
meintlicher Beschwerden anzurufen. Dazu kommt ferner
die Untersagung der Ueberstundenarbeit. So läßt sich
eine zielbewußte Betriebsleitung überhaupt nicht mehr
durchführen.
Rohrsteigleitungen ohne Muffen.
Der Mangel an Baustoffen, die hohen Arbeitslöhne
und sonstige bauerschwerende Erscheinungen, zwingen
den Techniker über die sparsamste Bauweise nachzu
denken, wenn es überhaupt noch möglich sein soll, das
Notdürftigste an menschlicher Unterkunft erstellen zu
können. Es sind schon eine Anzahl technische Neuerungen
geschaffen und wir werden uns damit abzufinden haben,
daß wir von jetzt ab uns auf andere Methoden einzu
stellen haben. So hat die Versuchsanstalt A. Wieland,
Aulendorf, als Neuerung Rohrsteigleitungen ohne Muffen
ausprobiert. Zunächst handelt es sich um Abortsteig
rohrleitungen aus Ton oder Asphalt. An Stelle der bisher
verwendeten Muffenrohre kommen glatte Rohre, die
stumpf aufeinandergesetzt und durch galvanisierte Doppel
rohrschellen mit einander verbunden werden. Dichtungs
material, wie Teerstricke und ähnliches, ist nach dieser
Konstruktion nicht mehr erforderlich. Als weitere Vor
teile sind zu nennen : Rohre ohne Muffen sind billiger
und leichter herzustellen und es können auch horizontal
abgebrochene Rohre verwendet werden. Eine Steigleitung
ohne Muffen nimmt bedeutend weniger Platz ein und es
erübrigt sich das Ausmauern der Röhrenfahrt.
Rundschau.
Handwerkerfragen im württ. Landtag. Der stellv
Vorsitzende der Handwerkskammer Reutlingen, Abgeord
neter Henne-Tübingen, hat im Landtag die folgenden drei
Anträge und eine Anfrage eingebracht: 1) Das Staatsmini
sterium zu ersuchen, in Bälde dem Landtag einen Gesetz
entwurf vorzulegen, durch welchen die Einhaltung der in
der Verfügung des württ. Demobilmachungskommissars
betr. Vergebung öffentl. Arbeiten während der Ueber-
gangszeit vom 17. Jan. 1919 enthaltenen Grundsätze bei
Vergebung von Arbeiten durch den Staat, die Gemeinden
und sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts auch
künftig gesichert wird. 2) Das Ministerium des Innern zu
ersuchen, dahin zu wirken, daß die Gemeindeverwalt
ungen veranlaßt werden, das anfallende Oemeindenutzholz
in erster Linie an das ortsansässige Handwerk nach dem
Vorgang der Staatsfinanzverwaltung zu angemessenen
Preisen abzugeben. 3) Das Ministerium des Innern zu er
suchen, dahin zu wirken, daß die Siedlungsvereine und
sonstigen gemeinnützigen Vereine, welchen zur Erbauung
von Wohnhäusern öffentliche Mittel zur Verfügung ge
stellt werden, bei der Vergebung von Bauarbeiten in erster
Linie das ortsansässige Handwerk berücksichtigen. 4) Ist
dem Herrn Arbeitsminister bekannt, daß das Elektro
installateur-Handwerk unter der Monopolwirtschaft der
Elektrizitätswerke ganz besonders leidet? Welche Maß
nahmen gedenkt der Herr Arbeitsminister zu treffen, um
dem Installateurhandwerk die Ausübung seines Gewerbes
besser zu ermöglichen und die Vorteile für die Allgemein
heit dieser zu sichern?
Baugewerkschule in Stuttgart. Das Winterhalbjahr
wird am 22. September beginnen. Es werden sämtliche
Klassen der Fachschule für Bautechniker, sowie die 1.,
III. Klasse der Fachschule für Vermessungswesen und
der Kulturtechnikerkurs geöffnet sein. Die Anmeldungen
haben möglichst frühzeitig, spätestens bis 15. August zu
erfolgen.
Badische Baugewerbeschule in Karlsruhe. Das
Winter-Semester 1919/20 beginnt am Mittwoch, den
15. Oktober. Bei dem zu erwartenden großen Andrang
sollten die Anmeldungen so früh wie möglich erfolgen.
Näheres aus der Bekanntmachung im Inseratenteil.
Wettbewerbe.
Stuttgart. Bei dem Wettbewerb zur Erlangung von
Vorschlägen für den Neubau einer Kinderkrippe
neben dem Kinderheim in der Birkenwaldstraße kamen die
Pläne von Karl und Friedrich Scheu mit dem Kennwort
„Rotes Kreuz“ in engere Wahl. Erwähnenswert ist ein
zweiter Entwurf von Karl und Friedrich Scheu mit dem
Kennwort „Notstandsarbeit“. Bei dem engeren Wettbe
werb für die R a t h a u s e r w e i t e r u n g kamen in
erster Linie die Pläne des Architekten Willy Graf mit dem
Kennwort „Abschluß“ in engere Wahl, ferner als beach
tenswerter Versuch die Küferstraße beizubehalten, der Ent
wurf der Firma Schlösser u. Weyrether mit dem
Kennwort „Küferhof“. Als dritter der Entwurf der Firma
Baurat K. H engerer mit dem Kennwort „Treppen
turm“. Der engere Wettbewerb für die Frauenar
beitsschulein der Ludwigstraße verlief ohne befriedi
gendes Ergebnis. Doch brachte der Entwurf von Architekt
W. Scheel mit dem Kennwort „Stadtbild“, dritter Vor
schlag, ferner die Pläne von Baurat W o 11 z mit dem
Kennwort „Im Mai II“, und der Entwurf von Architekt
H. Finkbein er mit dem Kennwort „Arbeiten!“ be
achtenswerte Anregungen. Bei dem engeren Wettbewerb
für die Gemüsehalle auf dem Marktplatz in Cann
statt konnten der Entwurf von Karl O e 1 k r u g und Karl
Lederer mit dem Kennwort „Notstandsarbeit“, als
zweiter der Entwurf von Julius Kocher mit dem Kenn
wort „Wochenmarkt“ in engere Wahl genommen werden.
Böblingen. Bei dem von der Stadtgemeinde ver
anstalteten Ideenwettbewerb zur Erlangung von Entwürfen
für eine Erweiterung des Stadtbauplans erhielt einen 1. Preis
die Regierungsbaumstr. Jost und F r e e s e, Stuttgart, einen
2. Preis Architekt Heinz Wetzei, Stuttgart und einen
3. Preis Prof. P. Bonatz und Arch. E. F. Scholer,