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Die Entstehung und Baugeschichte der Frauen—
kirche zu Dresden. *)
Unsere Altvorderen nahmen in ihren Städten und Dörfern
mit kleinen bescheidenen Wohnungen fürlieb, aber ihre Tempel,
der monumentale Ausdruck ihres Glaubens, zeichneten sich vor
allen anderen Gebäuden gar wesentlich aus. Denken wir an
das Mittelalter, an die prächtigen Dombauten und Kathedralen
des gothischen Stiles mit ihren himmelanstrebenden Thürmen, die
sich nach oben immer mehr und mehr verjüngen und zuletzt in
die Spitze auslaufen, auf welcher das Symbol des Christenthums,
das Kreuz resp. die Kreuzblume, anfgepflanzt ist, diese eben bezeich—
eten Bauten, was sind sie in ihrer Charakteristik Anderes, als die
monumentale Verkörperung der Stimmung, die sich ohne Weiteres
nach dem Scheitern der Kreuzzüge in der 2. Hälfte des 12. Jahr—
zunderts der Menschheit bemächtigte, nämlich die Stimmung in—
-Frünstigster Andacht und überzeuguüngsvollster Begeisterung. Hier
sieht man recht deutlich, wie die Architektur, wie die Bauart der—
artiger Kirchen ein charakteristischer Gradmesser, ein Spiegelbild
der zeitgemäßen Bildungs- und Stimmungszustände einer Nation,
»der einer bestimmten Zeitepoche sind. Dasselbe ist auch der Fall
nit unserer Dresdener Frauenkirche. Auch in unserer Stadt fand
m Ansang des 18. Jahrhunderts der Erbauer dieser Kirche zu
zleicher Zeit Gelegenheit, dem stark entwickelten protestantischen
Sinn des sächsischen Volkes und hier speziell der Dresdener durch
die Errichtung derselben einen wahrhaft monumentalen Ausdruck
zu geben. Der Schöpfer dieses Werkes hat es vorzüglich verstanden,
seinem Bau ein echt protestantisches Gepräge zu verleihen. Aber
velch' ein Gegensatz zu den gothischen Bauten zeigt sich in unserer
Frauenkirche! Da finden wir nichts von jener Auflösung der Materie,
aichts von jener luftigen und dünnen Konstruktion, wie sie der
Bothik eigen, sondern alles fest und bestimmt, massiv und schwer,
furz — sie zeigt die Wahrhaftigkeit des Materials, d. h. sie ist
eine echte Sieinkonstruktion und nicht wie in der Gothik die Ueber—
etzung eines fremden Materials. — Tausende und Abertausende
ind an diesem mächtigen und herrlichen Bau vorübergegangen,
Tausend und Abertausend haben in diesem hochgewölbten Dom dem
Bottesdienste beigewohnt, und so Mancher hat sich diesen Bau in⸗—
wendig und auswendig, von unten bis oben betrachtet und war
erstannt über die wunderbare Konstruktion und die Solidität des—
elben, ohne nur im Geringsten davon eine Ahnung zu haben, daß
nit diesem Bau auch die Leiden und Schicksalsprüfungen eines
Mannes zusammenhängen, welche sowohl durch die Ungunst der
Verhältnifse, als auch durch den Neid und die Mißgunst seiner
Zeitgenossen, der am damaligen Hofe weilenden Architekten und
Fünstlinge des Königs, hervorgerufen wurden. Der Verfasser des
„augeschichtlichen Theiles in dem Werke „Die Bauten von Dresden“
iennt die Baugeschichte der Frauenkirche den fortwährenden Kampf
eines Künstlerwohles mit der Beschränktheit, ein Martyrium des
Erbauers, das erst mit seinem Tode endigt. Dieser Kampf, den
ins die Baugeschichte der Frauenkirche zeigt, entwickelt sich in einem
Prozeß, wie er selten einem Bau zu Theil wird und den ich ihnen
zu schildern mir erlauben und versuchen will. (Es ist selbstverständlich,
—
auf Vollständigkeit machen kann.) In Bezug auf den Inhalt dieser
Arbeit stütze ich mich auf die archivalischen Mittheilungen und Vor—
esungen des Herrn Prof. Dr. R. Steche im Kgl. Polytechnikum
iber die Entwickelungsgeschichte der Künste in den sächsischen Ländern,
owie auf verschiedene geschichtliche und topographische Werke der
Thronisten wie Weck, Weinart, ferner auf Hasche's umständliche
Beschreibung der Stadt Dresden, desgl. dessen Magazin für sächsische
Geschichte, Freiberg's Historie der alten Frauenkirche, die Drsdener
Merkwürdigkeiten, Klemm's Chronik und die „Nachrichten über die
Erbauung der Frauenkirche“ ⁊c.
Dieser Bau, er stünde nicht so vollendet da und er wäre
nicht zu Stande gekommen, wenn sich der König Friedrich August J.
»der der Starke für dieses Werk nicht so speziell interessirt hätte.
Dies ist eine erfreuliche und wirklich hochzuschätzende Thatsache.
Es kommt hinzu, daß August der Starke schon vor der Erbauung der
dirche zum König von Polen ernannt wurde. Da er als protestan⸗
iischer Fürst den polnischen Thron nicht besteigen durfte, schwor
er bekanntlich 1697 seinen protestantischen Glauben ab. Er war
n diesem Sinn also entschieden ein Gegner des Protestantismus,
ind trotzdem verdanken wir es seinen bestimmten Besehlen, daß
wir ein in sich zusammenhängendes Ganze und kein Bruchstück
jor uns haben.
Das merkwürdige Zusammentreffen der Verschiedenheit reli⸗
*) Wir freuen uns, unseren geehrten Lesern obige interessante Studie
ur Geschichte der Baukunst bieten zu können. Es handelt sich um die volle
Würdigung eines hochbedeutenden Baugewerksmeisters auf Gruud sorgfältiger
und e umanfechtbarer Forschungen. um einen Mann, auf den wir stolz
ein können! Die Red.
Die Entstehung und Baugeschichte der Frauenkirche zu Tresden.
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ziöser, politischer und sozialer Verhältnisse während der Regierungs—
»eriode August d. Starken zeigt sich auch in der Verschiedenheit
zer damaligen weltlichen, sowie auch kirchlichen Bauten, einerseits in
hrer fröhlichen, andererseits in ihrer ernsten Architektur. Welch'
in ernster Gegensatz liegt schon in der Vergleichung der Frauen—
irche mit dem Zwinger, der in der vortrefflichsten Weise den
veltlichen Charakter der damaligen Zeit der Rokokoperiode schildert.
Vährend der Zwinger den bestechenden Rausch der Weltlust, einen
mmerwährenden Festestaumel, ein Leben ohne Sorgen, das sich
ticht um ernstere Stunde bekümmert, so repräsentirt die Frauen—
iirche den direkten Gegensatz, eine ganz entgegengesetzte Richtung,
nämlich die eines festen, in seinen Grundsätzen nicht zu erschüttern—
den Protestantismus. Bevor ich jedoch zur eigentlichen Baugeschichte
ibergehe, erlaube ich mir noch in aller Kürze, Einiges über die
Vorgängerin unserer jetzigen Kirche zu erwähnen.
Die alte Frauen- oder Marienkiche, deren Entstehung noch
in die Zeit der drei ersten Markgrafen Meißens, nämlich: Konrad
des Großen, Otto des Reichen und Dietrich des Bedrängten
gehört, scheint, wie verschiedene Chronisten betonen, überhaupt die
ilteste Kirche Dresdens gewesen zu sein, indem ja in ganz Deutsch-
and wie auch in unserem Vaterlande Sachsen düurchschnittlich
sämmtliche anerkannt ältesten Kirchen der Maria gewidmet waren.
Noch während der romanischen, oder vielmehr während des
deberganges aus der romanischen in die gothische Periode, also
vährend des 13. Jahrhunderts, war die Frauen- oder Marien—
irche die Hauptkirche in Dresden und gegen Ende letztgenannten
Jahrhunderts kam das Patronatsrecht über dieselbe. Weck schreibt
in seiner Chronik, daß dieser Kirche Anno 1280 bereits ein Plebanus
»der Probst vorgestanden. Die Kirche selbst stand damals noch
rußerhalb der Ringmauern, wie man dies auf alten Plänen deut—
ich sehen kann; zu dieser Zeit war also noch an keine Virnaische.
See- und Wilsdruffervorstadt zu denken.
Die alte Kirche erfreute sich eines wunderthätigen Marien—
zildes willen eines bedeutenden Zuspruches und stand weithin in
großem Ansehen, besonders bemerken die Chronisten, daß sehr viele
imliegende Ortschaften in dieselbe eingepfarrt gewesen. Dieser
Imstand und die überhaupt zunehmende Bevölkerung waren die
Ursache, daß die Kirche um 1477 erweitert werden mußte. Nach
ꝛrfolgter Ausbreitung der Reformation nahm die Begeisterung für
ie Verehrung obigen Marienbildes merklich ab und hoͤrte schließlich
zänzlich auf, und durch die vortheilhaftere, sowie auch größere
kinrichtung der Kreuzkirche ward die alte Frauenkirche in ihrem
Ansehen bedeutend geschädigt. Gegen Ende des 17. und Anfang
des 18. Jahrhunderts ging die alte Marienkirche ihrem Ende ent—
Jgegen, sie hatte ausgedient. Durch die immer deutlicher sichthar
verdende Baufaͤlligkeit derselben begannen sich allerlei Besorgnisse
u regen. Der Zustand der Kirche war ein ziemlich bedenklicher.
Der Rath suchte zwar, wie die „Nachrichten über die Erbauung
»er Kirche“ berichten, die Kirche noch eine Zeitlang zu erhalten,
var aber schließlich doch gezwungen, dem Oberkonsistorio die drohende
Sefahr zu unterbreiten. Am 18. April des Jahres 1722 fing
nan auch an, auf Befehl des Gouverneur's Graf von Wackerbarth
den Thurm, dessen Schieferdach eine Last von beinahe 1000 Zentnern
enthielt, nebst dem Chorgewölbe herunterzunehmen und abzutragen.
Wenige Jahre darauf fingen auch die Mauern der Kirche nach
der Abendseite hin (wo jetzt die Häuser an der Frauenkirche stehen)
in, auseinanderzuweichen, wodurch allerdings ein vollständiger
kinsturz zu befürchten war. Diese Mauern mußten in Folge dessen
urch Stützwerk an die Scheidemauern der gegenüberliegenden
häuser verwahrt werden. Die Besitzer der betreffenden Häuser
nachten Angesichts der bedrohenden Lage Anspruch auf Schadenersatz,
her ihnen auch durch den Generalkriegszahlmeister Conradi bei
virklicher Schädigung versprochen wurde.
Auch der Rathszimmermeister der Stadt fühlte sich dieser
zefahrvollen Zustände wegen veranlaßt, sowohl über die Baufällig—
eit, resp. Niederreißung der Kirche, als auch über die Abtragung
»es um dieselbe gelegenen Kirchhofes ein Gutachten zu schreiben.
xs mußte Alles darangesetzt werden, um an Stelle der alten eine
ieue und schönere Kirche zu bauen. Der Stadtrath erstattete dem
sohen Konsistorium darüber Bericht und bat, daß man den neuen
ßau doch allergnädigst genehmige und daß das dazu erforderliche
Steinwerk aus den pirnaischen Brüchen nur nach der Hoftaxe be—
ahlt, ingleicher Weise das Holz behufs Kalk- und Ziegelbrennens,
'owie die Kalksteine, soviel zum Baue nöthig, ohne Koll und Ge—
eite durchgehen sollten ꝛc.
Dieses Gesuch und die Gutachten wurden zwar genehmigt, jedoch
unächst nur mit der Abtragung des Kirchhofs begonnen, die alte
dirche selbst blieb vor der Hand noch stehen. Inzwischen begann
nan auch den Bau einer neuen Hauptwache fuͤr das Corps do
Jardoe, jenes Gebäudes, welches Canaletto in einem seiner Prospekte
on Dresden verewiat hat.